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Die Presse erfüllt öffentliche Aufgaben

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Zunächst eine Vorbemerkung, die verhüten soll, daß der Verdacht aufkommt, der Schreiber dieser Zeilen verneige sich nicht gebührend ehrfurchtsvoll vor der Justiz: In den letzten Jahren hat sich im gesamten deutschen Sprachraum kaum ein Journalist so intensiv und so häufig in Wort und Schrift für den Richter, den Richterstand und die Rechtsprechung exponiert wie er.

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Zunächst eine Vorbemerkung, die verhüten soll, daß der Verdacht aufkommt, der Schreiber dieser Zeilen verneige sich nicht gebührend ehrfurchtsvoll vor der Justiz: In den letzten Jahren hat sich im gesamten deutschen Sprachraum kaum ein Journalist so intensiv und so häufig in Wort und Schrift für den Richter, den Richterstand und die Rechtsprechung exponiert wie er.

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Der Aufsatz „Pressemeinungsfreiheit und Immunität" von Präsident Malaniuk in der letzten Nummer der „Furche" zeigt zweierlei: einmal, wie tief der österreichische Richter in der franzisko-josefinischen Ueberlieferung des Obrigkeitsstaates lebt und schockiert ist, wenn er vermeint, daß jemand Unberufener es sich erlaubt, ihm als Amtsträger, der in uneigen-

nütziger, selbstloser und hingehender Weise dem Ganzen zu dienen sich bemüht, auf die Finger zu sehen; zum anderen zeigt er, wie schwer es ist, in einem freien; demokratischen Rechtsstaat irgend jemandem’ zu erklären, worum es eigentlich bei der Pressefreiheit geht.

Zum ersten Mißverständnis bloß einige Sätze. Der Journalist braucht keine Privilegien und strebt sie auch nicht an, schon gar nicht etwa in der Form der Immunität, wie sie dem Abgeordneten eignet. Aber er wäre glücklich, wenn man endlich begriffe, daß die Welt des Obrigkeitsstaates und der Demokratismüs verschieden sind; insbesondere, daß ebensowenig wie irgend jemandem anderen den Amtsträgern Privilegien zustehen: In der demokratischen Ordnung, für die die Menschenwürde politischer Höchstwert ist, gibt es keine qualitativen Unterschiede zwischen einem Bürger und einem Menschen, der ein Staatsamt bekleidet. Ehre und Glaubwürdigkeit wiegen in beiden Fällen gleich schwer. Es ist paradox — und auch nicht, wenn man bedenkt, daß ein Gut nur so lange hoch im Kurs steht, solange es erstritten werden muß —, also, es mutet paradox an, daß die Pressefreiheit viel mehr in einem Bismarck- Reich oder in unserer Monarchie zur Geltung kam als heute: Wem würde es heute in Oesterreich einfallen, solche Beleidigungen gegen irgendeinen Volks- oder Staatsvertreter zu richten, wie einfache Bürger es gegen Bismarck getan hatten oder Karl Kraus es gegen den Wiener Justizapparat gewagt hatte?

IN DIKTATUREN HOCH IM KURS

Nun zum zweiten Punkt, der weitaus wichtiger ist. Wen in der Oeffentlichkeit interessiert denn schon die Sache der Pressefreiheit? In Ungarn, in Polen, in der Sowjetunion, in Ostdeutschland, ja, dort weiß man, was einem die Pressefreiheit bedeutet: dort ist sie ein Gut, für das man sein Leben hingibt! Wenn man in einem freien Land wie Oesterreich von Pressefreiheit spricht, so denkt jeder sofort an die Pressefrechheit; schimpft über die Boulevardpresse, nach der et allerdings jeden Morgen wie nach frischen Semmeln auf dem Frühstückstisch gierig greift; er sieht sich freilich selbst morgen „in der Zeitung stehen", weil er heute abend, nach einem fröhlichen Heurigen, alkoholisiert am Steuer angetroffen sein wird. Er will nicht, daß man indiskret „in sein Privatleben hineinleuchtet" (wogegen sich zu wehren jedoch demjenigen, der aus freien Stücken sich entschlossen hat, „Politiker zu werden“, weniger erlaubt sein sollte als demjenigen, der es vorgezogen hat. nicht in das Rampenlicht der Oeffentlichkeit zu treten, das heißt: im Privaten zu wirken!). Aber ist es denn wirklich so, daß die Presse nichts anderes zu tun hat, als Ehrenbeleidigungen auszuteilen? Hand aufs Herz, enthält ein Blatt nichts anderes als ehrenrührige Sensationen?

