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Die Provokation des Friedens

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In knapp einem Monat findet in Wien der „Völkerkongreß für den Frieden" statt. Sein Motto ist: „Die Diplomaten haben versagt, nun werden die Völker den Frieden erkämpfen." Friedenszeitungen, Friedensplakate, Friedensgroschen werben für ihn. Unter den angesagten Gästen sind namhafte Köpfe, Intellektuelle, Professoren, Künstler, Parlamentarier aus allen Ländern Westeuropas und der freien Welt.

Kurz und bündig erklärt eine offiziöse Stimme: „Dieser Kongreß ist eine kommunistische Propagandasache. Womit für alle Nichtkommunisten der Fall erledigt ist. Wer mittut, ist ein Narr oder ein Schelm. Todschweigen ist alles, was wir tun können."

So einfach ist die Sache aber nicht. Der Christ zumal sieht sich überall, wo das Wort „Friede" erklingt — sei es in welcher Absicht auch immer —, angerufen; der Katholik kennt die Friedensbotschaften der Päpste und weiß auch bei uns in Österreich bereits, daß es eine große, von Frankreich und Deutschland ausgehende katholische Friedensbewegung gibt: Pax Christi, entstanden mitten im letzten Krieg aus dem Schmerz und der Verwunderung französischer Priester, die es nicht mehr begreifen wollten, daß zwei Völker, das deutsche und französische, mit einer reichen und lebendigen christlichen Vergangenheit und Gegenwart, sich immer wieder im Kampf gegenüberstehen sollen. Dies muß uns Mahnmal sein: der Christ kennt kein Schweigen, wo vom „Frieden" geredet wird. Für ihn stellt der Kalte Krieg eine ungeheure Provokation dar; und, nun, mitten in diesem Kalten Krieg, der Wiener „Völkerkongreß für den Frieden der Welt". Die Weltgeschichte ist seit bald 2000 Jahren wesentlich davon mitbestimmt, wie der Christ die Provokation der Welt annimmt, wie er darauf reagiert, denkt, handelt. Angstreaktion, Vogelstraußpolitik sind hiebei ebenso gefährlich wie blindes Sichpreisgeben, ohne Unterscheidung der Geister und Probleme. Es wird viel davon abhängen, wie die Christen die Provokation dieses Friedenskongresses aufnehmen, was sie für sich und für andere daraus machen. Provokation sei hier wörtlich verstanden: als eine ernste Aufforderung zu eigener Entscheidung.

Wir unterscheiden zunächst vier deutlich erkennbare Aspekte dieses Kongresses: das weltpolitische Anliegen der kommunistischen Ostwelt, ihre innenpolitische Sorge, die Friedenssehnsucht der „frei schwebenden" Kreise des Westens, die Frage des Kongresses an den Christen.

Das weltpolitische Anliegen der kommunistischen Ostwelt hat der direkte Vorgänger des Wiener Friedenskongresses, der Moskauer Weltkongreß der Sowjetischen Kommunistischen Partei,

ausgesprochen. (Es ist ein Irrtum, zu meinen, die Kommunisten sagten nicht, was sie denken und wollen; man muß sich nur die Mühe geben, sich umzusehen und sich die Antwort dort holen, wo sie gegeben wird): Stalin prophezeite hier kommende tiefgehende Konflikte zwischen den Völkern und Staaten der Westwelt; diese sind zu fördern durch Volksfrontbewegungen und andere Allianzen der Kommunisten mit Einzelgruppen aus der „kapitalistischen Welt“. Zersplitterung derselben, Verhinderung der europäischen Verteidigungsgemeinschaft, letzthin ein Weltbündnis gegen die USA ist hier das Ziel. Bis zur Erkenntnis dieser Tatsache stoßen gewiß nicht wenige in der bürgerlichen und bürgerlich-christlichen Welt vor; hier stockt der Atem, in Angst und Kurzsichtigkeit — man vergißt, daß damit die weiteren und ebenso ernsten Fragen weder angepackt noch „erledigt" sind.

Das ist also das zweite Problem: die innenpolitische Sorge der Ostwelt. Es kann kein Zweifel darüber bestehen: auch, gerade auch im Osten sorgen sich tausende der wachsten Köpfe,und Millionen von Herzen um den Frieden. Das Friedensbrot, das sie vorgesetzt erhalten, ist mager genug: jeder „Pazifismus" ist ihnen verboten — es gibt dort nicht, wie im Westen, tausend pazifistische Möglichkeiten, in Wort und Schrift und Versammlung die Sorge um den Frieden vorzutragen; diese wird als Sabotage, Schädigung der Wehrkraft, Kosmopolitismus aufgefaßt. Nationalismus gilt als Trumpf. Die sehr klugen Lenker der Ostwelt, genaue und nüchterne Beobachter aller inneren Stimmungen ihrer Völker, schaffen nun in den Friedenskongressen diesem echten Friedensbedürfnis ein Ventil. Der Nichtkommunist und Westmensch tut also gut daran, den Friedenswillen der tausend Intellektuellen, Arbeiter usw., die zu diesen Kongressen gesandt werden, sehr ernst zu nehmen. Die Tatsache, daß es sich hier um wohlausgesuchte Delegierte handelt, die unter Frieden, wie alle Menschen innerhalb einer geschlossenen Welt, nur ihren Frieden verstehen können, mindert keineswegs die Bedeutung. So seltsam es dem dialektisch un- geschulten Beobachter aus der bürgerlich- christlichen Westwelt erscheinen mag: auf diesen kommunistisch gelenkten Friedenskongressen spricht also ein an sich echter Friedenswille, nur gilt es, ihn in seinen politischen und psychologischen Bedingtheiten und Begrenztheiten zu erkennen. Ihn einfach als „Lüge" und „Mache" abzutun, verrät nur, wie wenig wir der äußerst komplizierten Seelenlage und innenpolitischen Gesamtsituation der Ostwelt geistig gewachsen sind. Der Ostintellektuelle kämpft für seinen Frie-" den mit derselben Beklommenheit, wie ehedem islamitische und mittelalterliche christliche Theologen. Ihn „aufzuklären’1,

bedarf es um einiges mehr als Hohn und kalte Schultern, betretenes Schweigen.

