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Die Sehnsucht nach der besseren Welt

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Lady Diana, ein banaler Todesfall? Vielleicht. Vielleicht aber auch eine der letzten Möglichkeiten für unsere Gesellschaft, sich zum Guten zu bekennen, ohne sich lächerlich zu machen.

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Lady Diana, ein banaler Todesfall? Vielleicht. Vielleicht aber auch eine der letzten Möglichkeiten für unsere Gesellschaft, sich zum Guten zu bekennen, ohne sich lächerlich zu machen.

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Es gibt banale Todesfälle. Sie sind die Mehrzahl. Andere sind vielschichtig. Sie erschüttern die Welt. An ihnen wird gerätselt und gedeutet. Mythen beginnen sich rasch um sie zu ranken. Aber sie sind auch aufschlußreich: Denn sie lassen Rückschlüsse auf die Befindlichkeit jener zu, die trauern und rätseln, erzählen und erfinden.

Binnen weniger Stunden nach dem Unfall war die englische Ex-Prinzessin auf dem Weg zur historischen Figur. In aufgeregten Äußerungen auf allen Medienkanälen wurde sie, die offenbar fotografierenden Bösewichtern zum Opfer gefallen war, in eine übermenschliche Vielseitigkeit gerückt: warmherzig und kompetent, versiert in allen Dingen der Welt wie des Herzens, karitativ-engagiert und familiär-verantwortungsbewußt, eine Frau, die gelitten hat und dennoch an den Freuden des Lebens Anteil hatte. Das Bitual des Gedenkens hat das Bild verstärkt: Was oft genug gesagt wird, gewinnt an Glaubwürdigkeit. Wenn so viele Leute weinen, muß etwas dran sein. Dann wird auch eine besoffene Geschichte zu einem großen Schicksal.

Binnen weniger läge, im Nachklang des Trauerns, regten sich auch die Motivsucher und Massentheoretiker: Warum schlug die Trauer beinahe in eine Art von Massenhysterie um? Identifikationsmöglichkeiten liegen auf der Hand: Diana war eine geschiedene Frau, eine Leidende; dennoch eine Trauernde, der neues Glück erreichbar schien. Die verstoßene Prinzessin. Die moderne, engagierte Frau. Die verantwortungsbewußte Mutter. Die selbstbewußte, aber doch irgendwie scheue Person. Die Lady aus dem Jetset. Sie hatte enormes Mediengeschick, sie konnte auf vielen Klavieren spielen, viel besser als ihr unbeholfener Gemahl. Die „Marionette einer maroden Monarchie” hat zu leben begonnen. Sie konnte Authentizität vermitteln, sogar viele Authentizitäten, wohl auch mit Hilfe glänzender Berater.

Binnen weniger Wochen nach dem Ereignis haben wir noch zwei Fragen zu diskutieren. Die eine knüpft an die erwachenden Irritationen der Journalisten, die sich mittlerweile selbst fragen: Sind wir verrückt geworden? Was ist geschehen bei der schwarz-weißen Schilderung des Unglücks; bei der Hochjubelung der Lady; bei der Berichterstattung über das Begräbnis? Schließlich haben die Medien ja selbst die Hetzjagd auf die Medien inszeniert. Da wiegen den Kommentatoren die Köpfe: Haben wir nicht selbst die Trauerhysterie geschaffen, über die wir jetzt spötteln oder uns erregen? Und man könnte weiter fragen: War die Gegenreaktion - alle regen sich auf, also spielen wir zur Abwechslung distanzierte Abgeklärtheit - nicht auch zu erwarten? Ist aber dann die Bückkehr zur Normalität nicht auch genau dieselbe Inszenierung wie die Aufgeregtheit? Ist die Selbstreflexion, die sich besinnende Selbstanalyse, auch schon wieder Show? Es wird nicht lange dauern, dann können das auch alle nicht mehr hören.

Übersteigerte Tugend

Die zweite Frage soll uns daher näher beschäftigen. Was verrät uns der Umstand, daß diese Person so rasch zu einer Ikone, zu einer Heiligenfigur, erhoben worden ist, über Bedürfnisse, Wünsche und Einstellungen der Menschen in einer modernen Welt? Was hat man in Diana gesehen, oder besser: Was haben sich die „Medien-zuseher” aus ihr herausgeholt?

