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Die Oratorienwoche

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Ihrer ursprünglichen Bestimmung als Kirchenmusik sind die beiden großen Passionsoratorien von Johann Sebastian Bach längst entwachsen und in den internationalen Konzertsälen heimisch geworden. Ihre geistig-sakrale Ausstrahlung ist jedoch 60 stark, daß selbst der religiös indifferente Hörer im Innersten ergriffen wird; von der menschlich-dramatischen Aussage der Johannespassion ebenso als darüber hinaus in der Matthäuspassion durch ihre dramatische Bewegtheit und Kontemplation verbindende Einheit. Die Aufführung beider Passionen, jährlich wiederkehrend, hatte eine seit langem nicht mehr erreichte künstlerische Höhe. In straffster Spannung baute Hans S w a-rowsky die Johannespassion auf, bis zum Schlußchoral in ständiger Steigerung. In seiner klanglichen wie disziplinvollen Präzision bot der Wiener Jeunesse-Chor ein gleichrangiges Gegengewicht der solistischen Leistungen. (Seefried, Rössel-Majdan, Dermota, Welter, Dickie, Ruzicka, WimbeTger sowie ein Team hervorragender Instrumentalsolisten.)

An der inneren Beteiligung aller Ausführenden hatte das gut disponierte T o n-künstlerorchester seinen redlichen Anteil. — Als schlechthin vollendet darf man die Wiedergabe der M a 11 h ä u s-p a s s i o n bezeichnen. (Singverein, Symphoniker, Sängerknaben, unter Karl B ö h m.) Sie wandelte auf dem schmalen Grat zwischen Romantizismus und Histori-zismus, in einer auf die Spitze getriebenen Ausgewogenheit, die weniger das einzelne (immer verständliche) Wort als die großen musikalischen Linien bei aller Trauer in der Überhöhung der Gnade nachzeichnete, von aller Sentimentalität ebenso frei wie von formalem Alleingenügen. Keine Phrase ging verloren, aber keine war um ihrer selbst willen da. Von den singenden Solisten seien vor allem Fritz Wunderlich a.s Evangelist, Wilma Lipp, Christa Ludwig, Walter Berry und Peter WimbeTger genannt, von den instrumentalen Kurt Rapf (Cembalo). Herbert Tachezi (Orgelpositiv) und Joseph Nebois (Orgel) für alle andern. Der Chor des Singvereins bot eine kaum noch überbietbare Leistung, das Orchester der Symphoniker musizierte bei aller Differenziertheit in stilistisch geschlossener Einheitlichkeit, durch die sichere Kunst des Dirigenten beschwingt wie alle Ausführenden, deren Lob daher vor allem ihm gelten muß. Beide Passionen — dies ist nur ein scheinbarer Widerspruch — vermittelten nicht so sehr einen transzendenten Eindruck als den menschlicher Größe und Würde.

Zwischen den beiden Passionsaufführungen kam das österreichischeste aller Oratorien zu Wort: „Die Schöpfung“ von Joseph Havdn, die dieser selbst als sein Hauptwerk betrachtete. Der große Zug Händeis ist darin spürbar, doch alle Strenge ist gelockert, und wir dürfen wohl sagen, daß hier der österreichische Mensch singt und die Erde mitsingt. Auch die Wiedergabe war eine gelockerte und besonders vom Chor v~r beschwingt, was man vom Orchester leider nicht sagen kann. Eine freundliche Überraschung war Irmgard Stadler als Sopransolistin, in der allem Anschein nach bester Nachwuchs debütierte und eine Oratoriensängerin von Format heranwächst. Mit einigem .Abstand kann man das auch von Erich Kienbacher (Tenor) sagen, während Kunikazu O h a s h i, bereits bewährt im Fache, seine schöne Baßstimme ausgezeichnet führt und kaum noch Textschwierigkeiten hat. Solistenterzett und Chor (Singakademie) standen dem bewährten Dirigenten Hans Gilles-b e r g e r spürbar näher als das Orchester (Symphoniker).

Christoph v. Dohnänyi dirigierte das Orchester der Tonkünstler in einem Konzert des Bach-Beethoven-Zyklus Nach dem mit animierter Frische musizierten 3. Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach erklangen die Variationen über ein Thema von Johann Sebastian Bach für Kammerorchester von Johann Nepomuk David (op. 29 a) und damit ein trotz seiner strengen Kontrapunktik sehr flüssiges und melodisches Werk, dessen knappe Formulierung innerste Konzentration und Ausdruck mit liebenswürdigem Air vereint. Schluß und Höhepunkt des Programms war das 4. Klavierkonzert G-Dur, op. 58 von Ludwig van Beethoven mit Walter K1 i e n als Solisten, dessen durchgeistigtes Spiel sich dank der umsichtigen Führung des Dirigenten auch auf das Orchester übertrug.

Der dritte Debussy-Abend von Jörg D e m u s, der anläßlich des 100. Geburts-tiges des Komponisten alle seine Klavierwerke spielt, brachte in der 1. Rhapsodie für Klarinette und Klavier sowie in den „Douze Etudes ä la memoire de F. Chopin“ (1. Heft) Überraschungen. Besonders die „Douze Etudes“ werden kaum je im Konzertsaal gespielt. Köstlich gleich die erste „pour les cinq doigts d'apres Monsieur Czerny“! Aber auch das übrige Programm wurde durch das feinsinnige Spiel und eenau richtige Maß des Impressiven und Pianistischen zum Erlebnis. In Karl Österreichers (Klarinette) hatte Demus, dem Debussy ebenso liegt wie Schubert, einen bewährten Mitwirkenden.

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