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Die „romantischesten Polizisten“

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NEUNZIG JAHRE sind seit der Gündung der berühmten kanadischen Polizeimacht vergangen. Heute wie einst tragen die „Mounties“ (wie sie der Volksmund nennt) ihre scharlachroten Uniformen. Mit dieser bunten Montur hat es eine interessante Bewandtnis. Sie wurde gewählt, um die Indianer zu beeindrucken, eine Strategie, die sich bei den britischen Feldzügen in vielen Gebieten der Erde bewährt hatte...

Heute noch unvergessen ist die folgende Episode aus den siebziger Jahren: Als einst vierhundert kriegerische Cree-Indianer von einem amerikanischen Kavallerie-Detachement zur kar nadischen Grenze eskortiert wurden, erwartete ein Corporal der Königlich Kanadischen Berittenen Polizei mit zwei Mann den Trupp.

„Wo ist Ihre Abteilung, Corporal?“ fragte der amerikanische Offizier.

„Wir sind hier, Colonel!“

„Ja — aber wo sind die anderen?“ forschte der Offizier.

Der Kanadier lächelte verlegen. „Der viert e“, sagte er, „kocht gerade unser Frühstück...“

Gering ist die Zahl der „Scharlachroten Reiter“ immer gewesen, doch ihre Aufgaben sind mannigfaltig, und groß ist das Prestige, das sie in ihrer Heimat besitzen.

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DIE „MOUNTIES“ SIND KANADAS Bundespolizei, zudem das Secret Service. In acht der zehn Provinzen — Ontario und Quebec sind die Ausnahmen — fungieren sie auch als Provin-cial Police, als Gendarmerie. Von den großen Städten bis zu den von eisigen Stürmen umtosten Inseln des Nordpols reicht ihr Revier. In den fernen, heute noch kaum besiedelten Gebieten des Yukon und in den Northwest Territo-ries sind sie die einzigen Hüter des Rechts, und oft amtieren sie als „Sheriff, Postmeister und Wetterbeobachter“. In Flugzeugen und auf Pferderücken, in Snowmobiles und in Motorbooten, in Autos und auf Motorrädern versehen die „Mounties“ ihren oft sehr gefahrvollen Dienst. „Maintiens le droit“ — Aufrechterhaltung des Rechts — ist ihre Parole.

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ROMANZEN UND ABENTEUER. Dramen und Forschungsfahrten geben der Geschichte dieser ungewöhnlichen Polizeimacht einen besonderen Reiz.

Sie überwachten die Erschließung der Prärie durch die aus Europa kommenden Kolonisten, und sie unterban-

den das Treiben der Whisky Runners, die Feuerwasser zu den Indianern schmuggelten. „Ehe sie kamen, ruinierten die Whiskyhändler unsere jungen Männer“, sagte einst der berühmte Chief Crowfoot und fügte hinzu: „Diese Polizisten schützten mein Volk

— wie die Feder der Henne ihre Küken schützt...“

Heute noch unvergessen ist der abenteuerliche Ritt, der im März 1874 von Fort Dufferin seinen Ausgang nahm. Die Mountie-Truppe erspähte damals riesige Büffelherden, und eine Kolonne fiel beinahe einer Stampede — der panikartigen Flucht der Büffel, deren donnernde Hufe über sie zu rasen drohten — zum Opfer ...

Als die Scharlachroten Reiter die Cypress Hills im südwestlichen Sas-katchewan verließen, sahen sie Büffel, so weit sie blicken konnten. Durst quälte die Mounties auf ihrem langen Ritt, da die Büffelherden die winzigen Wasserplätze ausgetrunken hatten. Erst nach Überwindung zahlloser Hindernisse gelang es den Offizieren der Mounted Police, ihre Ziele zu erreichen. . .

Sie errichteten Forts in MacLeod, Edmonton, Calgary. Heute befinden sich hier bedeutende, betriebsame Präriestädte.

Forts wie diese erlaubten es den Siedlern, sich in ihrem Schutz niederzulassen.

Mounties waren es auch, welche die mit der Konstruktion der Canadian Pacific Railways beschäftigten Arbeiter — vorwiegend Einwanderer — vor den Angriffen der Rothäute schützten, die das Kommen der „Eisernen Pferde“

— wie sie die Eisenbahnen nannten — mit Erbitterung betrachteten.

*

AUF EINSAMEN POSTEN im hohen Norden amtieren Mounties mit fast unbeschränkter Macht.

In einer Wildnis nahe dem schäumenden Yukon River hält ein Polizei-Sergeant Gericht, pflegt die kranken Indianer und Eskimos, sammelt die Steuer auf Felle ein, befördert die Post und patrouilliert die Traplines, die Fallen. Der gleiche Mountie erwies sich einmal als treffsicherer Detektiv, als er den Mörder eines Eskimotrappers verhaftete.

Inspektor Fitzgerald — der Held unzähliger gefahrvoller Abenteuer — war einer der hervorragendsten Offiziere der Royal Canadian Mounted Pojice. Seine letzte Patrouille führte ihn über die Pelly Mountains von McPherson

nach Dawson. Unterwegs aber mußte er feststellen, daß sein Führer den Weg verloren hatte ...

Eine Rückkehr über die 300 Kilometer weite Strecke war ausgeschlossen. „Vorwärts!“ war die Parole. Doch ein warmer Chinook-Wind ließ den Schnee schmelzen, und die Marschierenden versanken bis zu den Hüften. Aber schon drohte durch einen plötzlichen Temperaturfall dem kleinen Trupp der Erfrierungstod.

Wild gab es keines und die Mounties mußten ihre Hunde erschießen, um nicht zu verhungern. Schließlich kochten sie sogar ihre Sättel — und die Mokassins.

Als ein letzter, verzweifelter Vorstoß unternommen wurde, waren nur mehr Inspektor Fitzgerald und Polizist Carter am Leben.

75 Kilometer vor dem Bestimmungsort griff Carter, dessen Kräfte versagten, zur Pistole und erschoß sich ...

60 Kilometer — und immer noch stapfte Inspektor Fitzgerald vorwärts.

30 Kilometer — und mit letzter, verzweifelter Kraft bewegte er sich auf Händen und Füßen dem Ziel zu.

Doch die letzten 20 Kilometer konnte er nicht mehr schaffen. Mit bebender Hand schrieb er den letzten Satz in sein Dienstbuch:

„All mein Geld, meine Kleider und andere Wertgegenstände hinterlasse ich meiner innigst geliebten Mutter. Gott segne alle!“

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DAS HAUPTQUARTIER der Royal Mounted Police ist ein fünfstöckiges Gebäude in einem Vorort der Bundeshauptstadt Ottawa. Hier amtiert Com-missioner C. W. Harvison. Von hier laufen die Fäden zu den vierzehn Divisional Headquarters und die zweiunddreißig Subdivisions. Ihr „Arbeitsfeld“ ist ein Gebiet, das sich über 3,600.000 Quadratmeilen erstreckt, doch die Zahl der Mounties beträgt kaum 8500.

Flugzeuge, Boote und Schiffe, mehr als 1200 Autos nebst vielen Motorrädern, Lastkraftwagen, Snowmobiles und Pferden stehen den Mounties zur Verfügung. Zudem eine Schar von Polizeihunden. Ihr berühmtester war Dale, ein schöner Schäferhund. Im Hauptquartier der Royal Canadian Mounted Police, in Rockcliffe bei Ottawa, befindet sich heute noch der Akt „K 470“, der über seine Arbeit Aufschluß gibt.

Dales Karriere begann im Jahre 193 5. Bald darauf wurde der Hund bei

Cranmore eingesetzt. Zwei Polizisten waren hier ermordet worden, doch die Suche nach den Tätern war erfolglos geblieben. Dale stöberte die Unholde schließlich bei einem Jungwald auf. Bei dem darauf folgenden Kugelwechsel wurden die Missetäter erschossen.

