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Die neuzeitliche Technik und die Kulturkrise

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Die „Furch e” setzt mit dieser Stellungnahme eines angesehenen Technikers und Fachwissenschaftlers die Diskussion über das so schicksalsschwere und hochbedeutsame Phänomen der modernen Technik fort (vgl. Nr. 41/1948: „Seele im Bannkreis der Technik”), — Als nächster Beitrag zu diesem Thema folgt ein Referat über die gegensätzliche Stellung nähme, die Friedrich Georg Jünger in seiner „Perfektion der Technik” bezieht.

Jie Technik ist eine ebenso alte Dienerin Menschen wie die ärztliche Kunst oder Sternkunde. Im 19. Jahrhundert hat sie : besondere Richtung erlangt, die wir als zeitliche Technik ansprechen.

Diese ist das Ergebnis der Math e- tik und Naturwissenschaf- i. Sie stellt eine einmalige, eine einzig- ge Ausdrucksform der abendländischen ilisation dar. Sie ist nur dieser eigen.

Die neuzeitliche Technik ist hinsichtlich Stoffes in erster Linie eine Technik des :ns. Sie ist dann weiter, in Ableitung vom :n, die Technik des Ingenieurbaues, der chinen, der Elektrizität, der Chemie, r können sie am einfachsten mit den i Worten kennzeichnen: Eisen, Maitine, Energie. ..

Den durch sie geschaffenen Möglichkeiten 1 das Rechtsleben und die Erziehung, itik, Volkswirtschaft und Verkehr, ins- ondere aber die Völkerorgani tion nur zögernd’ und widerwillig ge- ;t. Das Denken und die Vorurteile vieler nschen und Gemeinschaften haften noch usehr an alten Vorstellungen. In vieler isicht leben wir im Mittelalter wie die inesen.

Mit Bedauern sehen wir, daß nur wenige chter und Künstler den lauten f hören, der sie zum Schaffen an Themen dem Bereich der Technik und Wissen- ift der Gegenwart einlädt, statt dessen Imen sie sich oft romantischen und nchmal abgegriffenen alten Stoffen: nche wieder fühlen sich durch die Tech- zu unkünstlerischer Phantastik angeregt. le besitzen noch keine • Organe für urwissenschaftlich oder technisch gelenkkünstlerisches Denken und Schauen. Aus sem Unvermögen kommt dann die Klage :r die „kunstlose Technik”, die „pro- che Gegenwart”, den „Ungeist der Zeit”.

Jer Güterverbrauch, ausgedrückt •ch den Erzeugungswert, das ist Arbeits- :r Energieaufwand, hat sich in Europa hrend des 19. Jahrhunderts schätzungs- ise verzwanzigfacht. Das Verlangen der nschen nach Gütern aller Art ist trotz- n noch nicht annähernd befriedigt und imt unausgesetzt zu. Die Steigerung um- t vorhandene Güterarten und neuerfun- le. Das ist das Wunderbare der neuzeit- cen abendländischen Zivilisation, daß ihre chnik alle notwendigen Güter in steter aeitssteigerung bis zu unbegrenzten Men- i erzeugen, die mechanische Arbeit von Maschine leisten, den Menschen von werer Arbeit befreien und die voll- nmensten äußeren Bedingungen höheren nschentums schaffen kann.

Die soziale Sendung der Tech- k begleitete durch das letzte Jahrhundert hemmungslose Wirtschaftslibe- 1 i s m u s. Diesem folgen revolutionäre nschichtungen der sozialen Struktur in ropa und Übersee, Ausplünderung der •tschaftlich Schwachen und weiter gesell- aftlich und biologisch ungesunde Massen- cammlungen der Menschen in den Groß- dten sowie viele andere Übel und Entartungserscheinungen. Die durch den Wirtschaftsliberalismus entstandenen Schäden der menschlichen Gesellschaft sind langsamer abgebaut worden, als die geschaffenen Umwälzungen durch die Technik fortschritten.

Für den Mißbrauch der Teeh- n i k und die vorhandenen Entartungen ist die Wirtschaftsordnung verantwortlich, nicht aber die Technik. Man kann ebensogut auch andere Töchter des Geistes der Missetat beschuldigen, wie an naheliegenden Beispielen ersichtlich gemacht werden könnte.

Wir erblicken in der Technik eine K u 11 u r f u n k t i o n, so wie die reinen Geisteswissenschaften, weiter die Kunst und die Religion Kulturfunktionen sind. Deren Vertreter sind häufig nicht fähig oder willig, die hohe Funktion der Technik zu erkennen. Wir Techniker sind nicht so überheblich und einseitig, daß wir in der Technik und Naturwissenschaft, die Triumphe des menschlichen Geistes sind, die letzte und einzige Weisheit sehen. In der Vermählung der Technik mit den andern Kulturfunktionen erblicken wir das Heil. Der Geist ist es, der die Maschine bewegt. Nicht ihr Sklave sei der Mensch, sondern ihr Herr! Für unser Volk schafft die Technik die Voraussetzung und das Rüstzeug seines physischen und geistigen Bestandes. Ein Volk ohne, hochentwik- kelte Technik und Naturwissenschaft ist schwach und kann im Wettbewerb mit andern Völkern nicht bestehen. Es wird früher oder später wirtschaftlich und politisch, geistig oder seelisch versklavt, unter Umständen ausgerottet bis auf kümmerliche Reste, wie das Beispiel der nordamerikanischen Indianer zeigt. Es nützt nichts, diese rauhe Tatsache, die „Macht des Materialismus” und die Unbarmherzigkeit der Welt zu beklagen. Es handelt sich um die gleiche Erscheinung, die das ganze Naturgeschehen beherrscht und auf Kampf einstellt.

Die abendländische Zivilisation steht noch im Schwung der Jugend. Ihre Kraft ist üngebändigt und ihr Höhepunkt noch nicht erreicht. Wir sehen die wachsende Macht, die das Menschengeschlecht durch die neuzeitliche Wissenschaft und Technik über die Natur gewinnt und wie durch diese die äußeren Bedingungen seiner Wohlfahrt vervollkommnet werden können. Wir sind überzeugt, daß das bisher Erreichte nur ein Vorspiel der kommenden Wunder ist.

Wir glauben nicht an jene „Propheten”, die erklären, daß unsere Wissenschaft die Seele verdunkle und eine trügerische Aufklärung sei.

Ebenso bedenklich ist die offene oder nicht ausgesprochene Gegnerschaft der Geistforscher gegen die neuzeitliche Wissenschaft. Die selbst- und vorurteilslose Wissenschaft sucht die Wahrheit, das heißt das Erkennen der Natur, selbst in belanglos erscheinenden Einzelheiten, ohne danach zu fragen, ob damit vorerst. ein Vorteil für den Menschen oder ein Fortschritt im Wissen um allgemeinere Zusammenhänge verbunden sei. Der Geistforscher behauptet, durch höhere Schau ohne Kenntnis der äußerst mühsam zu erarbeitenden Einzeltatsachen die Wahrheit ergründen zu können. Dieser Weg kann nie zur wahren Erkenntnis der Natur und zum dauernden Glück der Menschen führen. Er gleitet ab in das Gestrüpp der dürren Spekulation. In dem Geistesdidccht bleibt das von ihm gefangene Volk hilflos und schwach liegen, fernab vom grünen Lebensbaum der wirklichen Wissenschaft, die die begnadeten Völker zu höchster Leistung und größtem Erfolg führte.

Naturwissenschaft und Technik lehnen den ihnen von mancher Seite zugewiesenen Zusammenhang mit bösen Entartungen ab. Wir beklagen aufs tiefste das Unverständnis der Kunst- und Geistträger gegenüber den Leistungen der Technik, den Wundern der Wissenschaft und der Schöpferkraft des menschlichen Geistes. Dies ist eine schmerzliche Verfallserscheinung der abendländischen Zivilisation.

Es ist die Tragik der Gegenwart, daß die Kunst- und Geistträger mit dem Neuen so wenig anzufangen wissen und es als bös und verderblich ablehnen. Darin liegt die Unausgeglichenheit der Weltanschauungen, die Zerrissenheit der Menschenseele, die Kulturkrise der Zeit. Aus ihr sind die Futuristen und Dadaisten entstanden, deshalb konnten Corbusier und andere, die sich als Künstler ausgeben, so viele Anbeter finden und das Kultur- und Kunstschaffen vergiften. Die Schriftsteller suchen verkrampft nach neuen Stoffen für ihr Schaffen, weil sie die nach künstlerischer Verklärung und Erlösung rufende Technik nicht hören. Deshalb ist die n e u z e i t- licheBaukunstso dürftig im Verhältnis zum Schwung des wissenschaftlichen Ingenieurtums.

Nicht die Naturwissenschaft und Technik sind schuld an den Schäden der Zeit! Abgesehen vom sozialen Aspekt der neuen Erscheinungen, ist im geistigen und seelischen Bereich schuld an der Kultur- und Kunstkrise das Unvermögen der Künstler und Geistforscher, die neue Kulturfunktion und Mission, die Schöpfungen der Wissenschaft und Technik, zu verstehen, mit ihrer Seele zu erfassen und so künstlerisch oder philosophisch zu gestalten.

Das Phänomen der neuzeitlichen Technik ist bisher offenbar nur von verhältnismäßig Wenigen begriffen worden und insbesondere nicht von. jenen, die sich als die berufenen Kultur- und Geistträger betrachteten. Es ist notwendig, daß das äußere Leben, wie es durch Naturwissenschaft und Technik mit unentrinnbarer Kraft geformt wird, in künstlerische Harmonie zum innern Menschen gelange, in ähnlicher Weise, wie im Hellenentum die bildende und darstellende Kunst, Sprache und Dichtung, Religion und Philosophie Ausdrucksformen des gleichen einheitlichen griechischen Geistes sind, dem wir uns so nahe fühlen. Der naturwissenschaftlich technische Geist ist ein Analogon zum wunderbaren Geist des Helenentums, der sich nicht mehr wiederholen wird.

Die Frage nach der Dauer dieses unseres technischen Zeitalters ist bisher nicht gestellt worden. Den meisten Menschen wird die Frage merkwürdig erscheinen. Die wenigsten werden überhaupt an sie gedacht haben, weil die meisten dieses Zeitalter selbstverständlich und naiv für dauernd halten. Und trotzdem ist es ganz gewiß, daß das Zeitalter der Naturwissenschaft und Technik nicht unbegrenzt währen wird. Es wird vorübergehen wie das Hellenentum und jeder Kulturabschnitt der Menschheit. Man wird dann Wissenschaft und Technik nachahmen können, so wie sie andere Völker nachgeahmt haben oder wie man im 19. Jahrhundert griechische Tempel und gotische Dome gebaut hat.

Das Einmalige ist die Schöpferkraft des Geistes!

Aus: Rudolf Saliger, Denken und Tun eines Technikers

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