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Vor 60 Jahren starb eine Wegbereiterin der literarischen Moderne: Gertrude Stein. Ihre "Autobiographie von Alice B. Toklas" erzählt hintersinnig von Leben und Kunst.

Bilder erzählen Geschichten - welche Geschichten sie dem Lyriker said erzählten, erzählt dieser in seinem neuen Buch "Das Rot lächelt, das Blau schweigt", das Ende August erscheinen wird. Drei Texte als Vorabdruck und Vorgeschmack.

Jahre, bevor James Joyce mit "Ulysses" sein Meisterwerk der Moderne schrieb, hat - ebenfalls auf Englisch - schon eine Frau das Ihre dazu beigetragen, dass die Moderne begann. 1914 veröffentlichte Gertrude Stein ihr experimentelles Werk "Tender Buttons".

Die Autorin, von der man heute womöglich kaum mehr eine Zeile kennt außer "eine Rose ist eine Rose ist eine Rose", wurde 1874 als Tochter deutsch-jüdischer Immigranten in Pennsylvania geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Österreich und Frankreich, sprach deutsch und französisch, bevor sie zu lesen begann: auf Englisch.

1903 zieht sie zu ihrem Bruder Leo, dem Kunstliebhaber und-sammler, nach Paris. Ihre gemeinsame Wohnung wird zu einem wichtigen Treffpunkt der Pariser Künstlerszene. Maler, die gerade erst dabei sind, sich einen Namen zu machen, wie Henri Matisse, Pablo Picasso, Georges Braque, Juan Gris und Henri Rousseau gehen hier regelmäßig ein und aus. Schriftsteller wie Ernest Hemingway, Sherwood Anderson, Ford Madox Ford, Ezra Pound und T. S. Eliot führen in den zwanziger Jahren Diskussionen mit ihr.

Die bekannteste historische Quelle für Gertrude Steins Leben und diese Künstlerbegegnungen ist eine trügerische: "Autobiographie von Alice B. Toklas". Wie es um die Verlässlichkeit von Autobiographien bestellt ist, weiß man, diese aber demontiert zudem noch ihre eigene Gattung spitzbübisch. Gertrude Stein gibt ihre Autobiografie als Autobiografie einer anderen aus - die dann wiederum sie selbst, Gertrude Stein, beschreibt. Alice B. Toklas, die Lebensgefährtin Gertrude Steins, erzählt hier vorgeblich ihre Erinnerungen. Bei der Erstausgabe fehlte der Name der Autorin, erst nach Lektüre des letzten Absatzes konnte der Leser ahnen, wer die Urheberin der Zeilen ist.

Trügerische Quelle

In dieser lesenswerten "Autobiographie von Alice B. Toklas", die der Arche Verlag neu aufgelegt hat, nimmt Stein nicht nur diese andere Perspektive auf sich selbst ein, sondern auch den möglichen Stil von Alice an, sie erzählt dahin, ganz unüblich für Stein, in einer (leicht lesbaren) Form, die in vielem in Widerspruch zu stehen scheint zu Steins ästhetischen Postulaten.

Stein beobachtet. Außensicht, kaum Innenleben, wird geboten. Sexualität oder nähere Hinweise auf die Beziehung von Alice B. Toklas, der Lebensgefährtin und Sekretärin, zu Gertrude Stein bleiben völlig ausgespart. In den dahingeplapperten Kommentaren über den Krieg zeichnet sich Gertrude Stein selbst als politisch naiv.

Dass die "Autobiographie von Alice B. Toklas", die 1933 erschien, so populär wurde, lag wohl auch daran, dass viele bekannte Namen erwähnt wurden und somit der Lust auf Seitenblicke gefrönt werden konnte. Man liest nette kleine Gehässigkeiten gegen Fernande Picasso: "Fernande hatte zwei Gesprächsthemen Hüte und Parfüms", andererseits auch von der Verbundenheit mit Picasso: "Ich wünschte ich könnte etwas von der schlichten Herzlichkeit und Vertrautheit vermitteln mit der er immer ihren Namen aussprach und mit der sie immer sagte, Pablo. Während ihrer langen Freundschaft mit all ihren manchmal schwierigen Momenten und Komplikationen hat sich hieran nie etwas geändert." Der Text bietet auch schöne Einblicke in die Blüten der Künstlereifersucht: "Sie tauschten Bilder aus wie es in jenen Tagen Brauch war. Jeder Maler suchte sich eins vom anderen aus das ihn vermutlich am meisten interessierte. Matisse und Picasso wählten jeder vom anderen das Bild aus, das zweifellos das am wenigsten interessante war das jeder von beiden gemacht hatte. Später benutzten sie es als ein Beispiel, das Bild das sie ausgesucht hatten, für die Schwächen des anderen."

