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DIE PLUMBER

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Man könnte sich unser Säkulum ganz gut ohne Tischler denken — wir würden dann eiserne Möbel gebrauchen. Wir könnten ebensogut den Steinmetz streichen — der Zementtechniker würde seine Arbeiten übernehmen. Aber ohne den Plumber gibt es kein neunzehntes Jahrhundert. Er hat ihm seinen Stempel aufgedrückt, er ist uns unentbehrlich geworden.

Wir glauben, ihn französisch benennen zu müssen. Wir sagen zu ihm Installateur. Das ist falsch. Denn dieser Mann ist der Träger der germanischen Kulturanschauung. Die Engländer waren die Hüter und Wahrer dieser Kultur, und daher gebührt ihnen auch der Vorrang, wenn wir uns für den Mann nach einer Benennung umsehen. Zudem stammt das Wort Plumber aus dem Lateinischen — plumbum heißt das Blei — und ist daher sowohl für die Engländer als auch für uns kein Fremdwort, sondern ein Lehnwort.

Durch eineinhalb Jahrhunderte schon beziehen wir unsere Kultur aus zweiter Hand: von den Franzosen. Wir haben uns nie gegen die Führerschaft Frankreichs aufgelehnt. Nun, da wir merken, daß wir von den Franzosen düpiert wurden, nun, da wir einsehen, daß die Franzosen die ganze Zeit über von den Engländern am Gängelband geführt wurden, machen wir gegen die englische, die germanische Kultur Front. Von den Franzosen geleitet zu werden, war uns sehr angenehm; der Gedanke aber, daß eigentlich die Engländer die Führer sind, macht uns nervös.

Und doch hat die germanische KuItUT ihren Siegeszug über den ganzen Erdball angetreten. Wer ihr entgegenkommt, wird groß und mächtig: die Japaner. Wer sich ihr entgegenstemmt, bleibt zurück: die Chinesen. Wir müssen die germanische Kultur akzeptieren, und wenn wir Deutsche uns noch so sehr dagegen sträuben. Es hilft uns nichts, auch wenn wir Zeter und Mordio gegen die „englische Krankheit“ anstimmen. Unsere Lebensmöglichkeiten, unsere Existenz hängen davon ab.

Die Engländer lagen etwas abseits vom großen Weltgetriebe. Und wie uns die Isländer den germanischen Mythos durch Jahrtausende treu bewahrt haben, so brach sich an der englischen Küste und an den schottischen Bergen die romanische Welle, die auch den letzten Rest germanischer Kultur aus den deutschen Landen hinweggeschwemmt hatte. Die Deutschen waren Romanen im Fühlen und Denken geworden. Nun erhalten sie durch die Engländer ihre eigene Kultur wieder zurück. Und wie der Deutsche immer mit bekannter Zähigkeit an dem einmal Erworbenen festhält, sträubt er sich jetzt auch gegen die englische

Kultur, weil sie ihm neu erscheint. Hatte es doch schon Lessing Mühe gekostet, den Deutschen die Größe germanischer Den-kungsart zu erschließen. Etappenweise mußte eine Position nach der anderen gegen die verschiedenen Gottscheds genommen werden. Und erst neulich tobte derselbe Kampf in der Tischlerwerkstätte.

Unsere Gottscheds und mit ihnen alle Nachahmer französischer Kultur und Lebensgewohnheiten stehen auf einem verlorenen Posten. Vorbei ist die Furcht vor den Bergen, vorbei die Scheu vor der Gefahr, vorbei die Angst vor dem Straßenstaub, dem Waldgeruch, der Ermüdung. Vorbei ist die Angst vor dem Schmutzigwerden, die heilige Scheu vor dem Wasser. Als die romanische Weltanschauung noch regierte, zur Zeit des großen Ludwig etwa, da hat man sich nicht schmutzig gemacht, aber man hat sich auch nicht gewaschen. Gewaschen hat sich nur das gemeine Volk. Die Vornehmen wurden emailliert. „Der muß ein schönes Schwein sein, der sich jeden Tag waschen muß“, sagte man damals... In Deutschland spricht man wohl noch heute so. Las ich doch diese Antwort neulich in den „Fliegenden“, dort von einem Vater gesprochen, als ihm sein kleiner Bub die Anordnung des Lehrers mitteilt daß er sich täglich waschen müsse.

