Die Schrullen eines Meisters

Werbung
Werbung
Werbung

Elias Canettis Leben: in einer gelungenen Biografie und einem neuen Bildband.

Experte der Macht, Tod-Feind, Essayist, Romancier und Dramatiker oder "Tierstimmenimitator" - wie ihn James Joyce nach einer Lesung einmal nannte; das nunmehr 100-jährige"System Canetti" hat viele Facetten. Biograf Sven Hanuschek zeigt einige bislang unbekannte und ein von Kristian Wachinger herausgegebener Bildband liefert das Anschauungsmaterial dazu.

Denn, ganz im Ernst: was wissen Sie eigentlich über Elias Canetti nach Hitlers Machtergreifung? Wer Canettis dreiteilige Autobiografie kennt, hat ihn als jungen Mann in Erinnerung, der im Wien der dreißiger Jahre seine Kreise zog, künstlerisch vielseitig interessiert, ein gnadenloser Beobachter, hart und schnell im Urteilen sowie im Begriffe, an seiner literarischen Karriere zu basteln. Außerdem ein großer Verehrer einer gewissen Veza Taubner-Calderon und ehemaliger Bewunderer von Karl Kraus, der ihn eben durch seine Nicht-Reaktion auf das österreichische Bürgerkriegsgeschehen gewaltig enttäuscht hat. "Die Blendung" ist kürzlich erschienen, Canetti knüpft bereits an einem Netzwerk verschiedenster Kontakte, die ihn allerdings zunächst nur geistig ins Ausland führen (wie in den späten 20er Jahren nach Berlin); dass Veza und er das Land bald darauf tatsächlich verlassen haben müssen, kann man sich auch noch zusammenreimen, schließlich lebte der Nobelpreisträger Canetti bis in die frühen 90er Jahre in London und Zürich. Dort soll er ungebetene Gäste in der überzeugend gespielten Rolle seiner eigenen Haushälterin abgewimmelt haben und weiteren Schrullen nachgegangen sein, vielleicht sehen wir ihn auch als kleines Rumpelstilzchen, wie er literarisch über die Bekannten seiner frühen Jahre herzieht, nachzulesen in der "Geretteten Zunge", der "Fackel im Ohr" oder im "Augenspiel".

Vertreibung aus Paradies

Sven Hanuschek legt nun - unbeeindruckt von Gerüchten, Ressentiments oder Lobhudelei - eine ausgezeichnet recherchierte Biografie vor, die so manche Lücke füllt, welche zwischen den Zeilen der Autobiografie offen geblieben sein mag, und zeichnet ein anschauliches Bild von Canettis Jahren, vielmehr Jahrzehnten nach seiner Emigration.

"In Rustschuk ist alles schon einmal dagewesen", so Canetti, und es scheint, als sei im ersten Drittel seines Lebens auch schon einmal alles dagewesen, was Rustschuk vielleicht doch noch nicht enthalten haben sollte: die Schauplätze seines Exils sind ihm zumindest keine fremden, England kennt er noch aus Kindertagen, und die "Vertreibung" des Jugendlichen "aus dem Paradies", aus Zürich, ist eine zwar dauerhafte, aber doch nicht ganz endgültige.

Eifersüchtiger Hahn

Mit Detailwissen aber auch Fingerspitzengefühl beschreibt Hanuschek das komplizierte Beziehungsgeflecht von Canettis Freundinnen und Geliebten in England, sein zum Teil recht schrulliges Dasein als schrecklich eifersüchtiger Hahn im Korb, der seinen Frauen nachspioniert, bis er mit ihnen nicht mehr kann, aber ohne sie auch nicht. An einige von ihnen erinnern wir uns aus Canettis postum herausgegebenen Aufzeichnungen aus Hampstead "Party im Blitz" oder auch aus dem "Augenspiel", so etwa an Anna Mahler, die Tochter Alma Mahler Werfels, Canettis Schreckgespenst der Wiener Jahre, für das er ebensoviel Bosheit übrig hatte, wie für seine große unglückliche Liebe Anna Bewunderung. In England waren es dann unter anderen Friedl Benedikt (selbst eine zu Unrecht unterschätzte Schriftstellerin, die unter dem Namen Anna Sebastian drei Romane veröffentlichte), seine Hass-Liebe und Gönnerin Marie-Louise von Motesiczky und Iris Murdoch.