Ringen um Form

Aber über die Wahrnehmung persönlicher Streitereien im Künstlermilieu geht die "Autobiographie" weit hinaus, liefert sie doch fast im Vorbeigehen eine Auseinandersetzung mit der Moderne und ihren unterschiedlichsten Strömungen. Ein Thema ist die Kunst, die künstlerische Arbeit, die der Schriftstellerin Stein ebenso wie die des Males, vor allem Picassos.

Im Fokus steht vor allem das Ringen um die Form, etwa im Kubismus, der auch Auswirkungen auf Steins Sprache hatte. Auch die Entstehungsgeschichte - längst ein Mythos! - des berühmten Stein-Porträts aus dem Jahr 1906, erzählt im Grunde Kunsttheorie. "Ich sehe dich nicht mehr wenn ich hinsehe ("I can't see you when I look at you"), sagte Picasso gereizt zu Gertrude Stein, nachdem sie ihm wochenlang Modell saß. Und er übermalte den Kopf ("He painted out the whole head", bis er später - nach langer Abwesenheit und ohne sie zuvor wiedergesehen zu haben - "aus dem Kopf den Kopf hinein" malte ("out of his head painted the head in") - und sie und er zufrieden waren.

Dass vielen das Porträt nicht passte, störte Picasso nicht. "Ja, sagte er, alle sagen sie sähe nicht so aus aber das ist einerlei, sie wird es, sagte er." Der Künstler schafft die Wirklichkeit. So kann sich auch Gertrude Stein durch die Perspektive der Alice B. Toklas eine ungenierte Selbstdarstellung als Genie erlauben. Gertrude Stein begegnet den Lesern in ihrem literarischen Selbstporträt als Kunstfigur.

Den eigenen Schreibstil, den sie in der "Autobiographie" kaum anwendet, thematisiert sie darin aber selbst: "sie kämpfte mit ihren Sätzen, jenen langen Sätzen die so exakt ausgeführt werden mussten. Sätze nicht nur Worte sondern Sätze und immer wieder Sätze sind Gertrude Steins lebenslange Leidenschaft gewesen." Beeinflusst von William James' Konzept des Bewusstseinstroms schrieb Stein in vielen Wiederholungen, die sich aber nie glichen - eine literarische Verfahrensweise, die man ebenso bei Friederike Mayröcker, die auch inhaltlich Bezug nimmt auf Gertrude Stein, erlesen kann.

Steins eigenwillige Syntax war es wohl auch, die dafür sorgte - zumindest erzählt es Gertrude Stein alias Alice B. Toklas alias Gertrude Stein so -, dass sie Besuch bekam vom Verlag, der ihr Buch "Three Lives" verlegte, da man vermutete, mit ihren Englischkenntnissen läge es sehr im Argen. "Aber ich bin eine Amerikanerin, sagte Gertrude Stein ungehalten. Jaja ich verstehe das jetzt vollkommen, sagte er, aber vielleicht haben Sie noch nicht soviel Erfahrung im Schreiben."

Zwei Kommata

Humor und Ironie schimmern durch, wenn die unnachgiebige Gertrude Stein die Auseinandersetzung mit ihrem opulenten Manuskript "The Making of Americans" beschreibt: "Haweis war fasziniert von dem was er im Manuskript von The Making of Americans gelesen hatte. Er plädierte aber für Kommata. Gertrude Stein sagte Kommata seien unnötig, der Sinn solle immanent sein und nicht durch Kommata erklärt werden müssen und außerdem seien Kommata nur ein Hinweis darauf dass man innehalten solle und atmen aber man solle selber wissen wann man innehalten wolle und atmen. Jedoch, da sie Haweis sehr gern mochte und er ihr ein entzückendes Bild für einen Fächer geschenkt hatte, schenkte sie ihm zwei Kommata. Es muß jedoch hinzugefügt werden daß sie beim nochmaligen Lesen des Manuskripts die Kommata wieder herausnahm."

Autobiographie von Alice B. Toklas

Von Gertrude Stein

Aus dem Amerikan. von Roseli und Saskia Bontjes van Beek

Arche Verlag, Zürich 2006

330 Seiten, geb., e 20,50

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