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Die neue Burschenherrlic keit

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„Herr Doktor, erinnern Sie sich noch ans Zwölferjahr…“ Weinseliges Erinnern an längst vergangene Studientage jm tiefen Frieden vor dem ersten blutigen Krieg. Den Typ des Studenten gibt es heute kaum mehr: väterlicher Wechsel in durchaus zufriedenstellender Höhe, Studium — meistens Jus — ohne sonderliche Aufregung, aber auch ohne besondere Mißerfolge, abends Paukboden oder Kneipe, morgens Kopfschmerz. Ein Studententyp, längst zum Klischee geworden, zum traurigen Operetten- und Witzblattklischee, und doch — seltsames Rätsel der staubigen „Alt-Heidelberg“- oder „Fliegende-Blätter“-Welt — ungeheuer zählebig und kaum auszurotten, vergleichbar in seiner zweifelhaften Unsterblichkeit vielleicht dem Grafen Bobby oder dem Leutnamt Nikki.

Über diese heitere Welt brach der erste Weltkrieg herein. Die Karpaten, die Sieben Gemeinden, der Isonzo . .. Studenten als Reserveoffiziere. Schließlich der Zusammenbruch. Wieder die Hörsaalbank drücken. Man fand sich nicht mehr ganz zurecht. Jüngere waren dazugekommen, die den Krieg nur aus der Perspektive der Schulbank miterlebt hatten. Eine unruhige Zeit war es, in der man damals studierte. Der Staat war keineswegs gefestigt. Weder im Inneren noch an seinen Grenzen. Dazu die Sorge um das Geld: Vorkriegsvermögen platzten wie Seifenblasen; die Stipendien waren zu nichts zusammengeschmolzen. Immer wieder berichteten die Zeitungen über erfrorene oder verhungerte Studenten — Studenten, die nichts besaßen als das, was sie auf dem Leib trugen. Eine umgearbeitete LIniform etwa, oder ein Paar durchgetretene Schuhe.

Langsam freilich besserte sich die Lage. Die Radikalisierung im Inneren jedoch spiegelt sich deutlich auf der Ebene der höchsten Schulen des Landes. Antisemitismus — den gab es auch schon vor 1914 —, Auseinandersetzungen zwischen großdeutschen und katholischen Studenten, bei denen häufig Blut floß, dies war auf Hochschulboden fast alltäglich.

Doth schon begann die Wirtschaftskrise ihre Schatten über das sich halbwegs konsolidiert glaubende Land zu werfen. Arbeitslosigkeit drohte — nicht nur dem Arbeiter, dem Angestellten; auch der junge Doktor sah sich dem Nichts gegenüber. „Herr Doktor, haben Sie zu essen?“ Die Frage wurde grausame Wirklichkeit. Sein Diplom öffnete ihm keineswegs den Weg in eine gesicherte Zukunft, sondern in ein ungewisses, trübes Leoben. Eine gute Partie war der „Herr Doktor“ schon längst nicht mehr … Die traurige Zeit, in der Diplomingenieure froh waren, einen Posten als Motorführer bei der Straßenbahn zu ergattern, scheint uns heute so weit, so unglaublich und sagenhaft zu sein. Und doch, kaum ein Menschenalter ist seither vergangen.

Ein Mann versprach Rettung und Hilfe. Viele Studenten, jung und begeisterungsfähig, horchten auf. Die Saat, die von den Alldeutschen an Österreichs Hochschulen gepflanzt worden war, die Saat, die so lange gekeimt hatte, begann aufzugehen. Hatte Hitler nicht geholfen? Konnte das Heil nicht nur von ihm kommen? Und so trug man denn die weißen Stutzen und das weiße Hemd, spielte dem schwerfälligen Polizeiapparat einen Streich, übeir den man beim Bier herrlich lachen konnte. Anfangs. Später nämlich wurde es für die anderen gefährlich, sich zu Österreich zu bekennen. Später, als immer mehr Studenten gebannt auf die Rattenfängerweise lauschten, die von jenseits der Grenzen kam. Von „draußen“ kam LInterstützung, wurde großzügig geholfen.

193 8 kam. Die große Ernüchterung. Arbeitsdienst, Wehrdienst.. . alles war „Dienst“. Kleine Grüppchen begannen sich zu bilden. Zuerst sammelten sich die wieder, die auch in den letzten Jahren der rotweißroten Fahne treu geblieben waren. Dann stießen andere dazu. Abgestoßen, enttäuscht, bekehrt.