Hanuschek nimmt kein Blatt vor den Mund, lässt aber auch keinen Voyeurismus aufkommen. Canetti erscheint in dieser Biografie als nicht eben einfache, aber vor allem faszinierende und auch sympathische Persönlichkeit, als Mensch, den nichts mehr interessierte als der Charakter und die Ansichten anderer Menschen.

All das spielt sich ab um eine weder glückliche noch alltägliche, auf geistiger Nähe gründende Ehe mit Veza, dem "wichtigsten Menschen" in seinem Leben, dessen Todessehnsucht und Selbstmordphantasien ihn auf Schritt und Tritt bedrohen. Veza wird andernorts gerne als die unterdrückte Frau interpretiert, die stets in Canettis Schatten stand und deshalb ihre Karriere als Schriftstellerin nicht mehr erlebte. Hanuschek zeigt Canetti als ihren größten Bewunderer, der sich nichts mehr wünschte als ihre öffentliche Anerkennung, zu der sie allerdings nichts beitragen wollte. Und auch Elias Canetti wünschte sich ihre Entdeckung von außen, echt und unabhängig, ohne sein Zutun. Ein Wunsch, der ihm dann doch noch erfüllt wurde.

Spätes Familienglück bescherte ihm seine sehr viel jüngere zweite Frau Hera, eine bildende Künstlerin, mit der er vor allem in der Schweiz lebte, und seine Tochter Johanna, mit der er seine letzten Jahre als alleinerziehender Vater verbrachte; er, der so viel Ältere, hatte auch seine zweite Frau überlebt.

Zur Qualität sowohl der Biografie als auch des Bildbandes hat auch Johanna Canetti beigetragen, mit ihren Erinnerungen und mit Bildmaterial. Die "Bilder aus seinem Leben" zeigen nicht nur Canetti von frühester Kindheit bis beinahe zu seinem Tode im Kreise seiner Familie bzw. seiner wichtigsten Vertrauten, sondern sie dokumentieren auch eine ganze Reihe von Freund-, Bekannt- oder Liebschaften, zeigen das, was Canetti auf Schritt und Tritt beschäftigte: die Menschen, mit denen er im Laufe seines langen Lebens zu tun hatte.

Hüter der Geheimnisse

Als "Hüter der Geheimnisse" entpuppt sich Canetti aber trotzdem, nämlich über seine testamentarischen Verfügungen: ein Großteil des Nachlasses wurde 2004 zugänglich, nicht zuletzt darauf beruht Hanuscheks Biografie, ein weiterer, sehr privater Teil allerdings, vor allem Briefe und Tagebücher, ist noch gesperrt bis 2024.

Ein kluger Schachzug. So gibt es auch nach dessen Tod etappenweise Neuigkeiten über den Autor. Aber wie viel Privates muss die Nachwelt wirklich wissen?

Sven Hanuschek hat die Gratwanderung zwischen Information und Sensationslust glücklich bestanden. Er versteht seine Leser zu fesseln, und zwar dadurch, dass er uns dabei hilft, die Persönlichkeit eines facettenreichen Künstlers und Denkers besser zu verstehen.

ELIAS CANETTI

Biografie von Sven Hanuschek

Carl Hanser Verlag, München 2005

800 Seiten, geb., e 30,80

ELIAS CANETTI

BILDER AUS SEINEM LEBEN

Carl Hanser Verlag, München 2005

Hg. von Kristian Wachinger

175 Seiten, geb., e 25,60

Elias Canetti im Porträt finden Sie auf Seite 11.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung