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Die Pernerstorfer sind unter uns

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Eine Geschichte der Sozialistischen Partei, von ihren Anfängen herauf bis in die Tage unserer Gegenwart, liegt vor. Interessiert und unvoreingenommen greift auch der nichtsozialistische, aber durch keinerlei politische Farbkomplexe voreingenommene Leser nach dieser Selbstdarstellung einer der großen, das österreichische Geschick in Vergangenheit und Gegenwart maßgebend beeinflussenden politischen Kräfte unseres Landes. Der Name des Autors, der im persönlichen Verkehr als umgänglich und konziliant bekannt ist, und das Erscheinungsjahr 1952 erwecken trotz Gulick und Gegenbeweisen aus der Tagespolemik Hoffnungen. Wieder einmal. Ist nicht die Zeit überreif, um auch eine Partei geschichte eben als das aufzufassen, was sie ist, als eine Teil geschichte unseres

Staates und Volkes,- maßvoll eingeordnet in die Vergangenheit der Gemeinschaft? Ist nicht nach beinahe acht Jahren der Mitverantwortung in der Regierung, nach der Präsidentschaft eines Dr. Renner und unter der Präsidentschaft eines General Körner hohe Zeit, die eigene und der Gegner Vergangenheit mit anderen Augen zu sehen als mit den Augen des Leitartiklers zur Zeit der Wahlrechtskämpfe Anno 1907 oder aus den Tagen der „Internationale 2%“}

Wie gesagt, die Gelegenheit erscheint günstig. Deshalb rasch eine Stichprobe, ein Blick in die Einleitung. Allein, hier stock' ich schon ..“. Oesterreich nach dem Wiener Kongreß: „Erzland der europäischen Friedhofsruhe“... Metternich: „oberster Chef der Friedhofsverwaltung ... Sinnbild des ,Eiser-nen Vorhangs' von damals... Armee und Bürokratie: „besondere Rasse ... die sich aufs vorzüglichste für die Friedhofswache eignet“ u. a. m. Nun, auch für jemanden, der nicht gerade ein Verehrer des Anden regime und der Zeit seiner Restauration ist, scheinen diese klingenden Worte doch etwas weit von historischer Einsicht entfernt. Aber — wir sagen leider — diese Tonart, einmal angeschlagen, wird auf 423 Seiten durchgehalten; mehr noch: gesteigert. Die Zahl der Fehl- und Kurzschlüsse ist Legion, kämpferisch angetönten Worten' zuliebe geht die Wahrheit über Bord, um in der Darstellung der letzten 30 Jahre gänzlich üblicher Tagespolemik Platz zu machen. Hier ist nur Platz für Lichtgestalten und Finsterlinge, für Edelmenschen (natürlich tragen sie eine rote Nelke im Knopfloch) und für abgefeimte Bösewichte — ihre Gegner. Alles, was die eigene Partei tat, war rechtschaffen und segensreich, die Aktionen der anderen aber häßliches Teufelswerk. Wir kennen dieses schwarz-weiße, dieses schwarz-rote Schema, dieses Sichgegenseitigherabsetzen, Anschwärzen und Verkehren, zur Genüge aus dem Kleinkrieg der Tagespolitik, aus dem Krieg einer kleinen Tagespolitik... Nicht einmal wird das ach so schwere und undankbare Wagnis unternommen, einzuhalten und zu überlegen, ob nicht auch die andere Seite ehrliche Motive und guten Willen hatte, ob man nicht selbst auch etwas dazu beigetragen hat, daß es so kam, wie es eben gekommen ist. Wo bleibt hier — gar nichts anderes sei verlangt — der Geist vom Geist eines Karl Renner? Mit ehrenden Worten, mit Blumen an seinem Grabe ist es nicht getan...

Ein anderer Geist ganz besonderer Art ist es, der aus diesem Buche spricht: es ist die alte Symbiose von national-liberalem: Gedankengut und doktrinärer marxistischer Geschichtsauffassung. Kaum zu glauben, aber Wirklichkeit: Die Pernerstorfer sind unter uns! Woher sonst die Geringschätzung für den Vielvölkerstaat im Donauraum — er wird als „europäisch-asiatisches Grenzland“ vorgestellt —, der kleinliche Haß gegen Habsbürg, der mit Worten wie „der schwach-köpfige Karl“ und „die dickköpfige Zita“ (S. 292) die Grenzen politischen Anstandes überschreitet. Und der Satz „Das war Zitas Geschoß: noch im letzten Moment war die Monarchie dem tödlich verwundeten deutschen Leuen in den Rücken gefallen.. (S. 244), hätten wir eher in einem Pamphlet der späten Erben Schönerers zu finden geglaubt als in einer Geschichte des österreichischen Sozialismus. Iii diese Art von Geschichtsbetrachtung paßt auch das Bild von Kaiser Franz Joseph als „Amtsdiener einer jahrzehntelangen Verwesung, der seelenlose Bürokrat einer Generationen erfüllenden Auflösung“ (S. 38).

