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Die Österreicher im zweiten Weltkrieg

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Dieser Eindruck wird verstärkt, sobald man sich mit dem Beitrag „Die Österreicher im zweiten Weltkrieg“ auseinanderzusetzen beginnt. Diese gewiß nicht leichte Aufgabe hat Doktor Johann Christoph A11 m a y e r-B e c k übernommen. Der Autor scheint sich bewußt gewesen zu sein, daß seiner ein historisch-politisches „Himmelfahrtskommando“ harrte. Schon eingangs stellt er die Frage: „Ist es nicht ein Widerspruch, in einer österreichischen Heeresgeschichte eine Zeit zu behandeln, in der es keine österreichische Armee gegeben hat?“ Wir sind mit ihm einer Meinung, wenn er diese Frage verneint. Ein Buch, das den Österreicher als Soldat in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, kann gewiß nicht nur die blutigen Jahre 1939/45 mit weißen Seiten hinweggehen. Man kann 230.000 Tote nicht „ausklammern“. Man darf es auch nicht. Wohl aber müßte man von der Höhe der Zeit und im Lichte der ■historischen Wahrheit ihren Opfergang so darstellen, daß daran von niemandem zu rütteln und zu deuteln ist.

Leider versagt sich der Autor dieser Notwendigkeit. Er stellt sich zunächst die Aufgabe, den Einheiten des österreichischen Bundesheeres nach deren Eingliederung in die Deutsche Wehrmacht nachzuspüren und ihr schließliches Versickern im graugrünen Meer in gewiß mühevoller Kleinarbeit gewissenhaft darzustellen. Wenn Allmayer im Zug dieser Untersuchung mit dem hie und da zu hörenden Schlagwort von den „österreichischen Divisionen“ der Deutschen Wehrmacht aufräumt (S. 356 f.) und den Nachweis erbringt, daß nicht einmal die „Divisionen der alpenlän-dischen Wehrkreise“ als „österreichisch“ angesprochen werden konnten, so muß man ihm dafür danken. Die Frage bleibt nur, warum dann überhaupt so viel Mühe aufgewendet wird, um da und dort ein kleines „österreichisch“ beziehungsweise ostmärkisch etikettiertes Rädchen in Hitlers Kriegsmaschine ausfindig zu machen. Etwa deshalb, um auf soldatische Einzelleistungen sprechen zu kommen, die die von der Wehrmacht eingezogenen Österreicher „damit völlig ebenbürtig den Besten unter ihren übrigen Kameraden im grauen Rock erscheinen läßt“ (S. 365). Aber aber! Das sind doch nur die alten Minderwertigkeitskomplexe von „Kamerad Schnürschuh“ gegenüber „Kamerad Knobelbecher“, des „schlappen Ostmärkers“ dem „zackigen Preußen“ gegenüber. Das kann doch nicht 1963 die Perspektive des Österreichers vom zweiten Weltkrieg sein?

Mehr Mut zu einem Bekenntnis

So zuverlässig Allmayer in seiner beinahe detektivartigen Kleinarbeit ist, so sehr läßt er uns leider im Stich, wann immer von ihm eine grundsätzliche Stellungnahme, ein klärendes Wort gegenüber neuen und alten Mythen erwarten. Mehr noch: Er zieht sich hier hinter ziemlich vage Formulierungen zurück, wie jener: „Noch zu brennend sind die Wunden, die diese Zeit geschlagen hat; noch stehen wir zu nahe, als daß es dem Historiker zukäme, mehr bieten zu wollen als die Fakten, die losen Zahlen“ S. 344).

Unser aller Wunden, die körperlichen und die seelischen, in Ehren: Ein Kunststück kann niemals gelingen, zur Wiedergeburt Österreichs aus vollem Herzen „ja“ zu sagen und gleichzeitig den tragischen Waffengang der Österreicher im zweiten Weltkrieg in den Reihen der Deutschen Wehrmacht als Kampf fürs Vaterland mit allen Konsequenzen anzusehen. Das aber ist gerade der böse Geist der Verwirrung, den wir in manchen Führungskreisen unseres Heeres immer noch begegnen müssen und die dasselbe gerade jene entfremdet, die für nichts aufgeschlossener sind als für eine wirklich österreichische Wehrgesinnung. Dem Schatten dieses Ungeistes hat sich leider auch die Arbeit von Allmayer-Beck nicht entziehen können. Niemand bedauert dies mehr als wir, die wir den Autor als Menschen und Historiker wohl kennen und schätzen.

