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DIE METEORAKLÖSTER

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In der menschenleeren Kirche der Stadt Kalampaka singt ein Pope mit schöner Stimme sein Gebet. Ein junger Bursche respondiert. Wir halten uns schüchtern in einem gemessenen Abstand, verbergen hinter den mächtigen Pfeilern der frühchristlichen Basilika unsere Neugierde. Der Geistliche gibt uns aber mit Zeichen zu verstehen, daß wir weiterkommen, daß wir uns die Kirche ansehen sollen.

Nun unterbricht er seinen Gesang, sagt einige Worte zu dem Knaben und singt wieder weitei\ Wir haben es kaum beachtet, wir dachten es gehört zu seinem Gebete. Doch der Knabe zündet eine Kerze an und kommt zu uns. Er zeigt uns ein Fresko. Der Pope singt. Dann sagte er wieder einige Worte zu dem Knaben und singt weiter. Der Knabe geht zu einem Bild, beleuchtet mit seiner Kerze eine schöne Tafel. Gold glänzt auf. Die roten Linien leuchten feierlich. Der Pope singt. Wieder sagt er einige Worte zu dem Knaben und singt weiter. Der junge Mensch geht der Mauer entlang, beleuchtet uns römische Steine mit lateinischen Inschriften. Unruhig flackert das Kerzenlicht. Noch einmal unterbricht der bärtige Geistliche seine Litanei, wieder geht der Knabe weiter, zieht uns hinter den Ikonostas, hebt eine Fußbodenplatte hoch, deutet mit der Kerze in das Loch. Ein Stück des mit Mosaiken gezierten Estrichs der ehemaligen Basilika ist zu sehen. Wir stecken alle drei die Köpfe in das Loch. Der Bursche flüstert ununterbrochen auf uns ein. Schließlich führt er uns zu seinem Meister.

Wir haben einen Gang durch die Geschichte des Gotteshauses gemacht. Nun stehen wir neben dem Popen, der unentwegt weitergesungen hat. Unentwegt weiter erklang der Lobgesang zu Ehren Gottes und Seinen Heiligen durch den dunklen Raum der Kirche, durch den dunklen Raum der Zeit. Ein Boden wurde über den anderen geschüttet, Steine heidnischer Tempel wurden eingemauert, die goldumstrahlten Gesichter der Heiligen Gottes wurden von osmani-schen Dolchen zerschnitten. Der Pope steht an seinem Pult und singt zu Ehren Gottes und Seiner Heiligen.

Er ist ein etwa 30jähriger, sehr schöner Mann mit geflochtenem, langem Haar und schönem seidigem Bart. Seitie zarten, schmalen Hände ruhen auf einem großen alten Buch. Nach wenigen Worten des Dankes und Grußes singt er wieder weiter. Sein dienender junge Gefährte antwortet wie eh und je.

Unmittelbar hinter der Kirche von Kalampaka steigen graue, mächtige Felswände zum Himmel. Einzeln stehen sie, oben abgerundete, abgeschliffene Zuckerhüte aus vorgeschichtlichen Epochen, von schier unzugänglichen Bauten gekrönt. Die Meteoraklöster.

Nester sind sie, Nester einsamer Mönche. Fromme Brüder haben einst wie die Schwalben ihre Behausung an den glatten Fels geklebt und so die türkisch-moslemische Herrschaft überstanden. Unzugänglich waren diese Klöster auf ihren hunderte Meter hohen, senkrecht emporragenden Felskegeln. Kein Weg, keine Brücke war einst da, die diese tiefen Schluchten überspannte. Nur der Seilzug, an dem die geflochtenen Netze hingen, brachte den heiligen Männern Nahrung in schwindelnde Höhen. Auch den Menschen blieb einst kein anderer Weg auf diese Klippen des Glaubens.

Tief in den gewaltigen Himmel haben die Mönche hineingebaut, näher ihrem Herren, näher ihrem Gotte. Schlafen und beten. Was gäbe es Wichtiges sonst auf der Welt? Weit unten breiten sich die Felder der arbeitenden Menschen, Hütten in denen gezeugt und geboren wurde. — Klein ist alles von oben, winzig klein.

Viele dieser alten Klöster sind verfallen. Von manchen sind nur mehr Ruinen, von manchen kleinen Einsiedeleien nur mehr ein verfaulter Holzrost an die Wand geklebt, und darüber, in der Höhlung des nackten Gesteins, das langsam verblassende Fresko Unserer Lieben Frau, eines Heiligen, des göttlichen Sohnes, zartes Blau, rötliches Braun, Goldgelb und schwarze Striche. Kein Weg, kein Zugang führt dort hin. Die frommen Einsiedler sind längst gestorben. Fünf Klöster sind nur mehr bewohnt. Hier wird auch heute noch zwischen den alten Mauern gebetet, stundenlang erklingt der Gleichklang menschlicher Stimmen, und stundenlang wird geschwiegen.

Der Blick geht hinüber zu den Nestern der ständig kreischenden Geier. Schmutzig ist der blaue Stein. Kahlköpfig, mit langem nacktem Hals gleiten die riesigen Vögel auf gespreiteten Flügeln über das Tal. Ruhig stehen die Ziegen in losen Gruppen in die Kühle der Felsenritze gedrängt. Von irgendwoher klingt der verlorene Schrei eines verirrten Schafes.

Die Mönche beten. Weithin über das Tal ertönt der metallene Anschlag der Glocke oder das Klopfen am alten Brett, das, an gewaltige Ketten gehängt, schwingenden Ton aus dem Klosterhof entläßt. Stundenbrett. Stundengebet. Sei still, ver-irrtes Schaf. Immer noch flackern die Kerzen am Ikonostas, von zitternder Greisin und lächelndem Knaben entzündet. Immer noch suchen bärtige Männerlippen zum Kuß das heilige Bild.

Ewigkeit leuchtet im Gold um den großen Blick des Pan-tokrators.

Wenn wir die Augen von dem Gewirr der hohen Kegel lassen, tut sich zu deren Füßen ein breites Tal auf, ein Tal mit früchteschweren Feldern, durchzogen vom broit dahinziehenden, silberglänzenden Band des Penios, der geteilt, zerspalten ist, wie die Herde des göttlichen Hirten, und doch sehen wir diesen Penios immer wieder im Sonnenlicht funkelnd das Land befruchtend, die Rinder und Schafe tränkend zum großen Meere fließen.

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