Die Rückkehr der Weisen von Zion

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Längst sind die vor 100 Jahren aufgebrachten "Protokolle der Weisen von Zion" als Fälschung der russischen Geheimpolizei entlarvt. Dennoch erfahren sie - und mit ihnen das Stereotyp von der "jüdischen Weltverschwörung" - wieder Verbreitung wie eh und je.

SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski, der von 1941 und bis Kriegsende führend an der Tötung von Juden beteiligt war, sagte nach dem Krieg: "Im Gegensatz zur Auffassung der Nationalsozialisten, wonach die Juden eine hoch organisierte Gruppe waren, lautet die schreckliche Wahrheit, daß sie keine wie auch immer geartete Organisation besaßen. Die Masse des jüdischen Volkes wurde völlig überrascht. Sie wußten nicht im entferntesten, was zu tun sei; sie hatten keinerlei Weisungen oder Losungen, nach denen sie hätten handeln können."

Die jüdische Weltverschwörung bezeichnete er als "die größte Lüge des Antisemitismus".

Antisemitische Fälschung

Wieso glauben trotzdem noch heute Millionen Menschen daran? Warum erscheinen in den verschiedensten Gegenden der Welt auch hundert Jahre nach der Erstveröffentlichung "Die Protokolle der Weisen von Zion" in hohen Auflagen? Diesen Fragen ging eine Ende Oktober von der Universität Tel Aviv veranstaltete internationale Tagung nach, an der auch einige deutsche Wissenschaftler bemerkenswerte Vorträge hielten.

Die Protokolle sind eine antisemitische Fälschung, mit der eine jüdische "Weltverschwörung" bewiesen werden sollte. Viele Vorformen - insbesondere den Roman "Biarritz" von John Retcliffe*) - kompilierte die zaristische Geheimpolizei gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem "dokumentarischen Bericht". Im Rückgriff auf Verschwörungsvorwürfe, die es seit der französischen Revolution gab, wurden die "Protokolle" benützt, den Juden vorzuwerfen, sie hätten auf einer geheimen Konferenz die Erlangung der Weltherrschaft mittels der Wirtschaft, der Finanz- und Medienwelt geplant.

Erst in den 1920er Jahren wurden die "Protokolle" als Fälschung entlarvt, was aber ihre Wirkung nicht einschränkte. Von Deutschland aus wurden sie in zahlreiche Sprachen übersetzt und weltweit verbreitet. Die Protokolle und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung waren Werkzeuge der Nazi-Propaganda, von den Anfängen der Partei bis zur Niederlage 1945. Am 29. Dezember 1944, als schon fünf bis sechs Millionen Juden getötet waren, wiederholte das Propagandaministerium immer noch die Lüge: "In diesem Krieg geht es im Kern nur um die Brechung der jüdischen Weltherrschaft. Wenn es gelänge, die 300 heimlichen Judenkönige, die die Welt beherrschen, schachmatt zu setzen: Die Völker dieser Erde fänden endlich ihren Frieden."

Heute werden diese bereits nach dem Ersten Weltkrieg als Fälschung entlarvten "Protokolle" nicht nur von Rechtsextremisten, sondern auch in der arabischen Welt als seriöse historische Quelle behandelt und als Teil einer intensiven psychologischen Kriegsführung gegen den Staat Israel eingesetzt.

Befremdliches in Frankfurt

Ausgerechnet bei der letzten Frankfurter Buchmesse, diesmal dem Dialog mit der arabischen Kultur gewidmet, waren arabischsprachige Bücher mit Behauptungen wie "Die Juden sind die Mörder der Propheten und der größte Feind der Menschheit", oder "Die Religion der Juden fordert die Vernichtung aller anderen Völker" zu finden. In einem im Libanon schon in zweiter Auflage verlegten Band verfolgt der Autor die von ihm so genannte "Militärgeschichte des israelischen Volkes" und erklärt, dass die Wurzeln von "Militärideologie" und "zionistischem Terror gegen die Araber" in der jüdischen Religion zu finden seien. Und als eine der Grundlagen des Judentums und seines Strebens nach Weltherrschaft nennt Gabar Al-Halul in seinem 2004 in Beirut erschienenen Band unter dem Titel "Grundlagen des Verhaltens der Juden" neben Tora und Talmud dann auch die notorischen "Protokolle der Weisen von Zion" als Schlüssel für die Analyse des "jüdischen Charakters".