Das dritte: die Friedenssehnsucht der „frei schwebenden Kreise" des Westens. Sattsam bekannte Beispiele aus Österreich reizen dazu, auch in den ausländischen Intellektuellen, Künstlern, „Prominenten" des Westens, die zugesagt haben, nach Wien zu kommen, nur Trabanten, Wirrköpfe und Intriganten zu sehen. Dagegen muß bedacht werden, daß es in Westeuropa und in der ganzen Welt Menschen gibt, die weder nach Rom noch nach Washington schauen, und die, beheimatet in einem großen Leerraum (man kann aüch dort einigermaßen beheimatet sein, in S a r t r e’s irdischen Höllen), ein Gespräch mit ihrem großen Angstgegner suchen. Was haben wir Christen in den letzten Jahren getan, um ihnen, nicht nur in manchmal schönen Worten, den Frieden als eine existierende und existentielle Lebensordnung vorzustellen?

Damit stehen wir bereits vor dem vierten, für uns wesentlichsten Aspekt des Wiener Friedenskongresses: seine Frage an den Christen. Wie stellt e r sich zum Kongreß? Was tut er selbst für den wah ren Frieden? Diese beiden Dinge sind streng zu scheiden, hängen aber auch wieder zusammen.

Der Christ und gerade der österreichische Christ wird den Wiener Friedenskongreß als aufmerksamer Beobachter zu verfolgen haben. Von außen her. Ai ihm teilzunehmen, verwehren ihm die Initiatoren selbst. Der europäische Christ besitzt heute, so er wach ist, eine viel zu hohe Meinung von der Klugheit und staatsmännischen Geschicklichkeit der führenden Staatsmänner des Ostens, um hier nicht festzustellen: solange die Sprache der Tatsachen so ganz anders lautet als die der Sprecher auf dem Experimentierfeld der Friedenskongresse, solange hier nur dritte, vierte Garnituren, die zudem keinerlei Rang und Einflüsse in der Führungselite der Ostwelt besitzen, vortreten, solange ist der Christ gehalten an das, was Wyschinski und andere Staatssprecher bei den Verhandlungen um den Staats-vertrag und vor dem We 1 t- forum der UNO sagen, und an das, was an den Christen und Katholiken, und nicht nur an ihnen, in der Ostwelt verbrochen wird. Gerade weil der Christ die sowjetische Weltordnung mit ihren Hierarchien, Befehlsrängen und Kompetenzen sehr ernst nimmt, muß er es sich versagen, mit liebenswürdigen Abgesandten, die keinerlei Autorität und Vollmacht in ihrer Welt besitzen, die heilige Sache des Friedens zu verhandeln. Das soll unsere persönliche Achtung für sowjetische Menschen nicht mindern. Wir können uns nur nicht mit ihnen an einen Tisch setzen und eventuell Abmachungen über Dinge treffen, über die zu entscheiden sie nicht befugt sind. Also müssen wir mit unseren Partnern aus der Ostwelt Geduld haben; lernen wir diese Geduld von ihren großen Führern,- sie verstehen es, zu warten, zu erproben, zu prüfen. Wenn ihnen die Sache des Friedens so wichtig erscheint, werden sie andere Sprecher vorschicken. Und ihnen Taten als Mittler vorausschicken.

Nicht Geduld haben dürfen wir aber mit uns selbst. Die Sache des Friedens ist die Sache Christi, des Friedensfürsten. Wenn 600 Millionen Menschen in der Ostwelt und viele Millionen Menschen in der Westwelt so wenig vom Frieden Christi wissen, daß sie verwirrt in Angst, Sorge, Sehnsucht, jedem Wort vom Frieden nachlaufen, mag es auch kommen, woher es will, dann steht es um uns nicht zum besten. Wenn aus Feigheit, Enge, Gesichtslosigkeit viele Christen nicht einmal mehr vom Frieden zu reden wagen, wenn noch weniger Christen den Frieden zu tun wagen, dann ist es höchste Zeit, daß wir die Geduld mit uns verlieren. Und uns also der Provokation des Friedens, die uns Christus selbst vorstellt, in ihrer Wucht bewußt werden: schafft Frieden auf Erden, schafft eine Friedensordnung im Geiste, in den Herzen und Haltungen, %in einer- gerechten nationalen und internationalen Ordnung. Ihr fürchtet die pax sovietica? Dann bekennt- euch -d.och zur Pax Christi! Gründet Zellen. Gruppen dieser Bewegung, die es sich konkret zur Aufgabe macht, Friede zu schaffen, zwischen Gegnern von gestern und heute, im Lande, zwischen den Völkern, zwischen Menschen, die verschiedener Gesinnung sind. Lassen wir uns also vom lauten Ton des Wiener Friedenskongresses provozieren: zu einer Sprache der Tatsachen, geschaffen von Christen. Die wird morgen jeder verstehen, der ihr begegnet. Beten, opfern wir, wie wir es in der Nachtkundgebung im Wiener Stadion gelobt haben, für unsere kommunistischen Friedensfreunde, die unseren christlichen Brüdern in ihrem Lande oft so wenig Frieden gönnen und geben wollen. Das war die offizielle Begrüßung des Wiener Friedenskongresses durch Österreichs Kirche. Nun aber gilt es, die Worte von damals in Tatsachen umzusetzen.

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