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Die Musikindustrie gibt den Ton an

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„opernaufnahmen verkaufen sich nur noch, wenn man etwas Besonderes macht. Man müßte zum Beispiel nackt singen ... Ich würde das nicht tun.”

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„opernaufnahmen verkaufen sich nur noch, wenn man etwas Besonderes macht. Man müßte zum Beispiel nackt singen ... Ich würde das nicht tun.”

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DIEFURCHE: Sie stehen diese Woche auf der Bühne der Wiener Staatsoper und singen den Badames, die männliche Hauptrolle in Guiseppe Verdis „Aida”. Singen Sie gerne in Wien? Kristjan Johannsson: Sehr gerne. Das Publikum, das hier sehr international ist, weiß was es will: Die Leute gehen in die Oper, um schönen Gesang zu hören. Und dafür ist die Wiener Oper berühmt. Wie in Chicago oder München ist die Atmosphäre hier sehr italienisch.

DIEFURCHE: Wzs bedeutet „ italienische Atmosphäre”?

Johannsson: Wir Opernleute sprechen von „italienischem Theater” und meinen damit eine sehr traditionelle Art und Weise, Oper zu machen. Der italienische Stil führt die Tradition der großen Meister wie Verdi und Toscanini weiter: nicht zuviel Schauspiel, sondern Ausdruck mit Händen, Augen und Gesicht. Und natürlich großer Gesang, Interpretation und die großen Noten wie das Hohe C. In Italien ist es nach wie vor das, was das Publikum will. In Amerika und in Deutschland hat sich der Geschmack in den letzten 15 Jahren verändert. Es wird mehr Gewicht auf die Figur, auf mimisches Spiel gelegt.

DIEFURCHE: Begrüßen Sie diese Entwicklung?

Johannsson: Ich spiele gerne. Ich habe mit den größten Regisseuren der Welt gearbeitet: mit Ken Russell, Franco Zefirelli oder Hans Neuenfels. Neuenfels ist ein verrückter Kerl, aber ein großer Künstler. Unter ihm habe ich vor vier Jahren in „Die Macht des Schicksals” gesungen. Er hat diese Verdi-Oper völlig umgekrempelt; mir hat das großen Spaß gemacht. Wenn mich nicht alles täuscht, hat Russell seine allererste Oper mit mir inszeniert: eine sehr kontroversielle „Madame Butterfly” beim Festival von Spoleto.

Bei Festivals habe ich überhaupt nichts gegen experimentelle Produktionen. Aber ich finde, Häuser wie die Wiener Staatsoper, die Mailänder Scala oder die Metropolitan Opera in New York sollten der Tradition verpflichtet bleiben.

Diefijrchk: Wenn Sie auf der Bühne stehen, jubeln ihnen die Menschen begeistert zu. Für das breite Publikum hingegen sind sie ein Unbekannter, die kennen nur Luciano Pavarotti, Jose Carreras oder Placido Domingo. Woran uegi aas.--

Johannsson: Heutzutage haben die Dirigenten das Sagen, denn sie sind meistens auch die Intendanten und künstlerischen Leiter. Wenn man ihnen nicht gefällt, kommt man nicht in den Kreis der großen Stars hinein. Und ich scheine den großen Dirigenten nicht zu gefallen. Vielleicht, weil ich zu traditionell bin, vielleicht weil sich manche Dirigenten zu wichtig nehmen und nicht von einem Tenor überschattet werden wollen. Es gibt leider nur wenige Häuser auf der Welt, wo das nicht so ist: Ich wurde zum Beispiel unlängst in das Covent Garden Theater in London zum Vorsingen eingeladen. Als ich fragte, ob der Dirigent da sein würde, wurde mir gesagt: „Wir glauben nicht, aber das macht ja nichts, denn die Entscheidung treffen wir.” Da war ich sehr überrascht: Wenn zum Beispiel Ric-cardo Muti einen nicht mag, dann hat man keine Chance, an der Mailänder Scala zu singen.

DIKFlJRCHE: Welche Gründe gibt es, Ihre Stimme nicht zu mögend johannsson: Meine Stimme ist ein kräftiger, dramatischer Tenor. Mein Repertoire - dramatische Opern wie jene von Verdi oder Puccini - sind aber derzeit nicht in Mode. Heutzutage sind leichte Opern in: Rossini, Do-nizetti oder Mozart.

