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Die Premiere des österreichischen Volkes

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Grillparzers König Ottokar, das war der Bericht vorn Sturz des Mächtigen; ein Drama vom Wesen der Macht, geboren aus österreichischer Staatsweisheit und Weiterfahrung. Schillers Don Karlos, das war eine erregende Szenerie, die im Gewände moderner Schauspielkunst das deutsche Erbe Shakespeares, Hamlets demonstrierte: Kampf des Vaters, Kampf des Sohnes: Abgrund im Herzen. Nach dem Schweren, Dunklen, nach dem Flimmernden, Heißen, nun, in der vierten Eröffnungsvorstellung des Burgtheaters, das Schimmernde, Glänzende, Strahlende: Raimunds „Verschwender“. Fürwahr ein Zäubermärchen in dieser Aufführung: lichtselig, farbselig, in den prächtigen Bildern, die, ein reicher Herbst, Herbst des Volkes, Herbst der Kinder, sich ausschütten in das Publikum hinein, das hier erlöst wird von der oft so tristen Rolle, nur „Publikum“ zu sein, Umstand, recht fernstehender Umstand bisweilen, und hier ganz hereingenommen wird ins Lied, ins Lachen, in die tränenselige Heiterkeit eines Volkes, das seinen Wein in Jahrhunderten gekeltert hat an den Reben des Leides und bitterer Erfahrungen. Diese unvergeßliche Aufführung ruht auf dem Volkston des Tischlers Valentin und seiner lieben Frau (Josef Meinrad und Inge Konradi), denen sich, reifend von Bild zu Bild, der „Verschwender“ zugesellt (Fred Liewehr). Das andere ist Arabeske, ist Ornament, ist Abgesang des Barock, einer tausendjährigen Welt der großen Herren, der großen Form, nunmehr im verbleichenden Glitzerglanz des Rokoko und Biedermeier. Also: der „gnädige Herr“ und sein „Schloß“, die feudale Gesellschaft (die doch Alteuropa und Altösterreich bis 1918, in manchen Zonen bis 1945 trug und nicht mehr trug): was ist hier aus ihnen geworden? O, Hintergründigkeit österreichischer Selbstkritik, Gesellschaftssatire und Sozialpredigt I Raimund klettert nicht auf die Barrikaden, verfaßt keine Manifeste; er. spricht nicht von Weltuntergang — als dem Untergang einer alten, „verrotteten Gesellschaftsordnung“, die nur noch Unordnung ist — und nicht von dem Aufgang einer neuen Zeit, und zeigt doch den Weltwandel unserer Epoche in bunten Bildern, die Kinder und sehr reife Menschen verstehen können. „Da, seht her“ — und es ist nicht das geringste Verdienst dieser prächtigen Aufführung, dieses „Seht her“, „Schaut her“, „Da schautsher“ so kräftig herauszustellen: da seht also her! Was steckt hinter der großen Welt der Schlösser und der „gnädigen Herren“, denen das Volk die Hand küßt? Viel Tand und Schlemmerei, viel Prassen und Tunichtgutsein, ganz selten ein einsames, edles Herz. — Valentins Lied wider die Jagdleidenschaft der großen Herren müßte einmal verglichen werden mit der tausendjährigen Klage des“ europäischen Volkes über die Vernichtung seiner Existenz, über die Schändung seiner Felder, Leiber und Seelen durch die Meute der Jagdhunde und Jäger, die aus dem Volk selbst ein gejagtes Wild machen: tausendjährige Bitterkeit wird hier, in Valentins Lied, erlöst, befreit. — Es ist das Verdienst Josef Meinrads, in seiner Gestaltung des Valentin, einprägsam und unvergeßlich, in Lied und Wort, in Schritt und Tritt und Gebärde, das österreichische Volksschauspiel hier, in dieser vierten Eröffnungspremiere der Burg, wiederzuerneu-ern, jn einer Lebensmacht, die beglückt und ergreift. Persönlich tritt er nunmehr ganz, vollinhaltlich, das Erbe der Männer an, die, vom 18. Jahrhundert an deutlich erkennbar, über Girardi zu