Es scheint folgendermaßen zu sein: Von Zeit zu Zeit muß sich die Sehnsucht nach dem Echten, Guten und Wahren in einer einigermaßen geeigneten Person verkörpern, von Zeit zu Zeit muß das Streben nach einer besseren Welt in öffentlichen Persönlichkeiten abbildbar werden. Von Zeit zu Zeit wird das moralische Verlangen in Figuren projiziert, die sich für die Identifikation eignen. John P, Kennedy war eine solche Gestalt, Gandhi, Martin Luther King. Man stilisiert sie zu charismatischen Personen, zu Personen, die begeisterte Gefolgschaft finden, denen man vertraut, für die man gar Opfer zu bringen bereit ist. Sie sind anbetungswürdig. Was das Charisma von Lea-dern ausmacht, ist noch niemals ganz ergründet worden, und es wird unter den Bedingungen der Moderne eher schwieriger. Die moderne, rationale Welt sollte dem Charisma feindlich gesinnt sein; aber in Wahrheit haben die elektronischen Medien die Möglichkeiten, es wirksam werden zu lassen, ins früher Ungeahnte gesteigert.

Die erwählten Personen werden in ihren Fähigkeiten und Tugenden übersteigert: Sie werden nicht nur zu bewunderswerten Gestalten, sondern zu Heiligen. „Madonna der Postmoderne” wurde Diana in einem Artikel genannt. Sie sind Gegenfiguren in einer Welt, die gemein und banal geworden ist. Beichert man den Glanz und Glitter auch noch durch Inszenierungen sozialen Engagements an, kann man sogar bei Intellektuellen Furore machen. Die Idole stehen für Anti-Egoismus und Anti-Normalität, für das Altruistische und das Außerall -tägliche; für alles, was man schon völlig verschüttet wähnte. Mutter Teresa, die auch in diesen Tagen verstorben ist, hatte aber doch deutlich weniger Glamour als Diana. Unerwartete, plötzliche, gewaltsame Tode sind zudem für das Gedächtnis in der Nachwelt günstig. Mayerling bleibt ein Mythos. Um Kennedy ranken sich die Verschwörungstheorien. Es wird sicher nicht lange dauern, bis neue „Wahrheiten” über den Pariser Unfall enthüllt werden.

Die Überperson muß für die Ta-bloids und ihre sensationsgierigen Leser nicht unfehlbar sein; auch Heilige dürfen sündigen, aber mit Anstand.

Sie muß nicht immer siegreich sein; gerade in manchem Leid ist sie der Mehrheit der Bewunderer, den vielen Zukurzgekommenen, nahe. Die Welt muß ihr nicht fremd sein; man kann auch innerhalb der Welt ihren Zwängen enthoben scheinen. Pariser Nobelhotels sind nicht gerade der Ort, wo man sich vor den Medien verstecken oder vor ihnen flüchten will. Aber auch die Flucht vor den Medien gehört zur Rolle jener, die in die Medien kommen wollen. Schließlich müssen auch Begräbnisse, bei denen über die Medialisierung der Welt geschimpft wird, telegen sein.

Subtile Balance

Für den Mythos von der besseren Welt, der sich in „übermenschlichen” Personen verkörpert, braucht es subtile Balancen: Die Balance von Distanz und Berührung, von Märchen und Wirklichkeit, von Glück und Leid, von Jetset und Jedermann, von Scheu und Zuwendung. Schließlich sind Botschaften jeder Art, auch die besten, nur über die Medien an die Bürger zu bringen. Einen solchen Mythos zu verkörpern, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Vielleicht ist es in der Tat ein Dienst, den Frau Spencer den verwirrten Mitgliedern der modernen Gesellschaft leisten konnte: das Geschenk eines Augenblicks, in dem man vermeint, das verlachte und verlangte, verschmähte und ersehnte Gute und Anständige fassen zu können - und sei es nur, indem man seine Blumen auf die Straße des Begräbniszuges wirft und gemeinsam ein paar Tränen aus dem Augenwinkel wischt, bevor einen der triste Alltag wieder einfängt. Vielleicht sind es in dieser Gesellschaft die letzten Momente, an denen man sich zum Guten, und sei es auch fiktiv, bekennen kann, ohne sich lächerlich zu machen - wie kitschig sich die Verkörperung des Märchens im Einzelfall auch darstellt. Nein, es ist kein banaler Todesfall.

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