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Die öffentliche Hinrichtung als
”Die Amerikaner halten im Wortsinne, nicht im ideellen Sinne, an ihrer Verfassung fest, so wie die Bibelfundamentalisten ihre Bibel nicht interpretieren, sondern leben wollen. Wir mokieren uns über die Brutalität des Mittelalters. Doch die Forderung eines amerikanischen Show-Masters nach einer Live-Übertragung einer Hinrichtung wird ernsthaft diskutiert.
”Die Amerikaner halten im Wortsinne, nicht im ideellen Sinne, an ihrer Verfassung fest, so wie die Bibelfundamentalisten ihre Bibel nicht interpretieren, sondern leben wollen. Wir mokieren uns über die Brutalität des Mittelalters. Doch die Forderung eines amerikanischen Show-Masters nach einer Live-Übertragung einer Hinrichtung wird ernsthaft diskutiert.
Im amerikanischen Fernsehen, wir wissen es, blüht die billigste, schäbigste, aber für Millionen von Menschen verlockendste Form des Sendungmachens - die Talk Show. Niveau hat es in diesem Genre nur selten gegeben, aber daß ein Tiefersinken bodenlos sein kann, das erfahren wir stets aufs neue. Nur, wer sich darüber vor Grauen schüttelt, der sollte sich die Frage stellen, ob es hier bei uns wirklich kein „Publikum” geben würde für etwas, das doch vor einigen hundert Jahren überall zur beliebtesten „Unterhaltung” gehört hatte: die öffentliche Hinrichtung.
Und Amerika? Phil Donahue, dem längst weißhaarigen und bereits jahrzehntelangen Liebling gelangweilter Hausfrauen beim Kochen und Saubermachen, sind seine Themen nie ausgegangen -oder doch? Denn daß er, und alle die anderen, die sich in trauriger Banalität um die Einschaltquoten streiten, längst schon ihre Themen nur noch im Abartigen und Häßlichen finden, das weiß und akzeptiert inzwischen jedes Kind. Nur noch um sexuelle Andersartigkeit, grausam-üble Mißhandlungen, Ruchlosigkeit und Verbrechen, Drogenelend oder Geistesschwäche geht es in diesen Sendungen, die auf Dutzenden von Kanälen Amerikas Morgen-, Nachmittags- und Nachtstunden ausfüllen. Wer in diesem Schmutz Nummer eins sein will, der muß sich schon etwas einfallen lassen — und Phil Donahue will der Erste bleiben. Sein Vorschlag also: Zeigen wir doch die Hinrichtung eines” Mörders im Fernsehen!
Einen willigen „Star” hatte er schon bei der Hand. David Law-son, der im Staate North Carolina wegen eines bei einem Einbruch 1980 begangenen Mordes am 15. Juni hingerichtet werden soll, gab Donahue die Filmerlaubnis. Law-son darf wählen, ob er mit Giftgas oder durch Injektion exekutiert werden soll.
Phil Donahue hat die besten Anwälte auf seiner Seite. Da die Gefängnisbehörden in North Carolina den Antrag auf ein Filmen der Hinrichtung ablehnten, ging der Talk Show Host in die Berufung. Er führt dafür das hunderttausendfach mißbrauchte Erste Amendment der US-Verfassung froßspurig im Munde, das den ürgern Freiheit der Meinungsäußerung garantiert. Wenn er die
Hinrichtung nicht filmen dürfe, dann sei dies, so Phil Donahue, eine Form der Zensur - nur eben keine Zensur des Todeskandidaten, sondern der gesamten Bevölkerung, die bei diesem Sterben zusehen möchte.
ÖFFENTLICHES INTERESSE?
In Interviews versucht Donahue ungeschickt, seiner Sensationsgier, die ja mit Geldgier direkt in Verbindung steht, ein Mäntel-chen des öffentlichen Anliegens umzuhängen. Aber es wirkt nicht, wenn der süffisant-frech lächelnde ältere Herr vor den Kameras erklärt, daß immerhin in 37 der 50 Staaten der Union noch die Todesstrafe verhängt werden kann, und daß seine Übertragung der Hinrichtung die Menschen an den „Preis der Sünde” endlich erinnern würde, also zur Einschränkung des Verbrechens beitragen werde.
Hinrichtungen in amerikanischen Gefängnissen verlangen zumeist die Anwesenheit von zwölf Zeugen. Es sind meistens medizinische oder juristische Experten, manchmal auch Freunde oder Familienmitglieder des Todeskandidaten, und durchaus auch Journalisten, die das Ereignis beschreiben, nicht aber im Bild festhalten dürfen. Die Behörden fast aller 37 Staaten- haben sich übrigens im Prinzip gegen die Forderung Phil Donahues ausgesprochen - es gebe nun einmal Dinge, zu denen die Allgemeinheit keinen Zutritt haben soll.
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