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Die Operation

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Eine Operation ist etwas Mysteriöses. Merkwürdige Schauer gehen von ihr aus. Fs hat viele tausend Jahre gebraucht, bis die Menschheit sich dazu entschlossen hat. Die Operation ist wie eine mystische Weihe, du stirbst in der Narkose geheimnisvoll und wirst, wenn dir die Mächte gnädig sind, zu einem neuen Leben geboren. Daß der lebendige Leib geöffnet wird, ist für den naiven Menschen ungeheuer. Das helle Rot des cjr öffneten Menschenleibes ist unvergeßlich.

Die Operation ist aber auch etwas Existentielles. Du wirst durch das Schicksal (oder durch Gott) vqr eine Entscheidung gestellt. Man winkt dir sozusagen mit dem himmlischen Scheunentor. Ein neuer Weg bietet sich dir dar, da sich der alte als unbrauchbar erwiesen hat. Du sollst in eine neue Straße einbiegen. („Wollen Sie beichten?“ fragte die Schwester zwei Polizisten heben mir, die am nächsten Tag operiert werden sollten. Da keiner gleich antwortete, sagte sie: „überlegt es euch bis morgen“, und ging.) Daß die Operation, der Eingriff in die menschliche Substanz, notwendig war, bedeutet doch, daß etwas nicht stimmt in deinem Leben.

Also, da liegst du schlaflos im Bett und bedenkst deine Situation. Soll ich mich operieren lassen oder nicht? Und auf einmal bist du entschlossen. Du willst mit der Taufe dieses Leidens getauft werden, um das Heil zu erlangen, auch auf die Gefahr hin, daß ...

Bald darauf gehst du ins Spital, legst in der Aüfhahmekahzlei deine Papiere vor, und die Schwester schreibt alles auf. Wenn du nicht bei der Krankenkasse bist, dann zahlst du eine Angabe. Am Schluß noch eine kleine Frage (klein, aber verfänglich, denn sie reißt weite Horizonte auf): „Wer sind die nächsten Angehörigen?“ Natürlich kommt das bei dir nicht in Frage. „Eine Formalität“, bedeutet die Schwester, notiert aber sehr genau mit ihrer zierlichen Handschrift Adresse und Telephonnummer. Wie mancher hat schon lachend Antwort gegeben, und dann lag er weiß da mit spitzer Nase. Auf demselben Bogen ist noch etwas zum Ausfüllen, aber das geschieht von Amts wegen, wenn alles vorbei ist. Man gab mir einmal den Bogen zum Mitnehmen in den Operationssaal. Da las ich: Geheilt entlassen? Ungeheilt entlassen? Gestorben? So fallen die Breitseiten auf dein sicheres Schiff des Lebens.

Eine andere Schwester führt dich Zu deinem Bett, und du verstehst nicht, daß du dich am hellichten Tage niederlegen sollst. Du hörst nur, daß du vorbereitet werden sollst. (Ich hörte dieses Wort zum ersten Male, als wir auf die erste heilige Kommunion vorbereitet wurden.) Du darfst nichts mehr essen (Welche Ähnlichkeit!) und bekommst einen Löffel voll widerlicher Bitterkeit und bemühst dich, Haltung zu bewahren, denn die Schwester schaut so wissend und überlegen drein. Dann hast du auf einmal Bedürfnis, dich im Milieu umzuseheh, und sprichst mit den Nachbarn. Was fehlt dir? ist die häufigste Frage im Spital. Magen, Struma, Appendix. Allzu viele Möglichkeiten gibt es nicht. (Der junge Polizist zog seinen Schlafanzug an, setzte sich aufs Fensterbrett — am liebsten hätte er eine Zigarette geraucht — und beteuerte: Wenn ich mich einmal entschlossen habe,

dann gibt es kein Zurück! — Kindliche Beteuerung. Am nächsten Tag lag er still und bleich im Bett und antwortete mir nur mit den Augen. Eine ganze Welt lag zwischen gestern und heute. Er war in eilte neue Ekistenz getreten.)

Die Natht vor der Operation ist merkwürdig. Der Schlaf reißt immer wieder ab, du hörst die Wasser der Tiefe rauschen und siehst dunkle Vorhänge. Und du kannst einsam sein, daß Gott erbarm. (Die beiden Polizisten unterhielten sich mit dem dritten ihres Berufes, der älter war und eine Charge hatte. „Wenn man gebeichtet hat, fühlt man sich sicherer ! sagte er, „aber das ist Ansichtssache. „Ich geh auch beichten“, sagte der Junge Vom Fensterbrett. „Das gehört dazu“, schloß sich der dritte an.)

Wie seltsam bleich der Morgen graut. Noch weißt du nicht, wann du drankommst, suchst Ablenkung, aber die schwarze Wand geht auf dich zu.

