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Die serupfte Feder

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Ich schreibe mit der Füllfeder. Sie ist, nach Pinsel, Griffel, Rohr, Gänsekiel und Stahlfeder, die letzte Etappe vor den Fallbeilen der Schriftguillotine, nämlich der Schreibmaschine. Das ist immer so: nach der Vollendung, nach der innigsten Verkörperung von Seele in Schrift, erfolgt der Absturz, ins Wesenlose. Denn die Füllfeder ist nicht bloß Tintenfaß und Schreibzeug in einem, sondern sie hat sich sanft in deine Hand eingewöhnt und bleibt dir für immer vertraut: eine Lebensgefährtin. So etwas muß Paganini für seine Geige empfunden haben. Ihre Iridiumspitze ist der Schicksalspunkt, wo ein Tintenstrom und ein Gedankenstrom in mystischen Zeichen zusammenfließen.

Was haben wir zwei schon alles erlebt! Wenn die erzählen könnte ... Aber sie tut ja nichts anderes — sie, die ewig Stumme, ist ja das, was mir zur Sprache verhilft. Durch wieviel Bände ist sie mir vor- und nachgelaufen über die Polarwüste des Papiers, ein Spürhund der Worte: immer mit der Goldnase auf dem Boden und wedelnd mit der ebonitschwarzen Rute. Wie oft blieb sie dann stehen — regungslos — gedankenwitternd —; wie oft machte sie gänzlich „down“ und „hübsch tot“, aber auch „pille!“, wenn es blitzschnell drauf ankam. Wie zaghaft waren ihre Buchstaben, wenn wir noch nicht wußten, ob es gelingen werde; wie zerknittert, fahrig und abgewelkt entrann ihr die Schrift, wenn's immer sicherer wurde, daß es wieder einmal nichts war!... Aber wie schwoll ihr die Tinte, wie kühn und immer kecker mit Schwänzchen und Troddelchen stolzierten ihr die Buchstaben, wenn es was zu werden schien; und endlich, wenn an der Einkreisung des Themas kein Zweifel mehr sein konnte: wie haar- und grundscharf entsprangen ihr die Worte, jedes ein Mot sculpte, behelmt und gespeert als Athene aus der Kronionstirn! Dann gab sie wie ein edler Araberhengst ihr letztes her und bloß am immer hektischer und geisterhaft Werden der Buchstaben merkte ich zuweilen, daß sie vor Durst verging. Dann hob ich das Kindchen in die Höhe und flößte ihm aus dem Saugglas seine schwarze Milch ein — und schon zuckte sie nach dem Füllen wie ein Füllen und wollte gleich weiterlaufen. Am Abend versenke ich sie schraubend in die Tiefe ihres dunklen Elements, wo sie undinenhaft von ungeborenen Gedanken träumt. Und jeden Morgen steigt ihr goldenes Haupt langsam aus dem Tintenbrunnen empor.

Wie alle guten Dinge, habe ich sie nicht gekauft, sondern bekommen, aber von wem? Das weiß ich nicht. Unter uns: ich habe sie vielleicht sogar geklaut — aber wem? Das weiß ich wiederum nicht! Das kam so: Vor zehn Jahren war mir mein treuer Füllhalter hoppgegangen, und ich lief als Witwer herum, halb in Wehmut und halb unternehmungslustig. Damals nun war ein Papageienschwarm amerikanischer Füllhalter in alle Schaufenster geflogen — ziegelrote, malachitgrüne, perlgraue, und daß sie teuer waren, erhöhte noch ihren Reiz ins Unnahbare. Da traf ich einen Bekannten mit einer dicken Aktentasche, der war elektrischer Oberingenieur und ging in die russische Handelsvertretung, um dort seine Firma zu vertreten und zu verhandeln. Ich erzählte ihm von meiner Füllfederbrautschau und erwähnte die Amerikaner. Da sagte er: „In der Kantine der Handelsvertretung werden gerade diese verkauft — ganz billig, ohne Zoll, verstehst du, denn sie ist exterritorial, eine Art Freihafengebiet. Ich hab einen Passierschein, ich bringe dich schon hinein.“ Ein richtiger, gemütlicher Verführer.

In der Kantine aßen alle zu Mittag, und auf der Theke lagen Parfüms, Glasketten und Füllhalter in großen Haufen. Ich war befangen — man ist nicht umsonst nach zwanzig Jahren wieder in Rußland, und dazu noch eingeschmuggelt —, holte mir einen dicken ziegelroten Amerikaner aus dem Wirrsal, bezahlte und verließ schnell das gefährliche Gebiet, um meinen neuen Schreibgefährten zu Hause in Ruhe auszuprobieren. — Himmel, welche Enttäuschung, ich hatte mich bekauft! Gerade so etwas muß ein Ehemann fühlen, wenn er nach sechs Wochen merkt, daß es doch nicht die Richtige war... Die Feder stumpf und hart, für eine Krokodilspratzen — man konnte damit höchstens Goddam!, Kinostar - Dauerwellenbuchstaben oder Denunziationen schreiben. (NB. Hier irrt Goethe; Denunziationen werden doch wohl meist getippt.) Und das mir, gewöhnt, daß ihm die Feder jeder Laune liebend nachgab ... Trostlos stürzte ich auf die Straße, um diesen