Seit etwa 15 Jahren sind kleine, nicht sehr kräftige Stimmen mit wenig Emotion gefragt. Solche Stimmen sind viel besser für Studioaufnahmen geeignet als etwa die meine. Wenn man zu Hause die Stereoanlage aufdreht, kann man diesen Stimmen bequem und einfach zuhören. Wenn aber diesselben Sänger auf der Bühne sehen, wundern sich die Leute, daß sie nichts hören können.

DIEFURCHE: Ist das auch der Grund, warum es von Ihnen nur wenige Aufnahmen - auf einem Low-Price-Label -gib?

Johannsson: Jeden Abend, wenn ich nach der Vorstellung aus der Oper komme, unterschreibe ich 20 bis 50 Autogrammkarten. Meine Fans hätten gerne eine CD mit dem, was ich da gesungen habe, aber ich muß ihnen meistens sagen: „Tut mir leid, die gibt es nicht”. Das können sie nicht verstehen.

Der Markt für Opernaufnahmen ist heutzutage völlig ruiniert. Es herrscht eine riesige Lücke, weil die Plattenfirmen immer mit denselben Leuten arbeiten.

Natürlich ist Domingo ein großer Künstler, aber wenn jemand zum Beispiel eine Aufnahme von „Rigoletto” kaufen möchte, bekommt er nur Domingo. Das ist langweilig. Der Kunde hat keine Wahl. Die großen Platten-firmen stellen Pakete zusammen: diese Sänger, jenen Dirigenten. Daher finden sich auf den meisten Platten dieselben Künstler.

DIEFURCHE: Warum wird diese Geschäftsstrategie verfolgt' JoilAYNSSQN: Normale Opernaufoah men verkaufen sich nicht mehr. Heutzutage muß die Produktionsfirma 250.000 Stück absetzen, um auf null zu kommen. Wenn man eine CD macht, muß man etwas ganz Besonderes machen. „Die drei Tenöre” war so etwas Besonderes. Man müßte zum Beispiel nackt singen ...

DIEFURCHE: Würden sie das tun? johannsson: (lacht) Nein! diefürche: Zurück zu Ihrem Auftritt als Badames: Wie oft haben Sie diesen Part schon gesungen? johannsson: Sehr oft. Diese lyrischen, heroischen Verdi-Rollen, die schon immer schwierig zu besetzen gewesen sind, sind meine Lieblingsrollen. Sie entsprechen meiner Stimme und auch meinem Charakter. Verdi und ich passen gut zusammen.

DIEFURCHE: Wie würden Sie diese Bolle beschreiben?

Johannsson: Radames ist sehr gebieterisch, sowohl von der Stimme her, als auch von seinem Charakter. Er ist ein Krieger, aber er ist auch ein Liebhaber. Er ist ein sehr typischer Verdi-Charakter: Heldenhaft und zugleich sehr romantisch. diefi i HCl l e: Krieger und Romantiker paßt das gut zusammen? johannsson: Ja. Um romantisch zu sein, braucht man viel Temperament und Leidenschaft. Deswegen passen diese beiden Charakterzüge sehr gut zusammen. Meine Persönlichkeit ist ähnlich gelagert: Ich habe ein sehr heißes Temperament und ich bin auch sehr romantisch.

DIEFURCHE: Es heißt, Isländer seien eher zurückhaltende Menschen Wie kommt es dann, daß Sie so temperamentvoll sind?

Johannsson: Es stimmt: Im allgemeinen sind Isländer sehr pflichtbewußte, arbeitsame Leute. Aber wir haben einen Schuß irisches uns spanisches Blut in unseren Adern. Mein Vater wirjrte wie ein Sizilianer: Ein kleiner Mann mit viel Temperament und dunklen Augen. Auch mein Charakter ist sehr italienisch: Ich kann die Beherrschung verlieren und herumschreien, aber nach fünf Minuten ist wieder alles vorbei. Wenn man nur einmal auf Island herumschreit, dann tragen einem die Leute das noch in zehn Jahren nach. In Island muß alles glatt, harmonisch und süß wie Schlagobers sein - ähnlich wie in Österreich. Wenn Isländer etwas falsch machen, würden sie das niemals eingestehen. Italiener können Fehler zugeben und sich dafür entschuldigen, und dann ist es vorbei.

Die Norditaliener beschimpfen die Italiener aus dem Süden ja oft als „Terroni” („Erdfresser”, Anm d Bed). Ich scherze manchmal und nenne mich „Terrone aus dem hohen Norden”.

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