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Die neuen Geschäfte der „Störy dealer"

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Hinterlassen Sie einen Eindruck", wurden die Hauptreferenten des Heidelberger Kongresses jeweils nach ihren Vorträgen gebeten. Eine paradigmatische Aufforderung. Erstens mußten die Notabein (Hermann Lübbe, Zyg-munt Baumann, Humberto Maturana, Tilman Moser, Heinrich Schip-perges, Helm Stierlin, Thure von Uexküll, um die wirklich prominenten zu nennen) sofort unter elektronischen rhythmischen Klängen im Bahmen eines immer gleichen Ritus die Handflächen in weichen Lehm drücken.

Was man sonst nie sieht, hier war es zu sehen: Wie sich Berühmtheiten der Geisteswelt auf offener Bühne verewigen und danach ganz prosaisch die Hände waschen und abtrocknen. Der Anspruch der Ewigkeit, verbunden mit banalster Intimität... wo anders als auf dem Jahrmarkt und in TV-Talkshows kann man dergleichen sonst noch sehen?

Zweitens war mit dem Angebot „Hinterlassen Sie einen Eindruck!" der ganze Jammer offengelegt, der diesen Kongreß oberflächlich prägte, von vorne bis hinten: Eindruck zu machen, das ist der Zweck aller in das Viereck des Fernsehschirms gezwängten publizistischen Angebote-Unterhaltung, wie es der deutsche Philosoph HeimannLübbe in seinem glänzenden Vortrag ausführte. Ob Weltgeschehen, Song Contest oder Talkshow ... Eindruck machen, Bilderwelt, Bauchgefühl.

Dieser sich einerseits sehr wissenschaftlich gebende Kongreß war andererseits ein Fernseh-Kongreß, den Gesetzen und Wünschen der medialen Vermarktung gehorchend, sensibelste Themen (wie die Euthanasie) im Dienste des „Eindrucks" mißbrauchend.

Aber auch psychotherapeutischen Methoden wurde breiter Baum gegeben, die - man kann es nicht anders nennen - talkshowgerecht und talk-showgeprägt sind: Psychotherapie in kleinen Häppchen, für jedes Paar 15 Minuten, Familienaufstellung, Bewegung von Figuren wie Marionetten, dann Entlassung mit einem Sinnspruch, der durchaus auch ein für die Zukunft dieses Paares vernichtend sein kann. Tränen, Emotionen, alte Bilder aus der Herkunftsfamilie tauchen auf ... all das vor einem Publikum von mehreren hundert Psychotherapeuten, Applaus und nur vereinzelt und zaghaft Ansatz zur Kritik.

Es war kein Zufall, daß sich keine einzige Frau auf dieser Liste am Kongreß brillierender Geistesriesen findet:

Viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen kritisierten das schiefe Geschlechterverhältnis, das schon an der Spitze des Organisatorenteams begann. Als Vertreter der Heidelberger Internationalen Gesellschaft für Systemische Therapie traten vier Männer auf, eine Quadriga. Zwar gibt es auch Frauen in den Führungsgremien, aber die waren unter den Referentinnen versteckt. Oder zogen sie sich bewußt zurück?

„Rückfall in die fünfziger Jahre!" war eine häufig zu hörende Kritik von Teilnehmern vor allem aus dem ang-lo-amerikanischen und dem romani-

sehen Sprachraum, wenn es um die Struktur des Kongreßablaufs ging. Es gab kaum Zeit und Raum für Diskussion - Zufall?

Katheder-Vorträge, wie in der Hochschule von anno Schnee. Zufall?

Nein, all das sind keine Zufälle, und daß der Heidelberger Kongreß ein Signal darstellt - ein Signal für eine Entwicklung, wo selbst zwei derart gegensätzlich scheinende Haltungen wie Fundamentalismus und Beliebigkeit zusammengehen können, wo unter dem Wunsch, „Eindruck" zu machen, Scham und wissenschaftliche Anständigkeit über Bord geworfen werden können. Es ist klar, daß man bei einem solchen Hintergrund den offenen Diskurs scheut.

Es begann mit Lärm, mit potentieller und nur mühsam zurückgehaltener Gewalt, mit einer Atmosphäre des Aufruhrs.

Vor der Stadthalle in Heidelberg, der Hauptbühne des Kongresses über „Fundamentalismus und Beliebigkeit in Wissenschaft und Therapie", standen zahlreiche Mannschaftswagen der Polizei, standen und saßen mehrere hundert teilweise Transparente tragende Menschen, auffallend viele in Bollstühlen oder mit anderen Zeichen der „Behinderung" behaftet.

