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Die Slobbies kommen

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Falls Plopper, Singles, Sof-ties, Coachies und ähnliche Organismen Ihrem anglizistischen Sprachschatz den Touch unaufhaltsamen Fortschritts geben, sollten Sie dem neuesten Trend Aufmerksamkeit schenken. Denn es hilft ja nichts „in” zu sein, wenn man nicht „up to date” ist.

Also: die Slobbies kommen! Einerseits in Gestalt einer geistigen Bewegung als Slobby - und andererseits als deren Repräsentant Slobbist. Daß es sich um die Zusammenziehung von slow beziehungsweise slowly (langsam) und jener kaum zutreffend übersetzbaren Interessen-Druckgruppe Lobby handelt, erklärt alles.

Ein Slobbist ist ein Mensch, der von Hetze und Informationsflut die Nase voll hat und beschließt, ab heute ganz bewußt langsam zu denken und zu handeln. Was die Bestseller-Autorerl mit dieser Einstellung als brandneuen Hit verkaufen ist natürlich ein alter Hut. Es bedarf doch keiner hochentwickelten Psychologie und Biologie, daß die Zeit, die uns im Leben geschenkt ist, wie lang oder kurz sie immer sein mag, auf jeden Fall begrenzt ist. Wer es gar nicht glauben mag, denke an das Wienerlied „Erst wenn's aus wird sein ...” oder an die Hochkultur im „Jedermann”. Besonders wir Österreicher haben zum Slobbis-mus ein gewissermaßen natürliches Verhältnis.

Wer aber nun meint, unsere ban-kerlbevölkernden Frühpensionisten oder unsere vorreformatorischen Beamten seien typische Slobbisten, der verkennt die Tiefe des Problems. Ein richtiger Slobbist ist ein Manager mit allen Attributen der Eiligkeit, vom Chauffeur bis zum Handy. Man muß bei der Begegnung nicht nur gesellschaftliche und wirtschaftliche Wichtigkeit, sondern auch eine gleichsam vibrierende Eile spüren. Man muß im Gespräch den selbstverständlichen Zeitdruck dieses Mannes - pardon, beziehungsweise der Powerfrau - verinnerlichen und sich daher ganz kurz bis zur Stichwortlitanei fassen. Okay!

Und wenn dieser menschgewordene Zeitraffer die ihm zukommende Mitteilung dann nicht mit einer prompten Anordnung beantwortet, sondern versonnen und leicht träumerisch durch den Untergebenen hindurch beim Fenster hinausblickt, nach einigen Minuten seufzt und ganz ruhig sagt: „Das möchte ich mir noch überlegen!”, dann hat man es mit einem Vertreter der Slobby zu tun. Entweder der Slobbist ist aus Überzeugung und Lektüre zu der Ansicht gelangt, daß der Erfolg nicht mit dem Quadrat der Beschleunigung steigt, oder - und dies ist leider wahrscheinlicher - der Onkel Doktor, zu dessen Besuch er zwangsläufig Zeit finden mußte, hat ihn erst angeschaut und nach dem dritten Herzinfarkt den Tod angekündigt.

Unsere Altvorderen meinten immer schon, man solle „nichts überhudeln” . Das war freilich in der guten alten Zeit, als Aschenputtel die Linsen noch händisch sortierte, die Socken gestopft wurden und heute noch nicht die Zeitung von morgen erschien. Ein Nebenerwerbs-Landwirt von heute ist geradezu ein Bollwerk gegen den

Slobbismus. Deswegen lebt es sich auch auf dem Land nicht mehr so gesund wie im Heimatroman.

Da die Mehrheit unserer Zeitgenossen und Leser aber weder Manager noch Nebenerwerbs-Landwirte sind, stellt sich die Frage, was der Slobbismus nun eigentlich für jedermann bringen könnte. Denn wenn etwas schon zum modischen Trend und zum neuen Wort wird, so steckt dahinter sicher ein echtes Bedürfnis.

Ob wir uns zu Tode amüsieren (wie Neil Postman meint) oder zu Tode hetzen, läuft auf dasselbe hinaus. Wir werden einst in der ewigen Zeitlosig-keit über unsere Torheit nachdenken können. Das ist die eine, metaphysische Seite. Die andere ist ganz praktisch und diesseitig. Die ständig geforderten „schnellen Fintscheidungen” erhöhen nämlich nicht die Treffer-, sondern die Fehlerquote. Auch im ganz gewöhnlichen Alltag bringt die Hektik nichts. Wenn uns die Slobbisten außer einer Modeströmung eine gewisse Rückbesinnung auf den Mut zum Tempo-Widerstand bringen, so wollen wir gerne deren unterstützende Mitglieder werden.

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