Da kommt die Schwester mit einer Spritze, faßt dich ins Auge, deckt dein Bein ab, und du fühlst einen kleinen schmerzhaften Stich. Das ist schon nähere Vorbereitung. Dann kommt der Diener — da sollst du das Trinkgeld bereits in der Hand haben — mit seinem Wagerl und hilft dir hinauf. (Der junge Polizist war bleich, als er aufstieg; wie lange hatte er davor gebebt. Aber es gab kein Zurück.) Dann rollst du über den langen Gang, und plötzlich gibt der Boden unter dir nach. Du sinkst im Aufzug nach unten. Wehn der Wagen steht, siehst du vor dir eine große weiße Wand. (Erschien sie in der Nacht nicht schwarz im Traum?) Du mußt warten, weil sie mit dem anderen noch nicht fertig sind. Dann öffnen sie, und ... eine Leiche fährt an dir vorbei. Nein, keine Leiche. Er sieht nur so aus. Die Ärzte laufen fort, die Schwestern eilen hin uhd her. („Schwester, putzen Sie das Blut weg, ich kann keines sehen“, versuche ich zu scherzen. Aber sie kennt mich schon gut, weil ich zu oft komme.) Du wirst an Ort und Stelle geführt. Ein moderner Operationssaal ist etwas Herrliches. Weiße Kacheln, blinkende Chrom, riesige Fenster, über dir ein geheimnisvolles kaltes Licht, so groß wie die Sonne. („Bei Ihnen ist es ein Genuß, operiert zu werden", scherze ich weiter. Und sie weiß schon, wie ich wieder selbst in tiefster Narkose rhreien werde. Munter sind die Schwestern und allzeit freundlich, das hilft so viel.) Du mußt umsteigen, das heißt du kommst vom Wagerl auf den Operationstisch. Der Kleider beraubt, wirst du neu verhüllt (aufgebahrt?) und gebunden an Händen und Füßen, angenähert auch im Äußeren dem großen Repräsentanten und Haupt des geheimnisvollen Leibes der leidenden Menschheit. Ilhm hat man stärker und endgültiger fixiert: durch Nägel. Du wirst bloß gebunden — wie die Schächer). Da tauchen phantastische weiße Gestalten auf. Nur die Augen erinnern an Menschen, das Gesicht ist hinter einer Maske verborgen. Wessen Boten und Handlanger sind das? Auf jeden Fall die des lieben Gottes! Der Primär nimmt seinen Platz ein, das lange Händewaschen und Anziehen der Handschuhe ist beendet. Die Assistenten umstehen dich. Hinter dir geben sie sich Zeichen. Der Narkotiseur bricht die Ampulle und zieht das Gift in die Spritze. Ich versuche noch einen Scherz: „Herr Doktor, bitte, schauen Sie auf das Fla- scherl, daß Sie kein Benzin erwischen!“ Aber es wird Ernst. Letzte Bezüge fallen dir ein, und die Transzendenz ist dir in diesem Augenblick kein leerer Begriff. „Haben Sie ein künstliches Gebiß?“ wirst du gefragt. Nun schaue, wer Injektionen (und Unangenehmes überhaupt) nicht liebt, auf die andere Seite. Das Evipan dringt bereits durch die winzige Wunde in die Adern. Ich fürchte mich jedesmal, daß sie zu früh anfangen, und wiederhole: „Noch wirkt es nicht, noch immer nicht. Jetzt ein wenig. Der Vorhang... fällt.“ Hier müßte man die Narkotika preisen, auch wenn sie ihre Tücken haben, aber wie stünden wir ohne sie da.

Nun bist du fort, weit, weit fort. Die barmherzige Nacht senkt sich über dich und führt dich in die Nähe des Todes. Was jetzt auch mit dir geschieht, erreicht dich nicht. Zeit und Raum sind ganz anders, unwirklich wie im Traum. Du bist um viele Stufen tiefer gestiegen.

Plötzlich tauchst du aus dem geheimnisvollen Schlaf wieder auf. Die Seel findet sich langsam wieder. Ich tappe mit den Fingern, wie weit sind sie doch von mir fort und nodi halb tot: ich bin nicht mehr gebunden, ich liege bereits in meinem Bett. Du schläfst ein, erwachst wieder! kannst aber die Augen noch nicht öffnen. Du möchtest reden und hättest unendlich viel zu sagen. Du bist glücklich, wenn sich die Schwester ein wenig Zeit nimmt. Das Gift hat dich aufgepulvert. Es erzeugt eine Seligkeit! die dich verstehen läßt, wie jemand sich mit Drogen berauschen kann und darüber süchtig wird.

Bist du nicht wiedergeboien? Gestorben und wieder auferstanden? Getauft mit der Taufe eines mystischen Todes? Kündigt sich dir nicht die Seligkeit eines neuen Lebens an? Oder ist dir das alte wiedergegeben zu neuer Bewährung? Der Vorhang ist wieder hochgegangen, ein neuer Akt beginnt. Wohlan, nun, Akteur, rüste dich, ihn besser zu bestehen!

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