Hier darf dem als Historiograph ausgezogenen und als Polemiker gestrandeten Autor ein Kritiker gegenübergestellt werden, dessen Autorität er, da er sie im gleichen Buche preist, nicht zurückweisen wird können. Ein Blick in „Die Zukunft“ (März 1951). Hier finden wir — und auch der Verfasser hätte in der programmatischen Monatszeitschrift seiner eigenen Partei nachlesen können — Skizzen aus den Memoiren eines Sozialisten der „alten Garde“ und unbestrittenen Republikaners dazu: Dr. Wilhelm Ellenbogens. Als „ein Gebot der Gerechtigkeit“ zeichnet dieser ein Porträt Kaiser Franz Josephs, das wohl etwas anders aussieht als Hannaks Zerrbild. Von einem Herrscher ist hier unter anderem die Rede, der sein Amt als „eine mit Verantwortung beladene Pflicht“ begriff, und solche Monarchen mit strenger Pflichtauffassung seien „für die gesunde Weiterentwicklung der Demokratien besser als — wenn auch begabtere — Draufgänger mit geringerer Hemmung des Ideenfluges“. Wie denn auch der Kaiser „absolut konsequent und unbeugsamen Willens das Zustandekommen des allgemeinen gleichen Wahlrechts gefördert habe“.

Ein „Gebot der Gerechtigkeit“ und was für eine vornehme Gesinnung dazu! Es geht eben doch auch so, wie es manche nicht wahrhaben wollen: Man kann sehr wohl ein guter Republikaner sein und gleichzeitig dem alten Staat und seinen Trägern Gerechtigkeit widerfahren lassen. „Monarchismus“ und ein Bekenntnis zum Vielvölkerstaat im Donauraum sind nicht dasselbe. Die westliche Welt, allen voran Winston Churchill, haben ihre ehemaligen Standpunkte überprüft. Der offizielle österreichische Sozialismus glaubt auch 1952/53 dazu die Zeit nicht gekommen...

Der Habsburger-Komplex wird nur noch übertrumpft durch eine schon in das Gebiet der Zwangsvorstellungen einzuweisende Sicht der Person Dr. Seipels. Als leibhaftiger Gottseibeiuns wird dieser Politiker vorgestellt, Triebfeder alles Bösen, Quelle des Unheils! Und wiederum Kommentare, die an die Weisheiten des zwischen 1938 und 1945 von der offiziellen Propaganda verbreiteten „Pfaf-fenspi;gels“ erinnern. „Seipel stammt von Loyola ab, und Stalin von Iwan und Peter (S. 305). Von »Giftmischereien“ ist die Rede, „nicht mehr weit entfernt von der Moral der Porgia“ (S. 364) und von der „Unterwerfung Oesterreichs unter das Gebot der römischen Kurie“ (S. 366). Keine sehr klug gewählte Visitenkarte an die Adresse der österreichischen Katholiken!

Ausgetretene Pfade, alte Barrikaden: in ihnen zu wandeln, auf sie zu steigen, lädt Hannak in seinem Nachwort die junge Generation seiner Partei mit der Widmung des vorliegenden Buches ein. Wird sie diesen Ruf aufnehmen und weitertragen oder wird sie mit allen wirklich jungen Menschen dieses Landes — der Jahrgang der Geburt ist dabei Nebensache — auf eine Geschichte unserer jüngsten Vergangenheit dringen, die von Menschen geschrieben wird, die sich weder von dem Zerrbild des „Prälaten ohne Milde“ noch von dem Schrecken vor den „Austro-bolschewiken“ ins Bockshorn jagen lassen, sondern ehrlich vergangene Kämpfe und altes Leid erforschen — damit sie der Zukunft erspart bleiben?

Das Erscheinen einer offiziellen Parteigeschichte der SPOe erfordert ein Nachwort. Mag diese auch parteiisch bis ins Letzte und daher unbefriedigend sein, so erweist sie doch, welch starke Beobachtung man im Lager der zweiten Regierungspartei der Erforschung der eigenen Vergangenheit, der Erstellung eines Geschichtsbildes zuteil werden läßt. Dazu kommt noch die erst vor einiger Zeit mit nicht geringem Kostenaufwand erfolgte Uebersetzung und Herausgabe von Gulicks „Von Habsburg bis Hitler“, der dem österreichischen Sozialismus ein Standardwerk der Geschichte — wie dieser sie sehen will — geschenkt hat. Nicht vergessen sei auch, daß selbst Vizekanzler Schärf die Zeit aufbrachte, persönliche Erinnerungen aus den ersten Monaten der Zweiten Republik festzuhalten.

Und die andere Seite?

Bis heute gab es nur Vorstellungen von Einzelpersönlichkeiten und Etappen jener politischen Kräfte, die wir heute in der Oesterreichischen Volkspartei finden. An Historikern hat es keinen Mangel, auch fällt es schwer zu glauben, daß die für ein solches Unternehmen notwendigen Mittel aufzubringen,'dieser Partei unmöglich sein sollte. Das Buch Hannacks macht den Ruf nach einem Gegenteil verständlich. Es soll zwar auch eine Parteigeschichtc sein; wenn diese jedoch weniger eng und parteilich ausfiele, wäre dies alles andere als ein Nachteil, sondern der erste Schritt auf jenen Weg, den wir aufzuzeigen uns erlaubt haben.

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