Gut, wenn man schon so empört ist über die Boulevardpresse, werden denn in Oesterreich einzig und allein Boulevardblätter feilgeboten? Wer hindert wen, daß er die politische Tagespresse sorgfältig verfolgt und die politischen Wochenblätter und Monatsschriften liest? Ist jemand für die Abschaffung des Wassers und des Feuers, weil Wasser und Feuer hin und wieder Schaden, zuweilen sogar katastrophalen Schaden anrichten?

DIE OPPOSITION IST SATURIERT

Allerdings, in Oesterreich wirkt ein besonderer Grund, daß die politische Seite der Pressefreiheit nicht ganz klar erkannt wird. Wir sind in der glücklichen Lage, daß unser Land sich nicht in Spannungen zwischen parlamentarischer Mehrheit und politischer Opposition verzehrt. Hätten wir jedoch in Oesterreich eine gewichtige politische und demokratische Opposition — so wie die Sozialisten es in der Bundesrepublik Deutschland sind —, dann würde man gleich begreifen, wie bitter notwendig eine ungehinderte Pressefreiheit ist, die nicht nach Belieben mit einfachen Mehrheitsgesetzen willkürlich zuungunsten der politischen Minderheit eingeengt werden kann!

Spricht man mit führenden Männern der Ministerialbürokratie — die nicht unterschätzt werden soll, im Gegenteil, im Parteienstaat eine entscheidende Rolle spielt, weil sie die einzige Kraft ist, mit der sich die Parteien in die Staatsmacht teilen — oder mit Mitgliedern des Parlaments, der Regierung oder mit Repräsentanten der Justiz, so muß man stets aufs neue den unangenehmen Eindruck gewinnen, daß man in Oesterreich bloß an den Schutz vor der Presse denkt, an den Schutz des einzelnen vor der Pressefreiheit und an den Schutz des Staates vor den Skribenten; indessen, die Notwendigkeit, die Presse vor dem Staat und heute noch mehr vor dem Druck der Interessengruppen, Verbände, Bünde, Anstalten und Körperschaften zu entlasten, die wird vollends übersehen. Das Problem der Pressefreiheit als demokratisches Politikum wird verkannt. Man ist als Journalist betrübt und verblüfft, wenn man feststellt, wie wenig Ausnahmen es gibt, die auch diese Seite der Pressefreiheit im Sinn behalten haben.

Nehmen wir die Korruption. Ist es wirklich die Aufgabe der Presse, zu schweigen?

Gerade der Hinweis auf das unausmerzbare Laster der Korruption enthüllt den Standort der Presse in einem freien Staat: Wenn die Zeitung einen Korruptionsfall aufdeckt, so ist das nicht die Privatmarotte ihres Chefredakteurs, der es liebt, seine politischen Gegner zu kränken, zu beleidigen und bloßzustellen; vielmehr handelt hier die Presse als legitimes Organ der öffentlichen Meinung, sie nimmt öffentliche Interessen wahr und wirkt gleichsam als vierte Instanz, wo schon alle anderen legalen Stricke gerissen sind. Geht es in solch einem Fall nicht ohne Tatsachenbehauptungen ab, die an sich den Tatbestand von Ehrenbeleidigungen erfüllen, dann müssen sie in Kauf genommen werden, sie verlieren den Charakter strafwürdiger Handlungen: sie verletzen nicht die Rechtsordnung, sondern stärken sie, wiewohl das Persönlichkeitsrecht des einzelnen darunter leiden mag.

Das Grundrecht der Pressefreiheit wiegt schwerer als die Grundrechte der Persönlichkeit. Der flüchtige Leser des Aufsatzes von Präsident Malaniuk könnte zur Meinung verführt werden, die Pressefreiheit sei ein Grundrecht, das „Unter ferner liefen…" einzureihen sei. Mitnichten.

Das Grundrecht der Pressefreiheit ist ein fun-, damentales und konstituierendes Gut für die Demokratie und den Rechtsstaat und es ist so heikel, empfindlich, in sich kompliziert und komplex: daß die Verantwortlichen Oesterreichs sich schon den Kopf über ein sachgerechtes Verfahren in Pressesachen zerbrechen sollten. (Wenn ein Jugendlicher Aepfel stiehlt, versammelt sich ein Schöffengericht, an dem Laien teilnehmen, die von Jugendsachen etwas verstehen!)

