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Digital In Arbeit

Die sieben Gerechten leben

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Begleitet von vier Journalisten fliege ich von Landsberg am Lech mit einer Transall der Luftwaffe nach Sarajevo. Dort will ich mich davon überzeugen, daß die rund fünf Millionen D-Mark, die „UNESCO Kinder in Not" in Ex-Jugoslawien für den Wiederaufbau von Schulen, Kindergärten et cetera zur Verfügung stellte, gut eingesetzt wurden. Schließlich bin ich den Spendern (überwiegend Zuschauerinnen und Zuschauer von RTL) persönliche Rechenschaft schuldig.

In der Transall sitze ich unter lauter NATO-Militärs. In der Maschine ist mir unheimlich. Es gibt keine Fenster, aus denen man nach draußen schauen kann. So ähnlich war es sicher, als mein Vater im sinnlosen Weltkrieg Soldat war. Die Soldaten um mich herum haben den Auftrag, den brüchigen Waffenstillstand von Dayton zu stabilisieren. Frieden implementieren. Geht das?

Anflug auf Sarajevo. Die Resatzung ließ mich im Cockpit mitfliegen. Unter uns liegt die bosnische Hauptstadt. Erinnerungen an unsere Städte 1945 werden wach. „Und da leben Menschen", sagt der Oberleutnant neben mir. Und Tausende Kinder, denke ich ... In Sarajevo residiert der Rotschafter der Bundesrepublik Deutsch -land im zweiten Stock der überwiegend zerstörten UNIS-Bürotürme. Unter abenteuerlichen Bedingungen. Seine Arbeit hat mit dem Glanz des Diplomaten-Corps soviel Ähnlichkeit wie gewisse „Talk-Shows" mit geistreicher Diskussion.

In der Etage über der Botschaft hat die österreichische Organisation „Hope 87" ihr Büro. „Hope 87", einer unserer Partner in Bosnien-Herzegowina, bemüht sich, Kriegsversehrte, die Arme und Beine verloren haben, zu rehabilitieren. Unter ihnen über 100 Kinder und Jugendliche. Sie erhalten hier Prothesen, werden daran gewöhnt, mit ihnen zu leben, zu lernen und später einen Beruf auszuüben. Zum Beispiel Benjamin (16), der im Mai auf eine Mine trat, die ihm ein Bein abriß. „Er ist tapfer und voller Lebensmut", sagt Edina Zmiro (48), „Hope 87"-Ärztin. Benjamin wartet auf seine Prothese. Sie wird 10.000 D-Mark kosten.

Minen sind das allgegenwärtige Problem in diesem Land. Sie liegen überall zwischen den Trümmern. Minenpläne gibt es nicht. Die NATO räumt unter schwersten Bedingungen. Ein Ende ist nicht abzusehen. Wieviele Kinder werden noch verstümmelt und getötet? Kinder, die im ersten „friedlichen" Sommer nach fünf Jahren Krieg im Freien spielen wollen. Wer kann es ihnen einschär: fen, daß in den Büschen der Tod lauert? Die Kinder sind die Opfer. Sie wurden von Scharfschützen zusammengeschossen, wenn sie zur Wasserstelle liefen, um für die Mutter frisches Wasser zu besorgen.

Im Stadtteil Dobrinja zum Beispiel, einem Vorort von Sarajevo. Dort, wo in Neubauten (von denen die Menschen in den DDR-Plattenbauten nur träumen konnten) 45.000 Menschen lebten. Ihnen schnitten die Serben Wasser, Gas und Licht ab. Erobern konnten sie Dobrinja nicht. Aber sie zerschossen den Vorort so, daß heute nur noch 25.000 Menschen in den Trümmern hausen.

Alle Schulen, Kindergärten, Alten und Krankenstationen fielen in Schutt und Asche. Der Überlebenswille der Menschen ließ aus einem Supermarkt ein Krankenhaus werden. Hinter dem dürftig verhangenen Rest des Schaufensters wird operiert.

Wann wird das Ruch über das stille Heldentum der Ärzte, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen geschrieben, die im Granathagel und unter dem Feuer der Heckenschützen ihre Schutzbefohlenen nicht im Stich ließen?

Wie zum Beispiel in der Schule „Sheuder Kulenovic" in Dobrinja, die von 800 der 2.300 Kinder im Grundschulalter besucht wurde. Die Schule wurde total zerstört. Der Unterricht ging weiter. Zunächst in selbsterrichteten Bunkern. Jetzt in Privaträumen, die von „UNESCO - Kinder in Not" unterhalten werden. Und später einmal in der „Sheuder-Kulenovic"-Schule. Sie soll wieder aufgebaut werden.

In Mostar besichtigen wir die Schule, die „UNESCO - Kinder in Not" errichtet hat. Hier, im Stadtteil Salik, ist sie die einzige Schule. Es werden 750 Kinder in drei Schichten unterrichtet. .Die Schule ist hell, modern und freundlich. Es kommt ein Hauch von friedlicher Normalität auf.

Rückflug mit der Luftwaffe nach Köln-Wahn. Im Warteraum das Gespräch mit Bundeswehr-Kommandeuren. Wir reden über den „Kampf gegen den sexuellen und kommerziellen Mißbrauch von Kindern". Die beiden belgischen Offiziere geraten wegen der Ereignisse von Charleroi in Bage. „Das ist eine verdammt kaputte Welt, die wir zu verteidigen haben ", sagt der eine. - Ich denke an das, was uns tagtäglich elektronisch ins Haus gekippt wird - und sehe die Augen der gequälten Kinder, die immer noch auf uns hoffen.

Wie war das mit Sodom und Go-morra und den sieben Gerechten? Großzügige Menschen stifteten in drei Jahren rund 13 Millionen D-Mark für „UNESCO - Kinder in Not". Offenbar leben die sieben Gerechten.

Die Autorin ist

UNESCO-Botschafterin und als solche alleinverantwortlich für das weltweite „Kinder in Not"-Programm Spendenkonto: 4949 Deutsche Bank Bonn BLZ: )80 700 S9

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