Behemoth, dieses unförmige Tintenflußpferd loszuwerden. Umtauschen? Aber in der Vertretung hatten sie ja nur solche, auch konnte ich allein nicht hinein und wollte auch nicht.' Also ging ich, kühn durch Verzweiflung, in ein Riesenwarenhaus, das alles führte, und sprach: „Ich möchte diesen Füllhalter umtauschen.“ Bereitwillig wurde mir ein Tablett mit den verschiedensten Marken vorgelegt. (Ob ich aber meinen hier gekauft hatte, fragte man nicht, und ich hatte ja keine Veranlassung, damit loszusingen.) Auch wurde mir ein Notizblock zum „Probieren“ herangeschoben.

Nun ist die Feder probieren eine der schamlosesten Handlungen, denn was schreibt man? (Sonst dient die Feder dem Wort; soll jetzt das Wort der Feder dienen?) Schreibt man bloße Kriksel-kraksel, oder seinen Namen mit Adresse, oder „eine Probe der Feder“, oder „Fritz ist dof“? Ratlos stand ich da unter dem prüfenden Blick der Verkäuferin und drehte die Feder hin und her. Mir ging es wie in der tiefsinnigen Geschichte von Karl Valentin, wie der sich mit seinem Spielkameraden Schorschi über ein paar Dächer mit einem frisch gekauften Zimmertelephon verbunden hatte. Valentin rief (ohne Telephon) zuerst einmal hinüber: „Schorschi, red du zuerst nei, dann horch i, ob dei Telephon funktioniert.“ — Keine Antwort. Wieder schrie Valentin hinüber: .Was ist denn, Schorschi, so red halt amol was ins Telephon eini —I“ Und da schreit der Schorschi endlich über die Dächer zurück: „I woaß ja net, was i neiredn sollt Heilige Unschuld, heiliger Schorschi — er schämt sich, zu reden, wo er nichts mitzuteilen hat! Dieser Knabe hatte offenbar keine Anlage zum Journalisten. So stand auch ich da: I woaß ja net, was i hinschreibn soll! Endlich gab ich mir einen Ruck und schrieb in einem fort: Berlin, Paris, London, Berlin, Paris, London ... was zwar idiotisch war, doch die Verkäuferin konnte immerhin annehmen, daß ich Weltreisender sei.

So probierte ich, immer mit derselben Reiseroute, viele Dutzende aus und warf ab und zu einen schmachtenden Blick auf die Verkäuferin, damit sie glauben sollte, es geschehe ihretwegen, um die Zeit zu verlängern. Als ich die letzte hinlegte, sagte ich beziehungsvoll: Die küßt noch nicht richtig das Papier.“ Da reichte sie mir lächelnd noch eine und lispelte: „Probieren Sie diese!“ Als ich sie, die Feder, anfaßte, fühlte ich: die ist richtig. Eine Liebe auf den ersten Strich — die oder keine! Das ist die Mutter meiner Kinderl Elastisch wie ein Schwanenkiel, man konnte mit ihr Spanische Schriftschule reiten, sie parierte auf den leisesten Fingerdruck, ohne doch weichlich zu werden — und wie von selbst schrieb ich mit tiefblauen Buchstaben: Ich liebe dich. Dann sagte ich schnell: „Ich möchte diese Feder nehmen.“ Die Verkäuferin aber war plötzlich verträumt und tat mechanisch den kleinen schwarzen Marschallstab der Wortarmeen in eine Pappschachtel, auf der mit weißen Buchstaben „In jeder Lage tragbar“ stand. Dann schaute sie errötend auf und gab mir einen Zettel: „Bitte, gehen Sie damit zur Kasse.“

Als ich den Zettel in den Drahtkäfig hineingereicht, machte die Kasse „Ping“ — und nun bekam ich, zu meiner Verblüffung, noch Geld ausbezahlt: ungefähr die Summe, die ich vordem für den ziegelroten Amerikaner angelegt hatte. Betäubt nahm ich das Geld, dazu meinen eingepackten Schatz, und verließ möglichst schnell das Lokal. Was war da nur geschehen? — Ich hatte ja jetzt gratis eine Füllfeder bekommen! Ich war ein Dieb. Offenbar machte der Amerikanerzoll gerade den Preis meiner entführten Tintenbraut aus. War das nicht Raub, Betrug, kurz eine völlig untragbare Lage? — so fragte ich mich, als ich sie zu Hause auswickelte. Aber da stand es ja, triumphierend, auf der Schachtel: „In jeder Lage tragbar.“

Und sie hat mich getragen — ohne Klecks, ohne Eintrocknen, über rauh und glatt, durch dick und dünn — zehn Jahre lang. Hoffentlich ist das Verbrechen inzwischen verjährt.

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