Der Krieg, noch grausamer, noch blutiger als der erste, sah wiederum Studenten an allen Fronten. Afrika, Rußland, der Balkan, Frankreich, unterbrochen durch kurzen Studienurlaub; dann ging es wieder an die "Front. Viele kamen nicht wieder. Für das Wintersemester 1944/45 waren bereits einschneidende Bestimmungen erlassen worden: Theologen oder Geisteswissenschaftler durften ihr Studium auf Kriegsdauer nicht fortsetzen. Die Juristen waren aufgerufen worden, sich zu den Prüfungen zu melden, da der Studienbetrieb eingestellt wird. Materielle Sorgen brauchten sich die Studenten damals keine zu machen. Der totale Krieg hatte sie alle erfaßt und sorgte für ihre Bedürfnisse.

Mai 1945: Ein provisorischer Studienbetrieb war wiederaufgenommen worden. Doch wie sahen die Studieneinrichtungen aus: ausgebrannt der Juristenflügel der Wiener Universität, schwer beschädigt die anderen österreichischen Hochschulen. Doch etwas war da, das die hungrigen jungen Menschen zusammenhielt, sie zusammenschweißte zu einer Einheit, der eines gemeinsam war: das schwer leidende Land wiederaufzubauen, es zu einem Vaterland zu machen, in dem sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen sollten. Dies war der Auftrag, den sich die „Generation von 1945“ selbst gestellt hatte. Mit wieviel Freude war man an diese Aufgabe herangegangen, mit welchem Eifer machte man Pläne für die Zukunft, für eine Zukunft, die uns Heutigen längst schon zur Gegenwart geworden ist. Gleichheit, „Kommunismus“ im ursprünglichsten Sinn des Wortes, verband sie alle, die, aus Krieg oder Gefangenschaft kommend, in umgefärbte Uniformen gekleidet, mit leerem Magen und heißem Herzen über die Zukunft diskutierten.

Auch diesen Studenten waren materielle Sorgen fremd. Niemand besaß etwas, das ganze Volk litt an Hunger, an Kälte, unter Übergriffen der Besatzungsmächte, an der Dunkelheit…

Die Hochschulen trugen ihren Teil, vom Rektor bis zum jüngsten Studenten, ebenso wie das übrige Volk.

Neben dieser Generation, die durch das bewußte Erleben des Verschwindens der Heimat geformt war, durch den Einsatz an der Front härter und reifer geworden war, saß freilich noch ein Grüppchen von Studenten in den Hörsälen. Die Angehörigen jenes Jahrganges, der 1945 die Matura abgelegt hatte. Sie fanden sich zunächst nicht ganz zurecht. Die Nanjen, die immer wieder fielen, waren ihnen unbekannt, die anderen Kollegen weitaus älter. Dieser Jahrgang ging einfach unter, trat nicht hervor, stand im Schatten der Generation von 1945 …

Es soll hier nicht untersucht werden, wieweit sich die Projekte, die 1945 geschmiedet wurden, erfüllt haben. Mit der Normalisierung des täglichen Lebens wurden auch wieder die Mauern der Konvention errichtet, die die Begriffe Studium, Studenten, Universität nun einmal umgibt. Mit dem gefüllten Bauch kehrten aber auch alle die Fragen wieder, deren Lösung der Ersten Republik nicht gelungen war: Der Student, der nun wieder studieren wollte, der sein Studium als Grundlage für den späteren Beruf ernst nahm, sah sich mit diesen Fragen konfrontiert. Freilich, das Verhältnis Student- Politik hatte sich gewandelt. Grundlegend sogar. Standen die ersten Wahlen in der Hochschülerschaft noch unter dem Eindruck kommunistischer Störversuche, so verliefen die nächsten Wahlen durchaus ruhig, in einer sachlichen Atmosphäre der Zusammenarbeit.

Die Frage, die früher oder später in der Familie eines Mittelschülers auftauchen mußte, lautete: Soll der Maturant weiterstudieren? Und da zeigte sich bald, daß die sogenannten „Mittelstandsfamilien“ viel eher bereit waren, die Opfer auf sich zu nehmen, die damit nun einmal verbunden sind. Man schränkte sich eben ein. Der Student half mit, so gut es ging: Nachhilfestunden waren es zunächst, die ihn einigermaßen über Wasser hielten. Nach und nach fanden sich einträglichere Nebenbeschäftigungen. Statistiken der Österreichischen Hochschülerschaft haben ergeben, daß der größte Teil aller Studenten neben ihrem Studium irgendeinem Erwerb nachgeht. Die Spanne ist freilich weit gezogen, umfaßt sie doch jegliche Art studentischen Geldverdienens, vom Stundengeben bis zum Chauffieren für exotische Fürsten.

