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Die Sage vom Antichrist

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(Schluß)

Da schnob der Knecht, als wenn er eben aus Traum und Mondwandel zu sich käme. Und trachtete an den Ort zurück, wo er die Kameraden verlassen hatte. Er fand sie nicht mehr. Der Gestank des großen Feuers lag noch im Jungwald. Ein matter Beinvogel schwirrte, und durch das Moosbeerkraut ging eine Spur bergauf. Der Knecht begann zu suchen. Er strampfte geduldig Tag und Nacht.* Allzeit bedeuchte ihn, als spänne sich Wachs und Honig vor ihm her, als schwänge noch das zarte Laub, unter dem sich Maria auf der grünen Trag gebückt hatte. Sodann erreichte er die Baumgrenze, wo der Ausblick sich weitete. Wenn immer eine Schneid überstiegen war, sähe er jenseits von der andern Sdinejde etwas Güldenes hintangleiten, wie offenes Haar in den Wind taucht. Er griff mit seinen Pratzen nach der fernen Erscheinung, er hub zu beten an. Das Schuh/.eug brach am Schotter, und die Pfaid zerfranste. Es war so hoch keine Blumenzier. Die gelbe Binsenweid vom Hirest summte. In den Gumpen spülte dünnes Eis, manchmal auch der starre Kamm eines Wurmes empor. Hühner strichen grau und blustig im Winterflaum. Es staubte kalt. Rings in der Einöd vergingen für dem Auge die Gipfel.

Dergestalt wallfahrete der Knedit, furchtsam und reumütig, daß er die himmlische Herrin um törichte Weltlust bald ver-sdiadiert hätte. Sonne, Mond und Sterne beschienen ihm den Weg. Er konnte bisweilen die Fährte der drei Männer ausnehmen. Es blühte der Reif aus dem stumpfen Grase. Weiter bergwärts zwängten sidi bläuliche Eiszapfen aus dem geborstenen Stein. Und zuletzt mußte er im Schnee waten. Der Sturm verhüllte ihn mit rauhen Flocken.

Einmal während der Nacht sdilug er unversehens die Hirnschale an einen Grössing. Er bumsete hin und kam auf den Knien zuschlaf. Das frühe Mairot aber bewährte seine Säfte vor der Todesgefrier. Er sah erwachend, daß er nicht unter Baumes Obdach sei, sondern neben der grünen Trag. Die Stricke hingen locker und entzweigeknüpft. Das Bildnis war verschwunden. Friedlich beisammen saßen die Kameraden. Das Haar und die Bartstoppeln waren abgewittert, ihre Buckel von Schneeschiefern überkrustet, Haut und Bein schon trocken und steif.

Der Knedit stund eine Weil in Betrachtung. Er fühlte den Ruch von Wachs und Honig hinschweben über dem todstillen Kar. Er Tnadite das Kreuz, und dann, wie der Tag völlig entflammte, ging er in einer leeren Wasserrunse langsam zutal. Die Gegend war ihm fremd. Ein Fluß blinkte zwischen der sprossenden Saat. Audi die Bergäcker keimten bereits. Über dem Winterkorn weideten Sdiafe. Im Sölkgraben redete er eine Bäurin um Atzung an. Fürder ließ er sidi von der wilden Trift den Weg weisen; er hatte kein Ziel. Bei dieser Wanderung gelangte er am Abend zum Enns-gestade, und allhie ward er von Flößern angerufen, zumal sie eine Beihülf brauchten in der hohen Frühjahrsschmelz. Er nächtigte mit ihnen ohne Wort und Handel. Am Morgen, als sie die Kette aushackten, sprang er als letzter auf die Bloche. Es war eine rauhe, heilose Fahrt. Weit vor ihnen hüpften andere Plätten, eine fuhr gröhen auf die Bruckenpfeiler zu, stellte sich lotredit, und die Mannsleut fielen hinab wie matte Fliegen. Das Steuern ward eine großmächtige Kunst. Bisweilen fing sie ein Wirbel, oder eine Wasserschütt bekam jählings das Übergewicht, tunkte den Flößer herissel tief ein, während sie den Flößer drüben in die freie Lust schwaibte. Bei solcher Gefährlichkeit des Leibes und Lebens erweckte gar mancher seine Sündenreu, fürnehmlidi der Holzknecht bat immer wieder mit brünstigen Seufzern, daß Gott ihm wolle barmherzig sein.