Hass-Film in Ägypten

Während der Ramadanfeiertage 2002 wurde in Ägypten der 41-teilige TV-Film "Der Reiter ohne Pferd" gezeigt, der auf den "Protokollen" gründet.

Das Hauptthema dieses Fernsehfilms ist die Geschichte des Nahen Ostens und des arabischen Nationalismus bis zur Errichtung des Staates Israel. Einer Gruppe von orthodoxen Juden wird unterstellt, sie hätten mit britischer Hilfe versucht, die Publikation der "Protokolle" zu verhindern, doch der Held des Filmes lässt diese ins Arabische übersetzen. Juden werden als Feinde der Menschheit dargestellt, die mit der Hilfe von Geld, Mord und Sex versuchen, die Weltherrschaft zu erringen.

Dies untergräbt nicht nur jede mögliche arabisch-israelische Versöhnung, sondern verschärft noch diesen Konflikt, indem es den jüdischen Staat delegitimiert und die Juden als Volk enthumanisiert. Auf ausländische Proteste reagierte die ägyptische Öffentlichkeit mit nationalistischen Ressentiments und mit dem Bestehen auf "Meinungsfreiheit". Der Produzent Muhammad Subhi leugnete den antisemitischen Inhalt seiner Serie. Seine Forschungen bewiesen, dass "19 der 24 Protokolle verwirklicht" worden wären und er drückte seine Befriedigung aus, dass er "die große Verschwörung, unsere geliebte Nation zu schlucken" aufgedeckt habe und brüstete sich, dass, wenn dieser Film "den Zionisten Schrecken einjagt, wir mehr solche Serien produzieren werden."

Teil des arabischen Denkens

Einige arabische Intellektuelle kritisierten, dass die "Protokolle" und Verschwörungstheorien herhalten müssen, um weltweite soziale Phänomene zu erklären. Die heftigste Kritik äußerte der Berater von Präsident Mubarak, Usama al-Baz, der die Mythen der "Protokolle", die Verbreitung der Ritualmordlegende und die Leugnung des Holocausts anprangerte. Er forderte das arabische Publikum auch auf, mit den Sympathieerklärungen für Hitler und den Nationalsozialismus aufzuhören.

Obwohl die "Protokolle" ursprünglich nichts mit den historischen und kulturellen Traditionen der arabischen Muslime zu tun hatten, wurden sie durch wiederholte Publikationen in arabischer Sprache Teil des arabischen Denkens. Ihre Anziehungskraft ist groß für viele Muslime und Araber, weil Juden eine allmächtige okkulte Kraft für sie verkörpern und das Schreckgespenst einer derartig mächtigen, satanischen Verschwörung ihnen erleichtert, das psychologische Trauma und die Demütigung der aufeinanderfolgenden Niederlagen durch den Westen und Israel zu ertragen.

Unausrottbarer Mythos

Der deutsche Antisemitismusforscher Wolfgang Benz (vgl. auch Seite 21 dieser Furche), nannte das auf der Tagung in Tel Aviv die "Überzeugungskraft des Absurden": Nach dem 11. September 2001 wird sogar in europäischen Mainstream-Medien gelegentlich die Legende von der "jüdischen Weltverschwörung" aufgewärmt.

Widerlegungen und der Appell an die Vernunft nutzten und nützen bis heute nichts, die lange und nachhaltige Wirkung der Protokolle kann gerade dadurch erklärt werden, dass es sich um ein absurdes und hassgeborenes Konstrukt handelt. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung dient den islamistischen Ideologen als willkommene Munition im Kampf gegen Israel. Fiktion wurde zum Kern eines Mythos, der durch unablässigen Zitieren, durch Assoziation und Konnotation scheinbar Realität gewinnt und so können die Protokolle zur Chiffre der Judenfeindschaft gemacht werden, die beliebig einsetzbar ist.

Der Autor ist freier Journalist und Korrespondent des israelischen Radios in Wien.

*) zitiert nach:

Die Protokolle der Weisen von Zion Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Von Norman Cohn.

Elster Verlag, Baden-Baden/Zürich 1998, ISBN 3-89151-261-9.

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