Widerstand in „Fußnoten“

In diesem Zusammenhang noch eine ernste Feststellung: Kann man sich vorstellen, daß heute in der Bundesrepublik Deutschland eine Darstellung über den deutschen Soldaten der letzten 300 Jahre erfolgt, ohne daß darin die Männer des 20. Juli in einem gesonderten Kapitel einen Ehrenplatz bekämen? Man kann es nicht. In diesem Buch über den österreichischen Soldaten wird man einen Beitrag der Österreicher im Widerstand gegen Hitler vergeblich suchen. Dieser ist in eine Fußnote „abgedrängt“. Erklärung: siehe oben.

Wenn der Amerikaner James A t k i n s o n zitiert wird, der dem deutschen Offizierskorps bescheinigt, daß es — mit wenigen Ausnahmen — alles tat, „um die Brutalität der Nazis zu mildern“ (S. 360), so mag dies schon seine Richtigkeit haben und auch auf viele Österreicher in deutscher Offiziersuniform zu übertragen gewesen sein. Wenn aber gemeint wird, dafür „seien ganz besonders auch Offiziere, wie Biedermann, Huth und Raschke, gestorben“, so ist dies doch eine sanfte Untertreibung. Niemand anderer als Hauptmann Huth gab mit seinen letzten Worten klar Auskunft darüber, wofür ihm und seinen Kameraden das Leben einzusetzen nicht zu teuer war: „Für Gott und Österreich!“

Muß also diese „Bewältigung der tausend Jahre“, in denen es keine österreichische Armee, aber sehr viele Österreicher als Soldaten gab, als letzten Endes leider nicht befriedigend angesehen werden, so ist die Aufnahme deutscher PK-Photos durch die Herausgeber eine grobe Instinktlosigkeit, die auf keinen Fall zu vertreten ist. Damit Ost und West in gleicher Weise mit dem Buch eine Freude haben, werden uns nicht nur vor deutschen Fallschirmjägern kapitulierende Engländer, sondern auch Gefangene der polnischen Heimatarmee (letztere übrigens mit einer Fehldatierung: Der Warschauer Aufstand war 1944, nicht 1943!) vorgestellt. Kein Wunder, daß dann bei der Textierung auch die Nomenklatur des Dritten Reiches durchschlägt.

Selbst die von Himmler am 27. Juli 1942 ' befohlene Sprachregelung, „Banden“ statt „Partisanen“, fehlt nicht. Diese Bilder und diese Texte haben in einem Buch, das sich „Unser Heer“ nennt und dieses Wort dazu noch in rot-weiß-roten Buchstaben schreibt, nichts zu suchen.

Aktion gegen die alten Soldaten?

Über den Rest ist rasch berichtet. Er ist in Wort und Bild dem Aufbau des Bundesheeres in der Zweiten Republik reserviert. Unter den durchweg sachlichen, mitunter freilich ein wenig farblosen Aufsätzen zeichnet sich der Beitrag von Oberst d. G. Anton L e e b sowohl durch Themenwahl („Die österreichische Neutralität und ihre wehrpolitische Bedeutung“) als auch durch sein Niveau aus. Ministerialsekretär E11 i n g e r möchten wir auf ein Wort bitten. Er wettert in seinem Aufsatz über „Österreichische Wehrverfassung“ gegen die „radikalen Pazifisten aller Schattierungen“, die sich angeblich aueh nach dem zweiten Weltkrieg zur „Aktion gegen die alten Soldaten“ sammelten. „Mit allen Mitteln versuchten sie, die soldatischen Tugenden ihres traditionellen Glanzes zu berauben und die Ehre der Soldaten in die Gosse zu ziehen.“ Mit solchen „markigen“ Worten mag man sich vielleicht den Beifall auf einer Veranstaltung irgendeiner radikalen Gruppe des Kameradschaftsbundes holen, an der Wirklichkeit gehen sie aber vorbei. Wer wach die letzten fünfzehn Jahre durchlebt hat, wird registrieren können, daß ein schwärmerischer Pazifismus um jeden Preis in Österreich keinen Nährboden hat. Wohl aber ist die österreichische Öffentlichkeit hellhörig, wenn unter dem Deckmantel der Soldatenehre Stimmung für ganz andere Dinge gemacht wird.

Was unser Heer in der. Gegenwart zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht, ist neben den materiellen Voraussetzungen vor allem ein klares geistiges Konzept, das es fest in Staat, Volk und Gesellschaft einwurzelt. Einen Beitrag dazu, einen sehr wichtigen Beitrag, von der Seite der Historie hätte das vorliegende Werk geben können. Es blieb nach guten und sehr erfreulichen Anfängen jedoch vor den entscheidenden Hürden stecken. Die 300 Jahre österreichischen Soldatentums machen keine Schwierigkeit, den „tausend Jahren“ steht man aber noch ziemlich unklar, ja hilflos gegenüber. Und gerade von ihnen müßte bei einer Standortbestimmung österreichischen Soldatentums in der Gegenwart ein klares Bild gegeben werden.

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