Die Angst vor dem Schmutzigwerden kennt der Engländer nicht. Er geht in den Stall, streichelt sein Pferd, setzt sich darauf und fliegt über die weite Halde. Der Engländer macht alles selbst, er jagt, steigt auf die Berge und sägt Bäume. Das Zusehen macht ihm keine Freude. Auf der englischen Insel hat die germanischer Ritterlichkeit ein Asyl gefunden, und von dort aus hat sie sich nun wieder die Welt erobert. Zwischen Maximilian, dem letzten Ritter, und unserer Epoche liegt die lange Zeit der romanischen Fremdherrschaft. Karl VI. auf der Martinswand! Ein unmöglicher Gedanke! Allongeperücke und Alpenluft! Karl VI. hätte wohl die Spitzen der Berge nicht als einfacher Jäger besteigen dürfen! Er hätte, wenn er den für die damalige Zeit seltsamen Wunsch geäußert hätte, in einer Sänfte hinaufgetragen werden müssen.

In einer solchen Zeit hatten die Plumber nichts zu tun, und auf diese Weise sind sie auch um ihren Namen gekommen. Wohl gab es Wasserleitungsanlagen, Wasser für Springbrunnen, Wasser zum Anschauen. Aber für Bäder, für Duschen, für Water-dosets wurde nicht gesorgt. Beim Waschen ging man mit dem Wasser sehr sparsam um. In den deutschen Dörfern mit romanischer Kultur kann man noch heute Waschbecken erhalten, mit denen wir schon zu Engländern gewordene Städter beim besten Willen nichts anzufangen wissen. Das war nicht immer so. Deutschland war im Mittelalter durch seinen Wasserverbrauch berühmt. Die großen öffentlichen BadestubeSi (nur der Bader, der Friseur, ist uns davon noch übriggeblieben) waren immer überfüllt, und jedermann nahm täglich wenigstens ein Bad. Während in den späteren Königsschlössern überhaupt keine Bäder zu finden sind, war das Badezimmer im deutschen Bürgerheim der glänzendste und prächtigste Raum des Hauses. Wer kennt nicht das berühmte Badezimmer im Fuggerhaus in Augsburg, dieses Juwel deutscher Renaissancekunst! Und Sport und Spiel und Waidwerk, das alles wurde, als die germanische Weltanschauung maßgebend war, nicht nur von den Deutschen gepflegt.

Wir sind zurückgeblieben. Als ich vor einiger Zeit eine amerikanische Dame fragte, welcher ihr der bemerkenswerteste Unterschied zwischen Österreich und Amerika zu sein scheine, antwortete sie mir: the plurnbing! - die Installationsarbeiten, Heizung, Beleuchtung und Wasserleitungsanlagen. Unsere Hähne, Ausgüsse, Water-closets, Waschtische usw. sind noch weit, weit hinter den englischen und amerikanischen Einrichtungen zurück. Daß wir, wenn wir uns die Hände waschen wollen, erst auf den Korridor gehen müssen, um das Wasser im Kruge zu holen, daß es Toiletten ohne Waschgelegenheit gibt, das erscheint dem Amerikaner als das Auffallendste. In dieser Beziehung verhält sich Amerika zu Österreich wie Österreich zu China. Man wird einwenden, daß es solche Einrichtungen auch schon bei uns gibt. Gewiß, aber nicht überall. Auch in China gibt es englische Waschgelegenheiten für die Reichen und für die Fremden. Aber das Gros des Volkes kennt sie nicht.

Eine Wohnung ohne Badezimmer! In Amerika eine Unmöglichkeit. Der Gedanke, daß es am Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Land von Millionen gibt, dessen Einwohner nicht alle täglich baden können, erscheint Amerikanern ungeheuerlich. Daher kann man auch in den niedersten Vierteln New Yorks um zehn Cent im Massenquartier reinlicher und angenehmer schlafen als in unserem Dorfgasthaus. Daher gibt es in Amerika nur einen einzigen Wartesaal für alle Klassen, in dem auch bei dem größten Andrang nicht der geringste Geruch zu verspüren ist.

In den dreißiger Jahren tat einer vom jungen Deutschland — es war Laube, in den „Kriegern“ — einen großen Ausspruch: Deutschland gehört ins Bad. Bedenken wir doch recht: eigentlich brauchen wir gar keine Kunst. Wir haben ja noch nicht einmal eine Kultur. Hier könnte der Staat rettend eingreifen. Statt das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, statt das Geld auf die Erzeugung von Kunst zu verwenden, versuche man es mit der Erzeugung einer Kultur Neben Akademien baue man Badeanstalten, und neben Professoren stelle man Bademeister an. Eine höhere Kultur hat dann schon eine höhere Kunst zur Folge, die, wenn sie sich offenbaren will, ohne Hilfe des Staates zutage tritt.