STAATSPOLITISCHE FUNKTION

Präsident Malaniuk spricht von Verantwortung. Allein, man hat ja bis zur Stunde die Presse gar nicht mit jener verfassungsrechtlichen Verantwortung betraut, die ihr in einem modernen demokratischen Rechtsstaat zukommt. In der Begründung zum Entwurf eines Strafgesetzes 1927 liest man einen Satz, wonach es der Presse möglich sein müsse, für berechtigte Interessen der Oeffentlichkeit einzutreten, ohne Strafe wegen einer an sich strafwürdigen Handlung. Es besteht ein verfassungsrechtlich berechtigtes Interesse der Tagespresse, Uebel- stände öffentlich zu rügen und jedes Vorkommnis, auch wenn es andere in ihrer Ehre verletzt, in die Oeffentlichkeit zu bringen. Das bayrische Gesetz über die Presse vom 3. Oktober 1949 bestimmt in seinem § 3:

„(i) Die Presse dient dem demokratischen Gedanken.

(2) Sie hat in Erfüllung ihrer Aufgabe die Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung und das Recht, ungehindert Nachrichten und Informationen einzuholen, zu berichten und Kritik zu üben.

(3) Im Rahmen dieser Rechte und Pflichten nimmt sie in Angelegenheiten des öffentlichen Lebens berechtigte Interessen im Sinne des į 193 des Reichsstrafgesetzbuches wahr.“ Im Vorentwürf zu einem deutschen Bundespressegesetz vom März 1952 wurde die öffentliche Aufgabenstellung der Presse wie folgt formuliert:

„Werden Mißstände bekannt, so ist die Presse berechtigt und verpflichtet (!), an den hierfür 'Verantwortlichen sachdienliche Kritik zu üben, sie kann hierfür den Schutz des į 193 StGB in Anspruch nehmen.“ (Das heißt „Wahrnehmung berechtigter Interessen.“)

AUSKUNFTSPFLICHT DER BEHÖRDE

Das bayrische Pressegesetz ist schon zehn Jahre in Kraft; es hat sich ausgezeichnet bewährt: sowohl darin, daß es der Presse den sachgerechten verfassungsrechtlichen Standort einräumt, als auch in der Sicherstellung des Informations rechts der Presse gegenüber den Behörden (welches Recht in Skandinavien bis zum Recht auf Akteneinsicht geht!). Mit der Auskunftspflicht der Behörde — Staats- und Militärgeheimnisse usw. ausgenommen — fallen die Freunderlwirt- schaft, die Hintertreppeninformation und das Bestechungswesen weg.

In dem Maße, wie der Presse die Verantwortung für den demokratischen Rechtsstaat übertragen wird, in demselben Maße können die Strafdrohungen und strafwürdigen Tatbestände erhöht und vermehrt werden: Wer Mißbrauch treibt oder die Grenzen des Sachlichen überschreitet, der soll schärfstens verfolgt werden. Die Wahrheitspflicht soll als Grundpflicht dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung korrespondieren und von Rechts wegen festgelegt sein! Ungerecht ist hingegen eine stete Verschärfung der Judikatur und der Gesetzgebung gegen die Presse, ohne daß die Verantwortung der Presse von Rechts wegen geordnet und erhöht wird, wie es der modernen Demokratie entspricht.

Präsident Malaniuk läßt seinen gedankenreichen Artikel mit dem Aufruf zur Solidarität ausklingen, die Richter und Journalisten in der Pflege der Wahrheit und des Rechts verbindet. In der Tat gibt es kaum zwei Funktionen, die einander so gleichen wie Rechtsprechen und Presse: beiden ist gemeinsam, daß sie nur aus ihrer Unabhängigkeit bestehen und sich entfalten können; beiden ist gemeinsam, daß sie die ersten sind, die in einer Diktatur ihre Freiheit einbüßen. Die österreichischen Journalistert haben K: der zweiten Republik oft und oft mutig zu erkennen gegeben, daß sie Verständnis haben für die Sorgen der Richter. Kann man umgekehrt sagen, daß die Justiz ihre Bereitschaft zeigt, ein geneigtes und wohlwollendes Ohr für die Nöte der Presse zu haben?

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