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Die Schlacht von Custozza

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Oberleutnant Wendelin Kropatsch, der „Silbenschlucker“, ist, wie alle Gestalten Torresanis, eine „historische“ Persönlichkeit gewesen, nämlich der Rittmeister Emst Kasperlik von Teschenfeld des Regiments Trani-Uhlanen, der 1S66 in der Schlacht von Custozza den Tod fand

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Oberleutnant Wendelin Kropatsch, der „Silbenschlucker“, ist, wie alle Gestalten Torresanis, eine „historische“ Persönlichkeit gewesen, nämlich der Rittmeister Emst Kasperlik von Teschenfeld des Regiments Trani-Uhlanen, der 1S66 in der Schlacht von Custozza den Tod fand

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Es war am Mittag des 24. Juni 1866, die Schlacht in ihrem vollen Gange.

Gedeckt hinter einem halb zur Ruine zusammengeschossenen Hause hielt die Escadron, oder was davon übrig geblieben war, in Zugs-Colonne formirt, abgesessen. Gurten und Kinnketten nachgelassen. Sie hatten schon dreimal attakirt, dreimal den Feind niedergeiegt, wie ein Sturmwind, und genossen jetzt einer kurzen Ruhe, deren sie aufs Aeußerste bedürftig waren. Kaum wäre es möglich gewesen, die Farbe der Monturen und der Pferde zu erkennen, so dick war die weißliche Kruste von Staub und Schweiß, welche sie vom Kopf bis zu den Füßen bedeckte. Auch gaben vielfach verbundene Gesichter, Arme und Pferdefüße der Abtheilung ein verwahrlostes Aussehen.

Die Leute hockten oder lagen auf dem Boden im spärlichen Schatten, welchen die Leiber der Pferde gewährten. Mit dem Notizbuch in der Hand gingen die Unteroffiziere herum, um die Verluste festzustellen. Die Trompeter hielten etwas abseits die Pferde der Offiziere. Diese letzteren lehnten im Schatten des Hauses an der Mauer, die Hände in den Hosentaschen, und unterhielten sich ernst, aber stolz gehoben, fast feierlich über die eben vollbrachten Waffen-thaten. Aber ein Blick nach den gelichteten Reihen dämpfte den Triumph ihrer Soldatenherzen.

Rings herum tobte die Schlacht. Der Kanonendonner dröhnte mit unerhörter Heftigkeit. Rechts, auf einer sanften Anhöhe, sah man eine Achtpfünderbatterie in voller Action, unter deren Schüssen die Erde bis herüber vibrirte. Dichter Pulverdampf wogte um Geschütze und Mannschaft. Von Zeit zu Zeit, wenn der Wind eine Ritze in den Rauch riß, konnte man Czakos und Roßbüsche, huschende braune Gestalten, einen zum Schlag auf die Brandelschnur erhobenen Arm, den Rücklauf eines abgefeuerten Geschützes oder das Bäumen eines getroffenen Pferdes sehen. Auf Augenblicke, während einer jener bekannten, blitzschnell vorübergehenden, unerklärlichen Pausen im Schlachtgetöse wurde wohl auch mit unheimlicher Deutlichkeit die Stimme des Hauptmanns vernehmbar, wie er, die Uhr in der Hand, mit steinerner Ruhe das Feuer lenkte. „Numero Zwei!“ schallte es und gleich darauf fiel das freudige: „Feuer!“ des Geschützcommandanten ein. — Dumpf, wie Donner hinter den Bergen, dröhnten die feindlichen Batterien. Ihre Hohlgeschoße zischten in flacher Parabel durch die Luft.

Links dehnte sich der Eisenbahndamm, besetzt von einem Tirolerbataillon, die Krete ganz hechtgrau von liegenden und hockenden Jägergestalten. Man sah die Officiere säbelschwin-gend auf und ab rennen; ein ununterbrochenes Knattern, eine ununterbrochene Reihe von kleinen Wölckchen lief die Reihe entlang. Am Fuße der Böschung, gedeckt und beschattet, spielte die Bataillonsmusik einen Marsch, von dem aber nur hie und da ein schriller Clarinetten-laut herübertönte.