Sprechchöre und sich immer wieder steigerndes Protestgebrüll, immer dann, wenn Kongreßteilnehmer, kenntlich am zielstrebigen Gang Richtung Haupteingang, mit polizeilicher Assistenz durch die Menschen-kette davor dringen wollten ... Was war los?

Los war, daß einige Behindertenorganisationen zum Protest aufgerufen hatten. Warum? Ganz einfach. Weil Peter Singer als Hauptreferent eingeladen worden war. Er wurde zwar einige Wochen vor Beginn des Kongresses wieder ausgeladen, aber das Programm des Wissenschaftertreffens sah immer noch einen Schwerpunkt „Bioethik" vor, mit Be-ferenten, die von den Behindertenvertretern als „noch ärger als Singer" eingestuft wurden.

Der umstrittene Mann ist ein australischer Philosoph, Sohn jüdischer, aus Wien stammender Eltern. Singer leitet ein Zentrum für Bioethik in Melbourne. Er wurde weltberühmt durch Thesen, die er 1979 erstmals publizierte: Neugeborene sollen bis zu einem Alter von vier Wochen getötet werden dürfen, wenn sie behindert sind und/oder keine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, daß sich Menschen oder Institutionen um Leben und Entwicklung dieser Kinder kümmern werden.

Wenn ein behindertes Neugeborenes getötet, und „stattdessen" (sozusagen in einem zweiten Anlauf der Fitem) ein gesundes geboren wird, hat sich damit die Summe des Glücks in der Menschheit erhöht - so eine der Hauptthesen des Philosophen.

Sein Hauptargument: Einem Wesen, das (noch) kein Bewußtsein hat, „am Leben" zu sein, schadet man

nicht, wenn man ihm dieses Leben nimmt. Es habe kein „Lebensinteresse", und könne daher kein schützenswertes Lebensrecht geltend machen.

Diese Ansicht traf (und trifft, heute mehr denn je) mitten in eine Medizinlandschaft, in der ratlose und ethisch alleingelassene Ärzte und Krankheitstechnologen Entscheidungen über Leben und Tod fällen (müssen), über maschinelle Lebenserhaltung oder ein Abdrehen der Maschinen, über Transplantation und Beachtung des Hirntodes, und in der nicht zuletzt zahllose Abtreibungen das auf der einen Seite hochgeschätzte Lebensrecht auf der anderen sehr relativieren.

Kein Wunder, daß die Beaktion auf Singer heftigst war und ist. Heftige Empörung ist manchmal ein Hinweis auf Motive oder Zustände, die sich dahinter trefflich verbergen lassen: Schlechtes Gewissen zum Beispiel.

Der auf die Einladung Singers folgende öffentliche Aufschrei von Behindertenverbänden war vorhersehbar. Deren Hauptargument, wie es auch in der Protestiererkette vor der Heidelberger Stadthalle zu hören war: Es gibt Themen und Ansichten, über die sich eine öffentliche Diskussion von selbst verbietet. Man diskutiere ja schließlich auch nicht darüber, wie man kannibalistischerweise Menschenfleisch so zubereitet, daß es am besten schmeckt.

Singer war als Projektionsfläche gedacht, und zwar für die Wirksamkeit fundamentalistischer Strömungen, die mißliebige Denker mit Auftritts- und Bedeverbot belegen wollten - so die erklärte Absicht der Kongreßveranstalter.

Erzielt hat man eines auf jeden Fall: Medienbeachtung. Fernsehen, Badio, Zeitungen, Magazine waren voll mit Meldungen: „Singer ausgeladen", „Bedeverbot für Bioethiker" und so weiter.

War das der Hauptzweck? Wenn ja - was die Veranstalter heftig bestreiten -, dann wäre das Ganze ein frivoles, obszönes Spiel gewesen. Dann hätte man mit Emotionen anderer, mit Ängsten und Befürchtungen Schach gespielt. Man hätte ein Thema, das gerade in Deutschland (und Österreich!) nur mit größter Vorsicht angegangen werden darf (freilich soll und muß es diskutiert werden), instrumentalisiert, um in die Schlagzeilen zu kommen.

Dem ganzen die Krone hätte dann der Schlußgag des Kongresses aufgesetzt. F>in vom Veranstalter engagiertes Berliner Team von „Wirklichkeitskonstrukteuren", die „Story Dealer AG", die den Kongreß auf einer Metaebene begleiteten und mit künstlerisch-kreativen Mitteln (siehe „Eindruck machen") Strukturen aufzeigen wollten, hatten quasi als Apotheose für den vorletzten Tag den Vollzug des „Wunders von Heidelberg" angekündigt.