Also ru*n und rollte die Enns an Ort-.chatten und rosinfarbenen Baumgärten für-bei. Kinder und Hündlein satzten oft lärmend und waghalsig neben der Böschung. Das Wiesenmoor dampfte, und die saftreiche Mahd war zeitig. Hinter den Ufern reckten sich die Berge im Bild der Eismänner völlig blank und winterlich. Das Firmament war heiter. Aber die Flößer durften bei dem strengen Geschäft ihr Auge nicht soweit erheben. Erst wie in Frauenberg die AveGlock anschlug, blickten sie Undanks zu den Türmen empor. Der Holzknecht erinnerte sich unter Schwitz und Gewissens-pein jener Stunde, wo es gleichsam zum Ab-sdiied der heiligen Jungfrau geläutet hatte. Er ließ urblitzlich die Stange fallen und bat fußfällig mit überstarkem Schreien:

Zuweg ihrer sieben Schmerzen, zuweg ihrer Gnade bei Gott und ihrer Liebeszähren, welche er selbsten hatte fleußen sehn, wolle sie ihm vor dem Tode noch eine Beicht verstatten, dawo er seine' Sdjuld und sein Geheimnis loswerden könne.

Kaum berufen, glättete sich der ungestüme Wellengang. Es war, als habe der letzte Glockenton sänftlich über das Wasser gehaucht. Die Mannsleute stierten verwundert und scheu. — Zuerst auf den Schaden. Item die Fracht lag wasdinaß und dick von Lehm versehret. Ein Biereimber war hint-angesdiwummen. Die Ketten und Zabbel staken fest in der Blochfuge.

„Was bist du vor ein seltsamer Kerl“, murrten sie hienach den Holzknecht an. „Du hast uns Unrein angewunschen, selthalb wir fast ersoffen waren.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin der Herodes. Ich bin der Judas. Ich bin ein Vorbot dem Reiter, den ich nicht nennen mag. Er kirnt wieder“, sagte er drohend.

Den Flößern grauste. Sie wähnten, daß er besessen wäre oder von der hitzigen Seuche toll, die seit Wochen unter Mensch und Tier wüstete. Ohne Beratung dachten sie einig, daß er zu keiner Arbeit mehr nutz war. Sie steuerten in eine fladie Strömung und stießen ihn bei Admont auf den Ufersand. Er ging, des Wegs nicht achtend, quer durch Sickermoos und Traidfelder dem Münster zu. Er betraf .wenig Leute. Im Freithof wurden Gräber ausgeschaufelt. Im Kirchtor wurde ihm schwarz vor dem Gesicht, soviel Requiemkerzen waren gestiftet. Pater fand er keinen.

Das Teil wäre in der Umgegend zum 1 rost der Sterbenden, sagte der Meßner auf seine Nachfrag Das Teil wäre selbst marod. Der Hochwürdige Prälat Ofner, dem gottseligen Antoni sein Nachfolger, habe sich ebenitz zum Zwergel hinaufbegeben, in-maßen derselbe in Zügen läge und nicht verscheiden könne. Sein Herz hüptete so wie ein Hammer, ohneradit. ihm die Krankheit bereits das Gedärm zermürbt habe. Es werde noch Tag und Nacht dauern, sagte der Meßner.

„So ruf mir den Prälaten“, bat der Knecht.

Der Meßner führte ihn über den Hof nach der Kavalierstiege, zeigte ihm Tür und Tor. Aber bevor der Holzknecht öffnete, lief er eilends aus dem Bereidi der Todesluft.

Die Zelle war klein und grau. Der hoch-würdige Abt las bei einem geweihten Licht das Miserere. Manchmal zerbiß er eine Kranebitte gegen die Seuch. Jegliche Gebärde verfolgte der Zwergel mit offenen Augen. Letztlich hustete der Knecht. Der Abt wandte sich, sprach über die Achsel:

„Was will Er?“

„Die heilig Beicht vor meine Sünden.“

Allsogleich stund der Prälat Ofner vom Schemel auf und ging, ihm winkend, aus der Zelle. Dodi der Holzknedit empfand eine plötzliche Bannung und mochte nicht vom Ort weichen. Es drang wie kalter Stahel durch Rock und Pfaid. Der Zwerg Oswald frug, unter Atemnot schnappend:

„Was vor ein Metallum hat er bei sich?“

Da fiel dem armen Sünder ins Gedädit-nis, daß er immer noch die verwunschene Löhnung bei sich trug. Er stotterte herzhaft:

„Rotgülden und Taler.“

Der Zwergel fingerte unruhig über das Leintuch und zog den Hals zwischen den krumpen Schultern ein. Gelbe Blasen wölbten sidi an seinem Mund. Er witterte:

„Gold mit spanisch Silber karatiert. Was vor ein Münzherr hat sollich Prägung? Papst nit und Kaiser nit.“

„Wer ansonst?“ fragte der Knecht, indem er wissend zu Boden schielte. Der andere röchelte im Strohbett. Fliegen qualmten einher und peinigten ihn. Die Kerze verbrenn auf einen Stumpen.

„Bald habt ihr ausgeschnaufet“, sagte der Knedit. „O wollet hienach mein Fürbitter sein bei der heiligen Jungfrau Marie. Wohl bin ich geloften hinter dem hül/crncn Kleid und dem gelben Haar. Aber ein sdineller Reiter hat ihr nachgestellt. Hat sie vielleicht von der Trag geraubet, inweil die drei Kameraden erfroren sind.“

Der Zwergel bog das Genick auf, krächzte mit dicker Zunge:

„Was sagt Er?“

Der Knecht schwieg, bekam erst tum Reden Mut, als der andere beinern und spitzig in die Wand äugte und kein Zeichen mehr gab.

„Es ist geschehen durch meine Hoffart, durch Geiz und Geldgier, durch lüsterne Sucht nach Buhlschaft, Fraß und Völlerei.“ So klagte er sich fibbernd an und erzählte, wie der Wirt im Tauern eine neue Kegelstatt erbaut hatte und das Bildnis fürgekommen war. Hinter ihm stund bereits der Prälat mit der Fastenstola, spähend, wes-halbcn er säume. Er gewahrte es nicht. Nachdem er das lange Geständnis abgetan hatte, griff er in den Hosensack, um auch die Judasmünze fürzuzeigen. Doch sie war unter dem Feuer seines bußfertigen Herzens in nichts zerschmolzen.

Bei der Zellentür sagte der Abt:

„Bete itz ein Pater noster'für den Sterbenden, welchem du mit Spuk und Geuste-reien den frummcn Hinscheid erschwerst. Alsdann will ich deine verhexte Phantasei kalmieren.“

Da richtete sich der Zwerg auf einmal mit übernatürlicher Kraft empor und weissagte singend wie ein Seraph:

„Vater unser, der du bist,

bewahre uns vor dem Antichrist,

der über, die Erden für und für reitet

und deinen heiligen Nam“ abstreitet.

Kriegsscharen, Seuchen und Kometen •

müssen vor seiner den Weg austreten.

Herr und Knecht werden heimbgesudn

und entwöhnt ihrer geistlichen Zucht. ,

Kein Liebesgeduld ist unter den Weibern,

daß sie ertöten die Frudn in den Leibern

und ihre Kinder in Schand und Unehren,

heimlich für den Schinder gebären.

Wehe der ungetauften Seel',

todt ohne Weichbrunn und Evangel!

Sie muß auf der langen Himmelsstiegen

ewig mit den Beinvögeln fliegen.

Muß sich vor Gottes Auge verstecken

und darf das Paradeisum nicht schmecken.

, Vater unser, der du bist, bewahre uns vor dem Antichrist. Siehe, es steht auf dem grünen Berganger ein Weib, vom Geiste gesegnet und schwanger. Es ist Maria, die schönste Christrose, und Jesus schlafet in ihrem Schöße. Oh, wie nahen herbei die Bein, wollen der Gnade teilhaftig sein. Kinder, so noch keine Lippen haben, wollen an ihrer Brust sich erlaben. Kinder, so nidit zu den Engeln können, Tun sie- unter den Flügel nehmen. Inweil der Reiter bei der Nacht, sie- lästerlich zu verderben tracht', seynd immer noch arme Bauern und Hirten, welche sie auf der Flucht bewirten. Und rauher Schneewind tut sie verhüllen, bis daß sich die Zeichen der Schrift erfüllen.

Vater unser, der du bist,

bewahre unt vor dem Antichrist,

weldier zernichtet die heiligen Stätten,

damit wir sollen das Tier anbeten.

Bald muß ein Bot' für dem Reiter waten

und die Lieb Frau von der Einöd verraten.