Die beiden Straßen entlang, die sich beim Hause kreuzten, sprengten fortwährend Adjutanten mit flatternden grünen Federbüschen, in füll pace, vornübergebückt wie Jockeys, und keiner unterließ es, im Vorbeifliegen ein kurzes Compli-ment herüberzuschreien: „Bravo Trani!“ — „Brillant!“ — „Gratulire!“ Denn schon waren die Waffenthaten des Regiments in aller Munde.

Kropatsch befand sich in bester Laune. Er hatte seinen Arm unter jenen Rudzierski's geschoben, des neuernannten Lieutenants, dem der Rittmeister soeben sein eigenes Porte-Epee abgetreten hatte, und war im eifrigen Gespräche mit ihm begriffen.

„Kann schon sein!“ sagte er. „V'rausg'setzt, daß alle so rennen, wie sp'ciell bis jetzt, so kann ich mit blau'n Aug d'vonkommen. — M'r Gl'ck als V'rstand, m'r Gl'ck als V'rstand. Tatt-zache. — pros! VV'ßt, w'rum damals den Katzeimacher auf der Br'cken g'frozzelt r'sp'ctive p'v'cirt (provocirt) hab? Will Dir's sagen! H'b mir die K'rls von der Näh anschauen wollen, sp'ciell um zu sehen, wie meine Chancen stehn. — c'lc'ilrt: H'b'ns Schneid, ists mit Dir aus. W'rum? W'l g'sagt hab: Durch's C're, oder in's C're! Ins's C're aber, v'stehst wohl, h'ßt so viel wie Matthäi am Letzten. V'steh mich drauf, als alter CTrist und PhTsophI - Hab mir also den Kerl gut ang'schaut, G'sicht st'dirt, r'sp'ctive ph's'nomische Studien gemacht. Und was g'sehn hab, hat mir nicht g'fallen wollen. Sp'ciell ein Mordskerl, der 'tl'ener. G'dacht: Wenn die Andern ihm gleichsehen, na g'te Nacht, Kropatsch! Siehst, darum am nächsten Tag t'st'ment gemacht... abg'schlossen m' der W'lt. Na, soll mich freuen, wenn Unrecht g'habt. R'ttm'sterstern m'r jetzt g'wiß, bei den großen V'lusten; und kaum v'r einer Stund hat mir der Ob'rst im V'riiberreiten sp'ciell das V'dienstkreuz versprochen. Verlang mir dann sp'ciell gar nichts mehr vom Leben. Tattzache. -Aber fr'Iich, soll T'g nit v'r Abend loben - ...“

In diesem Augenblick kam ein Generalstabshauptmann auf schweißbedecktem Pferde um die Mauer gebogen. „Vor zur Attake!“ rief er außer Athem dem Rittmeister zu.

„Was Attake! — Manghat uns eine einstündige Rast versprochen! Die Pferde sind hin!“

Der Hauptmann zuckte die Achseln. „Thut mir leid. Höherer Auftrag. Eine Batterie ist bedroht...“

„Ueberlegt's es Euch! Wenn ich g'schmissen werd' —“

„Nehme alle Verantwortung auf mich. Bitte, vorwärts! Werde Weg zeigen.“

„Aufsitzen!“ donnerte wüthend der Schwadronscommandant.

Erst ging es im Schritt quer über die Straße; dann im Trab vorwärts, hinauf und wieder hinab den Eisenbahndamm, unter dem lebhaften Zujauchzen, den Hurrahrufen der Jäger: „Vivat, hoch die Hulaner! Hoch die Polacken! Beißt's gut, brave Hund'! Gebt's es eahner! Packt's es scharf in die Baner!“ — Weiter in Galopp übergehend, über einen Felderkomplex, an dessen Rande ein langer Graben die feindlichen Tirailleure barg.

Schon pfiffen die ersten Schüsse um die Ohren, mit dem Laut von fliegenden Bremsen. Schon fielen die ersten Pferde auf die Knie, oder stiegen bolzgerade empor, zappelten einen Augenblick lang mit den Vorderhufen in der Luft herum, um dann rücklings auf den blut-gerötheten Boden niederzukrachen.