Aber der Deutsche — ich denke nur an die große Allgemeinheit — verbraucht zu wenig Wasser für den Körper und für sein Haus. Er tut es nur, wenn er muß, wenn ihm gesagt wird, daß es seiner Gesundheit zuträglich ist. Ein schlauer Bauer in Schlesien und ein schlauer geistlicher Herr in den bayrischen Bergen haben das Wasser als Heilmittel verordnet. Das half. Leute von der ausgemachtesten Wasserscheu pritschelten im Wasser. Und gesund wurden die Leute auch. Das ist ganz natürlich. Wer kennt nicht die Geschichte von dem Eskimo, der einem Reisenden gegenüber ein altes Brustleiden beklagte. Der Reisende klebte ihm ein Plaster auf die Brust und verhieß dem ungläubigen Patienten Heilung bis zum nächsten Tag. Das Pflaster wurde abgenommen, die Schmerzen waren mit einer dicken Schmutzschichte, die an dem Pflaster hängen blieb, gewichen. Eine Wunderkur!

Traurig ist es, daß viele Menschen nur mit Hilfe solcher Mittel zur Reinigung, zum Waschen und Baden zu bewegen sind. Wäre das Bedürfnis allgemein vorhanden, der Staat müßte ihm Rechnung tragen. Und hätte schön nicht jedes Schlafzimmer seinen eigenen Baderaum, so müßte doch der Staat Riesenbäder bauen, gegen welche sich die Thermen des Caracalla wie eine Badestube ausnehmen würden. Der Staat hat ja ein Interesse daran, das Reinlichkeitsbedürfnis im Volke zu heben. Denn nur das Volk kann wirtschaftlich mit den Engländern gleichen Schritt halten, das ihnen im Wasserverbrauch nahekommt; nur das Volk ist berufen, die Weltherrschaft von den Engländern zu übernehmen, das sie im Wasserverbrauch übertreffen wird.

Der Plumber aber ist der Pionier der Reinlichkeit. Er ist der oberste Handwerker im Staate, der Quartiermacher der Kultur, der heute maßgebenden Kultur. Jedes englische Waschbecken mit Wassereinlauf und Abguß ist ein Merkmal des Fortschrittes. Jeder Herd mit seinen Einrichtungen für das Braten und Rösten des Fleisches am offenen Feuer ist ein neuer Sieg des germanischen Geistes. Auch auf der Wiener Speisenkarte macht sich eine solche Umwälzung bemerkbar. Der Verbrauch des Roastbeefs, der am Rost gebratenen Steaks und Koteletts wird immer größer, während der Verbrauch des Wiener Schnitzels und des Backhendels, dieser italienischen Gerichte, sowie der geschmorten, gekochten und gedünsteten französischen Speisen immer mehr zurückgeht.

Am schwächsten sind wohl unsere Badeeinrichtungen. Statt die Wanne mit weißen Kacheln auszukleiden, nimmt man hierzulande lieber färbige, damit, wie mir ein Fabrikant — er hat nicht ausgestellt — naiv versicherte, der Schmutz weniger gesehen werde. Die Blechwannen werden statt mit weißer Farbe, der einzigen, die dafür taugt, auch dunkel emailliert. Schließlich gibt es Blechbadewannen, die den Schein erwecken wollen, daß sie aus Marmor bestehen. Es gibt Leute, die das glauben, denn auch diese marmorierten Wannen finden Käufer. Auch für jene braven Leute, die noch auf dem Indianerstandpunkt stehen — bekanntlich ornamentiert der Indianer alles, was ihm erreichbar ist — wurde bestens vorgesorgt. Man findet Rokokoventile und Rokokohähne und selbst einen Rokokowaschtisch. Ein wahres Glück ist es, daß einige Finnen sich auch der Nichtindianer angenommen haben. So sehen wir bei M. Steiner vorzügliche, ganz glatte und daher elegante amerikanische Kopfduschen — eine neue Erfindung — und bei H. Esders tüchtige und korrekte Einrichtungen sowohl in Form als Farbe. Vom rein technischen Standpunkt wäre noch erwähnenswert, daß die Kurbelventile in der Plumberei jetzt, im Zeitalter der Radventile, gar keine Berechtigung mehr haben. Ein alter Zopf, der abgeschnitten zu werden verdient. Das Kurbelventil ist nicht billiger, nützt sich aber früher ab und hat viele andere Mißstände zur Folge. Wenn unsere Plumber nicht wollen, so möge das Publikum in seinem eigenem Interesse nachhelfen und auf die Anbringung von Radventilen dringen.

Die Hebung des Wasserverbrauches ist eine der dringendsten Kulturaufgaben. Mögen dabei unsere Wiener Plumber ihre Aufgabe ganz erfüllen und uns dem großen Ziel näherbringen, mit den übrigen Kulturvölkern des Abendlandes auf derselben Kulturhöhe zu stehen. Denn sonst könnte uns etwas sehr. Unangenehmes, etwas sehr Beschämendes passieren. Sonst könnten — wenn nämlich beide Völker in dem bisherigen Tempo weiter fortschreiten — die Japaner die germanische Kultur früher erreichen als die Österreicher.

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