Siehe, da blühet im hohen Eis

die schönste Christblume rot und weiß.

Leucht' in die Wolken mit ihren Blättern,

indessen Donner den Himmel zerschmettern.

Und ihre Wurzel spaltet die Erden,

daß alle Gräber offenbar werden!

Aus dem Schöße der Rose bricht

Jesus Gottsohn im ewigen Licht.

Er tut die Geraden und die Schekhen

lautmäditig zum Jüngsten Gericht befelchen.

Seit Adam alle Geschlechter und Sippen

ersdieinen vor ihm in der Todteng'rippen.

Es wird gewogen Leib und Seel'

auf der Waage des heiligen Midiael.

Auch ich muß daran in Gottes Namen.

Jungfrau Maria, bitt vor uns. Amen.“

Dann hatte der Zwergel auspsalmiert und tat seinen letzten Schnaufer. Die zwei a*-dern gingen, keines Wortes fähig, in die Freie. Erst der lenzliche Ruch von Holder und Baumknospen ermunterte ihren düstern Sinn. Und der hochwiirdige Prälat Ofner sprach erleuchtet:

„Wahrlich, vier arme, einfältige Knechte hätten dem Altfeind getrut/t und den Untergang der Welt noch einmal aufgehalten.“ Sodann schaffte er den Büßer ins Kr.ie, berührte seinen Kopf mit der blauen Fastenstola und segnete ihn.

Der wanderte also getröstet in die Heimat zurück und wurde dortselbst ein frommer Wächter Unserer Lieben Frau. Er hat in der ganzen Umgegend ihre Bildstöcke betreut, indem er feste Gitter einklampfte und die schönsten Blumen des Jahres hinzutrug. Er hat gelebt vom. Wachs der wilden Bienen und von der Schwarte, die Hausgesind und Hühner übrig ließen. Zum Dank verkündigte er auf allen Berghöfen die Beschwörung gegen den Antichrist. Doch im späten Alter, wo nach Krieg und Krankheit eine fettere Zeit anrückte, da horchten die Bauern auf dem Tauern schon wjlligcr dem Geist der Aufklärung entgegen als seinem Gesang. Sie lachten, wenn er hager und eisgrau im Tore stand und mit dem knochigen Finger weithin über die hohe Straß deutete, hiebei sagend:

„Er kimbt wieder ...“ Das Gespött machte den alten Mann einsam und menschenscheu. Und er verzählte nur noch den Kindern, was bei den Großen den Anwert verloren hatte. Jedes Frühjahr, wann der Weiz und das Korn unter den dampfenden Schneeflächen herfürsproßte und die wilden Bcinvögcl aus dem hohlen Baun: schwärmten, lief im jungen Schock immer auch ein neuer Zuwachs, Bub und Dirnlein, was über die Winterzeit auf die Füße gekommen war. Dann sagte er:

„Ich kenn euch schon. Einmal seynd “wii mitsammen durch die Einöd gefahren.“

Und die Kinder umkauerten ihn, diewei! das Gras rauchte von erdbitterem Gedufi und der Heider rosinfarben knospete unt seine Stimme unheimlich dahinrollte. Ei kam ihnen alles gar -bekannt vor, was ei vom nächtlichen Reiter und der wunderlieb' sten Jungfrau sprach... Und sie erinnerter sich unter bangem Gezitter des Herzens r das Lied, was immer wieder anfing, wann e aufgehört hatte ...

„Es blaset um TSerge und Hügelein, Es tauet schon unter den Hecken. O Mutter, wir haben zwei Flügelein, Die werden dich sänftlich bedecken.“

Und die Kinder glaubten sich zu erinnern dieweil eine Stimme immer unheimliche und mächtiger hinrollte und der Halm in Winde schauerte und das Heidekraut wi dunkles Feuer brunn. Wenn ihnen fürkam daß sie über dem Tauern schon den Huf schlag des nächtlichen Reiters hörten, dam kauerten sie sich eng und nahe um den ge weihten Bildstock.

Sie flüsterten dem Greise ein jedes Wor von den Lippen herab, weil es ihnen ga wohlbekannt war, und summten andächti; zum Tröste der wunderlichsten Jungfrau

„Es blaset um Berge und Hügelein, Es tauet schon unter den Hecken. O Mutter, wir haben zwei Flügelein, Die werden dich sänftlich bedecken.“

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