Vorwärts, unaufhaltsam vorwärts! Drüben wird eine lebhafte Bewegung sichtbar. Ein hochgestimmtes Trompetensignal ertönt. Mit Blitzesschnelle und Präcision coagulirt es sich, Abtheilungen schwenken im Laufschritt auf... Und ruhig-ernst, mit mathematischer Correct-heit construiit, starrt das Carre, von einem vierfachen Rahmen blitzender Bajonnete umgeben.

Zugleich kommt es in sanftem Bogen durch die Luft, von einer seitlichen Anhöhe her. Krach! explodirt es in geringer Höhe, spritzt im schiefen Kegel einen bleiernen Sprühregen hinein, mitten in die galoppirende Reiterschaar.

Wie viele liegen? Wer kann es wissen?... Voran, Uhlanen! Voran, wackere Burschen! — Attake!! tönt es schmetternd aus der Trompete. Die Piken fliegen vom Riemen, die Säbel schwirren aus der Scheide.

Da — krach! eine Salve. Krach! eine weitere. Wohlgezielt, todbringend fährt sie mit leuchtendem Blitz aus der Front des Vierecks. Zugleich speit ein zweites Schrapnell von oben Tod i die schon erschütterte Abtheilunj. Jeder Dritte ist ein Opfer geworden, der Rest ein wirrer Knäuel.

Die geblendeten, geängstigten Thiere versuchen umzukehren, steigen, brechen aus. Es bedarf wüthender Sporenhilfen, um sie weiterzubringen. Das Tempo hat sich bedenklich verzögert.

Da erfolgt eine dritte und vierte Salve der Bersaglieri, die wie ein Fels im Meere stehen ...

Verzweifelt steht der Rittmeister: es geht diesmal nicht, es geht nicht. — Rasch wendet er sein Pferd, schlüpft durch die Eintheilung, giebt dem Trompeter ein Zeichen. Appell! schmettert es. Appell! Appell! schreien alle Chargen mit gellendem Laut. Und zurück geht es in gestreckter Gangart, verfolgt von den un-barmherzigen Salven der Italiener ...

Doch im Augenblick des Umkehrens hat sich mit einem Fluch ein Mann aus dem Reiterknäuel gelöst; ein Offizier auf englischem Vollblutroß. Stolz und ruhig hat er sein edles Pferd gegen das Carre forcirt. Er sprengt über die Stoppeln dahin, gerade aufgerichtet, die Absätze durchgedrückt, den Säbel an der . Hüfte, als handelte es sich um ein Einzeldefiliren auf dem Exercierplatz.

Rechts und links pfeifen die Kugeln um seine Ohren — ihn trifft keine. Unentwegt, schnurgerade geht es auf das Viereck zu, bis die starrenden Klingen ihm den Weg sperren.

Ein Zungenschlag, ein Schenkeldruck. In prachtvoller Sprungkurve setzt das Pferd über die vorderen Bajonnecreihen und senkt sich mit der Wucht seiner sechs Zentner nieder, mitten hinein in die feindliche Phalanx, um sofort zusammenzubrechen, durchbohrt von fünfzig Yatagans.

„Risparmiatelo!“ gellt die Stimme des Com-mandanten aus dem Mittelpunkt. Ritterlich wie ein echter Piemontese, erfüllt von Bewunderung für den Tollkühnen, Wahnwitzigen, möchte er dessen Leben schonen ... Aber da reißt ihm ein Revolverschuß, von Kropatsch ä bout portant abgefeuert, die Epaulette von der Schulter...

Jetzt giebt es keine Schonung mehr. Ein kurzer, wüthender Kampf entsteht, Einer gegen Viele .. . Das Ende kann nicht zweifelhaft sein. Eine einzige Wunde, eine blutige Fleischmasse, sinkt der Uhlane auf den Leichnam Naughty boy, des Vollblutrenners...

So starb, sich selbst und seinem Worte treu, Kropatsch, der „echte Cavallerist“.

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