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Die Neuentdeckung christlicher Lebenskunst

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Die Wirklichkeit, in der viele junge Menschen - aber nicht nur Jugendliche - heute leben, ist räumlich und zeitlich eng geworden. Eine seltsame Art der Vertröstung auf das Diesseits ist im Gang. Die Angst zu kurz zu kommen („Ich will alles und zwar subito") ist unübersehbar. Solches Leben verursacht Streß: im Beruf, in der Schule, in der Freizeit. Das Leben scheint in der Tat eng geworden zu sein. Auch deshalb, weil vielen von uns die früher selbstverständliche alltägliche christlichreligiöse Lebenskunst und damit eine Gelassenheit vermittelnde „Transzendenzspannweite" (Zulehner 1994) abhanden gekommen ist.

Trotz dieser Diagnose orten Sozial -und Trendforscher vor allem in den westlichen Gesellschaften massiven religiösen Bedarf. Sie definieren Beli-giosität als „Megatrend". Die Suche nach dem Glauben wird zum Biesengeschäft. Ob es dabei um eine authentische Suche nach Sinn und Halt geht oder, wie viele meinen, um eine gigantische psychoreligiöse Verblödungsindustrie (Haerpfer/Weinzierl 1995), bleibt vorerst offen.

Die traditionellen Beligionen haben wenig von diesem Boom. „Die Suche nach der religiösen Aura" spielt sich immer weniger bei institutionell verfaßten Beligionen (auch nicht außerchristlichen) ab, sondern an anderen Orten: Musik, Medienkonsum, die überidealisierte Zweierbeziehung, Selbsterlösungsversuche, diverse Glückspraktiken, Extremsport und Körperkult sind Stichworte für die (vor-)religiösen Suchbewegungen der jungen Menschen. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist, daß jede/r die Intensität dieser Suche individuell bestimmen kann. Auch der kommerzielle Markt wird einer der Hauptgötter der Moderne, „wir leben in einem Polytheismus der Marken und Moden" (Bolz/Bosshart 1995).

Die christlichen Kirchen tun sich angesichts dieses Markts von modernen Kulten und Bitualen schwer, der subjektiven Beligiosität der Jugendlichen gerecht zu werden. Allerdings sind die alternativen Formen von Beligiosität nicht für den Bedeutungsverlust des Christentums verantwortlich, sondern eher eine Folge davon. Die Belativierung christlicher Vorstellungen kennt andere Gründe: Zum einen ist es wohl die Konzentration der Jugendlichen auf das eigene Ich. Dazu kommt die mangelnde Attraktivität der christlichen Kirchen. Noch schwerer wiegt wahrscheinlich, daß die „Kanäle der Glaubensvermittlung" verstopft sind.

Hinter dem Bedeutungsverlust christlicher Beligion steckt wohl auch ihr- Plausibilitätsdilemma. Trauen wir dem christlichen Gott, seinen Botschaften, seinen irdischen Stellvertretern nichts mehr zu? Neben der Problematik einer möglicherweise mangelnden Mystagogie stellt sich die Frage nach der Bedeutung der christlichen Beligion für die modernen westlichen Gesellschaften. Die kirchliche Praxis scheint zu zeigen, daß in anderen Kulturen das Christentum den Menschen in ihren Freuden und Sorgen wesentlich mehr zu bieten hat als bei uns.

Folgt man der Charakteristik von Pastoral, wie sie im Zweiten Va-tikanum und den darauf folgenden Synoden entworfen wurde, läßt sich Jugendpastoral als zweckfreier Dienst aller Glieder der Kirche an, mit und durch junge(n) Menschen umschreiben. „Sie ist immer zugleich ein Dienst am einzelnen jungen Menschen und ein Dienst an der Gesellschaft, deren Schicksal davon abhängt, wie die Generationen miteinander zu leben und zu arbeiten verstehen." (Gemeinsame Synode der Bistümer Deutschlands 1975) Diese höchst aktuelle Charakteristik von Jugendpastoral muß für eine Zieldefinition präzisiert werden, vor allem angesichts einer jungen Generation, die sich immer stärker differenziert.

Die Orientierung an der Praxis Jesu hilft weiter. „Freiheit" und „Leben" etwa sind zwei Grunddimensionen, mit denen sich sein Handeln an und mit den Menschen umschreiben läßt. Jesu Anliegen sind die Menschen, vor allem jene, die zu wenig vom Leben haben. Ihnen will er Freiheit und Leben eröffnen und damit den Blick auf das anbrechende Beich Gottes öffnen. Im Traum Gottes, im Traum Jesu vom Menschen geht es um sinnvolles und geglücktes Leben.

Für heute muß das bedeuten, daß Jugendpastoral ernst macht mit dem Dienst an der Bewältigung des Lebens junger Menschen am Ende der Moderne. Dies kann im Blick auf die Zielgruppen einer solchen Jugendpastoral konkretisiert werden. Mit „jungen Menschen" sind nicht nur „konventionelle" Jugendliche zwischen 14 und 19 gemeint, denen wir üblicherweise in der Jugendpastoral begegnen, sondern auch jene, die der JUpA derzeit besonders fehlen: (kirchen-) kritische Jugendliche, berufstätige Jugendliche, junge Erwachsene beispielsweise. Zur Herausforderung werden auch Gruppen, die wir als Jugendliche am gesellschaftlichen Band oft übersehen.

Für die Wirksamkeit solcher Ziele ist die rigorose Annahme der Welt, in der wir leben, und die Inkulturation des Evangeliums in diese Welt hinein eine Vorbedingung. Zu entwerfen ist eine Jugendpastoral, die sich an die westeuropäische Jugend des 21. Jahrhunderts wendet und die ihre theologischen Paradigmen aus den geistlichen und gesellschaftlichen Quellen dieser Begion bezieht. Weder die Beispiele der lateinamerikanischen Befreiungstheologie noch die Hoffnung auf eine Be-Evangelisierung durch die befreiten Christen Osteuropas entbinden uns von dieser Aufgabe.

Jugendpastoral ist der christlichen Lebenskunst dann auf der Spur, wenn sich im Alltag der Jugendlichen bewährt, was empirische Forschungen zeigen: Hochnotwendige Kompetenzen wie die Fähigkeit zu Gerechtigkeit, Solidarität und Sinn können im Umkreis von Beligion gut gedeihen. Wer religiös ist und dies gemeinsam mit anderen Christen lebt, vermeidet eher die himmelschreienden Sünden wider die Gerechtigkeit. Verbindliche Beziehungen fallen leichter; unter anderem deshalb, weil man sich nicht ausschließlich auf diese verlassen muß. Wer christlich ist, kommt in der Begel auch mit den Fragen nach dem Sinn des Lebens besser zurande.

Der Autor ist

Assistent am Institut für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

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