Interessante Vorbereitungen, Inszenierungen und Aktivitäten machten neugierig, und auch die Vorführung bisheriger Aktionen der „Störy dealer" steigerte die Erwartungen: Da präsentierten sich Leute, die den Anspruch erhoben, Wirklichkeit zu inszenieren, die Grenzen zwischen „Bealität" und Täuschung unscharf zu machen, zu verunsichern und dadurch zumindest zum Nachdenken anzuregen (zum Nachschlagen im Lexikon paßt das Stichwort „Konstruktivismus"). Ja, und dann?

Die große Videoleinwand im Hintergrund des Stadthallensaales wurde hell, und die Lautsprecher verkündeten, daß man jetzt, live, mit Peter Sin-

ger in Verbindung treten werde, der in einer anderen deutschen Stadt im Studio sitze und einen Text zur Verlesung bringen werde.

Und so war es dann auch - rund 20 Minuten lang verlas der Philosoph erstens eine Anklage gegen die Fundamentalisten in Deutschland, die ihn nicht öffentlich reden lassen wollten, zweitens eine Kurzfassung seiner bioethischen Argumente.

Der Moderator in Heidelberg versuchte - als Medienmann mit 25 Jahren Badioerfahrung glaube ich, einen scharfen Blick für so etwas zu haben -, den Eindruck zu erwecken, er rede direkt mit Peter Singer, jeweils in kurzen Vortragspausen. Kurz: Die Aura der Unwirklichkeit erweiterte sich auf das zweidimensionale, wenn auch bunte Erscheinen des Peter Singer, und man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch das gestellt war, daß man es hier mit der Vortäuschung eines Live-Kontaktes zu tun hatte und in Wahrheit ein vorbereitetes Band abgespielt wurde.

Wenn das das „Wunder von Heidelberg" war, dann ist es kein Wunder, daß sich am darauffolgenden Tag die Empörung vieler Teilnehmer in der Schlußdiskussion Luft machte -allerdings vor dem halbleeren Kongreß, denn ein großer Teil war an diesem Sonntag bereits abgereist. So gab es wieder keine richtige Diskussion.

Gewiß aber war nun eines: Man hatte eine Absage des Singerschen Auftrittes als „wirklicher" Bedner provoziert. Man hatte ehrliche Empörung und ernstgemeinte Ängste hervorgerufen und eine nicht ungefährliche. Situation, ausgelöst: Die Po-, lizisten vor der Stadthalle hatten ihre Schlagstöcke griffbereit - oft genügt in solch aufgeheizten Situationen ein 1 Funke; und dann? Polizisten, die mit Schlagstöcken auf Behinderte und Bollstuhlfahrer losprügeln?

Man hatte letztlich Singer doch noch ins Kongreßprogramm gebracht, in einem Akt struktureller Gewalt: Gegen eine Video-Großbildleinwand hat man keine Chance außer aufstehen und weggehen. Singer konnte doch noch reden, nur war keine Diskussion mit ihm möglich. Er blieb also unwidersprochen und konnte sich sogar über die „Fundamentalisten" empören, die seinen Auftritt verhindern wollten. Ein Mehr an Hypokrisie ist kaum auszudenken.

Der Heidelberger Kongreß also ein Lehrstück. Ein Lehrstück in Ethik vor allem. „Was wollen Sie? Das war doch der beste E,thikkongreß, den es je gegeben hat!", hieß es. Und diese Meinung hat viel für sich. Denn während es auf Ethikkongressen sonst meistens fad zugeht, war es auf diesem wenigstens lebendig. Und ja - ich muß zugeben: Ich habe dabei viel gelernt. Die Frage ist bloß: Lohnt der Zweck die Mittel?

Und zweitens: Müssen Kongreßteilnehmer, ob mit oder ohne „Namen", sich nicht überlegen, mit wem sie sich da ins gemeinsame „Kongreßbett" legen? Die Beliebigkeit, mit der hier der Effekt gesucht wurde der Erfolg durch hoch emotional aufgeladene Themen, vorgeführt mit allerlei Tricks und Finten unter dem Deckmantel der Postmoderne („anything goes") ist fragwürdig.

Ist das der Preis, den wir der Me-dialität zahlen müssen: Wissenschaftlichkeit und seriöse Analyse sind nur noch „anzubringen", wenn man sie mit einer unterhaltenden Begleitinszenierung versieht?

Der Autor ist

freier Journalist

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