Als ein irrer Brandstifter ein Bauernhaus mit benzingetränkten Wäschestücken in Flammen aufgehen ließ, schnupperte der Polizeihund in den Resten der Lappen. Durch einen Präriesturm kämpfend fand Dale den Untäter, der durch einen Aufenthalt im Irrenhaus vor weiteren Verbrechen bewahrt wurde. Als „Police Service Dog“ Dale — wegen vorgerückten Alters — schließlich in den Ruhestand trat, erhielt er von der Royal Canadian Mounted Police für den Rest seines Lebens eine kleine Pension ausgesetzt. Polizeihund Dale hatte sie redlich verdient. Vor allem hatte er doch eine Anzahl Menschenleben gerettet.

DER FARMER JOE TOMSCHAK fand im Juni 1947 auf seiner Farm in

der Prärieprovinz Alberta einige seltsame Eier, aus denen nach einiger Zeit sechs dar sehr raren wilden Trompeterschwäne schlüpften. Vier davon verendeten; doch es gelang Joe Tomschak, zwei der Trompeterschwäne zu retten. Sie wurden in seiner Scheune von einer alten Henne „aufgezogen“.

Ein Nachbar, der von Tomschaks Trompeterschwänen erfuhr, zeigte ihn an, weil der Landwirt, die Schwäne „der Freiheit beraubt hatte“.

Konstabier Turtter, der ausgesandt wurde, um festzustellen, ob eine Übertretung der Naturschutzgesetze vorliege, sandte folgenden Bericht:

„Die Trompeterschwäne wurden beobachtet, während sie auf dem Hof ruhten. Sie sind ganz zahm, und es war möglich, sie zu streicheln. Sie fürchten Mr. Tomschak nicht und reiben — wie eine Katze oder ein Hund — ihre Hälse gegen seine Beine. Wenn Mr. Tomschak nach Grande Prärie fährt, um Vorräte einzukaufen, fliegen sie über seinem Auto und kreisen über dem Laden, bis er herauskommt. Dann fliegen sie wieder zur Farm zurück. Die Schwäne .kommen und gehen', wie es ihnen beliebt, doch sie ziehen es anscheinend vor, auf Mr. Tomschaks Farm zu bleiben. Die Trompeterschwäne sind daher nicht ihrer Freiheit beraubt und es kann keine Aktion im Sinne des .Migrarory-Bird'-Gesetzes empfohlen werden.“

Absolute Fairneß war stets der Mounties vornehmste Pflicht.

EIN BEWEIS IHRES STRENGEN Gerechtigkeitssinnes war aber auch der Fall der Forscher Radford und Street, die auf der Suche nach „blonden Eskimos“ spurlos verschwunden waren.

Inspektor French nahm die Suche nach den Vermißten auf. Sie währte zwei Jahre lang. Inspektor French machte ausfindig, daß Radford einen Eskimoführer ausgepeitscht hatte, als sie sich weigerten, eine ihrer Frauen (die nicht mehr weiterkonnte) ihrem Schicksal zu überlassen. Nach der Auspeitschung ermordeten die Eskimos die beiden „Blaßgesichter“.

„Mord provoziert. Verfolgung der Täter nicht empfohlen“, lautete Inspektor Frenchs lakonischer Bericht, und die Kinder der kanadischen Arktis wußten, daß die Gerechtigkeitsliebe der Mounties auch dann nicht haltmacht, wenn das Leben von „Blaßgesichtern“ im Spiel war.

*

NEUN JAHRZEHNTE sind seit der Schaffung dieser einzigartigen Polizeimacht vergangen. Doch der romantische Zauber, den der Beruf des Royal Canadian Mounted Police Officers auf junge Kanadier ausübt, ist heute so groß wie eh und je.

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