„Alte Burschenherrlichkeit.. Im Lied erhaltene Erinnerung an Vergangenes, längst Verwehtes. Wer weiß von ihr? Der entwurzelte Student der Jahre 1918/19? Oder der Student, der nach den Entbehrungen eines mühevollen Studiums mit sicherer Arbeitslosigkeit rechnen mußte? Jener vielleicht, der im Wehrertüchtigungslager „auf Vordermann gebracht“ wurde? Die Studenten der Nachkriegsjahre sicher auch nicht. Die hatten ganz andere Sorgen.

Neue Burschenherrlichkeit? … Das Studienbeihilfengesetz, dieser Tage im Parlament verabschiedet, mag sie vielleicht mit sich bringen. Stipendien sollen nun nicht mehr an einzelne ausgeschüttet werden. Das wirklich Neue ist nun der Anspruch, den jeder österreichische Student auf staatliche Unterstützung hat. Zu gut bekannt sind die „Schleichwege“, auf denen sich einzelne Gewitzte in den Genuß mehrerer Stipendien setzten, deren Ge samtsumme eine nicht unbeträchtliche Höhe erreichte. Damit ist endgültig Schluß.

Die Höhe der Beihilfe ist nicht gering: Will der Student eine Beihilfe von 10.000 Schilling im Jahr bekommen, so dürfen seine Eltern nicht mehr als 42.000 Schilling im Jahr verdienen. Diese Einkommensgrenze erhöht sich auf 49.200 Schilling, wenn die Mutter des Studenten nicht arbeitet, auf 56.400 Schilling, wenn der Student Geschwister hat, auf 62.040 Schilling, wenn der Student nicht in der Hochschulstadt wohnt, also ein Zimmer bezahlen muß, und auf 74.040 Schilling bei ausgezeichnetem Studienerfolg. Nicht schlecht also! Die Budgetmittel stehen bereit. Der Papierkrieg soll — nicht im Sinne des Parkinsonschen Gesetzes — auf ein Minimum reduziert bleiben.

„Freie Bahn der Begabung“, „Jetzt kann jeder studieren“ — so lauteten die Schlagzeilen der Zeitungen. Stolz bekannten sich die Parteien zu ihrem Werk. Also wirklich „neue Burschenherrlichkeit“? Kommt ein neuer Studententyp? Selbstsicher, aller materiellen Sorgen ledig, eine neue geistige Elite? Nun, der neue, durch staatliche Unterstützung geprägte Student wird erst seine Bewährungsprobe ablegen müssen. Eine Bewährung, die viele seiner Vorgänger schon bestanden haben.

Was ist nämlich die Gefahr, die mit dieser großzügigen staatlichen Förderung verbunden sein könnte? Die gerade hierzulande weitverbreitete „Rentnermentalität“ darf nicht., die Lebensmaxime dieses neuen Studententyps werden. Ob zusammen mit dem

Beihilfengesetz eine strengere Auslese möglich werden wird? Ein weiteres Sinken des Niveaus — obwohl das Werk'* studententum dann keine Ausrede da* stellen wird — würde Österreich? Position in der geistigen Welt ernstlich gefährden. Die Verleihung des Nobelpreises an österreichische Gelehrte liegt Jahrzehnte zurück. Ob unter den vielen Studenten, die gerade jetzt die Hörsaalbänke drücken, wohl ein Anwärter auf diese Auszeichnung sitzt?

Nobelpreiskandidaten in Laboratorien von gestern und in Hörsälen von vorgestern — welch groteske Vorstellung! Denn der Schritt, der der staatlichen Studienförderung unbedingt folgen muß,, ist der großzügige Ausbau aller Lehr- und Fprschungseinrichtun- gen. Nur -dann nämlich .können die Mittel, die Österreich in seine Wissenschaftler von morgen investiert, mit Zinsen und Zinseszinsen wieder unserem Land zugute kommen. Dann -- und erst wirklich dann — wäre es aber auch wohl berechtigt, von einer wirklichen „neuen Burschenherrlichkeit“ zu sprechen.

Der Ausbau unserer Hochschulen muß allerdings Sache des ganzen Volkes sein, wie es Sache ganz Österreichs war, zum Wiederaufbau von Burgtheater und Staatsoper nach besten Kräften beizutragen. Erst wenn sich dieser Gedanke durchgesetzt haben wird, kann der Student von morgen mit echten Chancen an die Arbeit gehen. Dann erst hat er die Mittel in der Hand, das Terrain, das Österreich in der Welt der Wissenschaft und Kunst einst besessen hat, wieder zurückzugewinnen.

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