unserer Zeit herauf, die Selbstdarstellung und Selbst-findung des österreichischen Volkes in seinem Schau-Spiel bekunden. Inge Konradi steht ihm dabei zur Seite und mit ihr? der Bettler Hermann Thimigs und dessen erstes Ich, der Verschwender Liewehrs. — Reicherts Regie und Halleggers Bühnenbild fügen diese Aufführung zu einer beglückenden Gabe zusammen, die von Wiens Volk mit Begeisterung aufgenommen worden ist: die vierte Premiere der Burg, Raimunds „Verschwender“, verschwenderische Gabe des kleinen Mannes, kleiner Leute an eine ganze Welt ...

Das V o lk s t h e a t e r bringt, in seinem anerkennenswerten Bestreben, aktuelle Zeitstücke dem Wiener Publikum vorzustellen, die sonst nur auf Kleinbühnen gewagt werden, „Das B r e n n g 1 a s“ von Charles Morgan in einer wohlbetreuten Aufführung. Das Stück hat diese Betreuung sehr nötig, denn es ist an sich nicht leicht zu verdauen in seiner Mischung von Moralpredigt und Revolvergeschichte, von Zeitglossen und „Bomben“rollen. Makabre Lichter fallen auf das „kalte Licht“, das hier produziert wird: Erinnerungen an die nach Moskau sich absetzenden englischen Diplomaten jüngster Vergangenheit, dazu an den in englischen Diensten stehenden Atomspion Klaus Fuchs (hier ist es ein zwielichtiger Herr aus Budapest), und an manches andere, was „faul ist im Staate Dänemark“, wenn wir Hamlet und Shakespeare, als große Repräsentanten der westlichen Welt, hier ansprechen dürfen. Hier, bei Charles Morgan, geht alles sehr simpel, allzu simpel zu. Man greift sich an den Kopf, wenn man an die unausgeschöpften, unangetasteten Möglichkeiten dieses Stoffes denkt — gerade im Angesicht der Materialien, die unsere Zeit zur Verfügung stellt. Das große Drama des Verrates, besser, des seelischen und gesellschaftlichen westlichen Untergrundes, wird hier verengt zu einer billigen Story: ein sehr gewissenhafter und sehr moralischer englischer Gentleman (Joseph Hendrichs) erfindet das „Brennglas“, eine Einrichtung, die es ermöglicht, x-beliebige Erdteile mit der Hilfe von Sonnenkraft zu verbrennen. An dieser Erfindung hat sein sehr ehrenwerter Vater bereits gearbeitet, und seine ehrenwerte Mutter, eine prächtige Lady, stellt telephonisch sofort die Verbindung mit dem Premierminister, ihrem Jugendfreund, her. Dieser erscheint, übernimmt Erfindung und Erfinder in Staatsschutz — ab kommendem Morgen. Inzwischen entfuhrt jedoch in selbiger grausiger Nacht der Herr aus Budapest mit Hilfe des jungen Freundes unseres Gentleman diesen in einen Kerker jenseits des Eisernen Vor* hanges. Da aber auch dieser junge Herr ein Gentleman ist, verübt er dann später Selbstmord, da er die sehr liebenswerte Gattin des Erfinders ebensowenig wie das Geheimnis der Entdeckung zu hüten verstand ... — Bedarf es noch eines Hinweises darauf, daß diese Geschichte nur mit einem Happy-End enden kann? — Hans Frank als Premier, und Dorothea Neff als Lady, bemühen sich mit dem Ensemble des Volkstheaters, Statistenrollen mit Fleisch und Blut zu erfüllen. — Im letzten Akt fallen, und das soll doch vermerkt werden, einige Sätze auf, die zeigen, daß der Autor ernster über die hier vorgestellten Fragen nachgedacht hat, als die Klischees seiner Figuren wissen dürfen.

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