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Die Sonne siegt doch

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Wieder ist Weihnacht. Aber für viele ist es nur Nacht, nicht geweihte Nacht. Es ist öde geworden und kalt auf Erden. Unsere geschenklosen Hände sind zu müde, um sich auch nur zu falten wie einst in kinderseligen Tagen, und die Straßen, auf denen wir voranhetzen, gehen ins Finstere. Gerade hierin scheint es wie ein Hohn zu liegen: wir wissen, daß mit der Sonnwende an Weihnachten das Licht des Tages zunimmt, wir wissen es jetzt schon mit einem müden Aufblick, daß eben wieder ein neues Jahr kommt, und der Umschwung der Sonne treibt uns ohne Erbarmung weiter. Sie „vollendet ihren Donnergang“, steht im „Faust“ geschrieben, und wir, die wir diese Bahn berechnen können, sind ihr doch hilflos ausgeliefert wie ein Mensch, den das sausende Schwungrad der seibst-gebauten Maschine tötet. Was wird die neue Sonne bescheinen? Leben oder Leichen, Krieg oder Kongresse? Wir wollen es fast nicht mehr wissen, so müde sind wir geworden.

Aber ist das nicht eben die Nacht, ohne die es nicht Tag, werden kann? Auf daß wir endlich doch erkennen, wie keine Nacht geweiht wird ohne den Glauben, chß der Schöpfer der Sonne sich in unsere Finsternis herabgesenkt hat, um von einer -Krippe aus seinen geheimnisvoll stillen Donnergang durch die Geschichte der Menschheit anzutreten. Wer ihn schreiten hört, atmet auf. Noch ist Christus da. Sein Licht nimmt zu, in unseren Tagen beginnt es zu wachsen, aber so still, so ohne jede Ankündigung: wie die Sonne nach der, Weihnacht ganz leise und unaufhaltsam zu wachsen beginnt. Das Unwahre und das Böse nur macht Lärm und setzt sich durch. Wahrheit und Güte wachsen, und sie wandeln die Welt um mit der stillen Sprengkraft, die nur dem Lebendigen eignet, vergleichbar der schweigsamen Majestät der Atomgewalten und des Sonnenlichts.

Die Geschichte der Entstehung unseres Weihnachtsfest.es am 25. Dezember soll uns dieses auch für unsere nächtigen Zeiten so trostvolle Gesetz der heimlichen Gewalt des Guten verdeutlichen. Vor genau siebzehn Jahrhunderten feierte das kaiserliche Rom das tausendjährige Fest seines Bestehens. (248) mit ungeheurem Prunk — eines cler wenigen Staatcngebilde in der Geschichte, das auf tausend Jähre zurückblicken, nicht nur sie blasphemisch vorausverkünden konnte. Von da an geht ein neuer Antrieb durch das schon morsche Imperium: die Kaiser suchen die Reichseinheit auch durch eine uniforme Reichsreligion zu verfestigen und die Kirche bekommt dies in blutiger Verfolgung zu verkosten. Kaiser Aurelian vollendet das Werk in seinem glanzvollen Triumph des Jahres 274, er läßt sich feiern als den „Wiederhersteller des Erdkreises“, und mit dem ganzen Aufgebot der Propaganda, die dem absoluten Staatsherrn zur Verfügung steht, wird jetzt auch ein religiöser Einheitskult eingeführt, der Kult des „Sol Invictus“, der „Unbesiegbaren Sonne“. Auf dem Campus Agrippae in Rom erhebt sich der riesige Tempel der Sonne, und auf kaiserlichen Befehl feiern von jetzt ab prunkende Priesterschwärme am 25. Dezember das Fest aller Feste: den „Natalis Invicti“, den Geburtstag der Unbesiegbaren Sonne. In Helios-Sol, der seihe leuchtende Bahn von Morgen zum Abend zieht, der mit unbesieglicher Gewalt jedes neue Jahr heraufführt, sieht man das Symbol der kaiserlichen Macht, die von Syrien bis Spanien geht, die sich anschickt, dem unbesieglichen Imperium ein neues Jahrtausend gefestigter Ordnung zu bereiten. Die Menschen atmen für einen Augenblick in Hoffnung auf und ein syrischer Astrolog in Antiochien schreibt neben das Datum des 25. Dezembers in seinen Zauberkalender die Worte: „Heute ist Geburtstag der Sonne. Das Licht nimmt zu.“

Es war eine Täuschung wie alle Träume von tausendjährigen Reichen. Das Imperium der Unbesiegten Sonne ist besiegt worden und zerfiel. Der Sonnentempel in Rom ist in Trümmer geborsten, die lautsprecherisehen Religionsgesetze des kaiserlichen Führers sind ins Leere verklungen. Aber eines ist geblieben aus jenen Tagen: der 25. Dezember ist in Wahrheit der Geburtstag der unbesieglichen Sonne geworden. Seit siebzehn Jahrhunderten feiert man dieses Fest und bis ans Ende der Tage wird es mitschwingen im heiligen Tanz der Gezeiten, so still und so unaufhaltsam wie die Sonne am Firmament. Wie ist das gekommen?

Hier stehen wir vor einem lebendig faßbaren Beispiel für das Grundgesetz: daß zwar das Unwahre und das Böse mächtig ist und laut, daß aber nur das Wahre still und stetig wächst und bestehen bleibt. Was taten damals die vom Staat blutig verfolgten Christen des Imperiums? Sie konnten dem religiösen Despotismus des Staates nur ein unbesiegbares Nein entgegenhalten. Aber sie sprachen das nicht nur in demütig leidender Todesbereitschaft, sondern auch mit einer genialen Geste des tatkräftigen Zupackens: Eben das, was ihr Heiden auf Staatsbefehl von nun an am 25. Dezember feiert, ist nur der . mißverstandene Abglanz des Geheimnisses, das uns Christen erleuchtet; wir sind es, die heute den Geburtstag der wahren, allein unbesiegbaren Sonne feiern! Und entschlossen legt von da an die Kirche in Rom die Feier des — rein geschichtlich sonst ja ganz unbekannten — Geburtstags des Erlösers auf den 25. Dezember. Während also in der Nacht, die den Natalis Invicti heraufführt, beim Sonnentempel die prunkvolle Feier des Staates beginnt, kommen die Christen Roms in Kirchen und Katakomben zusammen, um jene hehren Gebete zu beten, die heute noch durch unsere Weihnachtsliturgie nachklingen; „Aufgehen wird euch der Retter wie die Sonne, wenn er herabsteigt in deij Schoß der Jungfrau.“ „Wenn die Sonne aufgegangen ist aus ihren Himmelshöhen, werdet ihr schauen den König der Könige.“ So isr im Rom des kaiserlichen Sonnenkultes in den letzten Jahrzehnten des dritten Jahrhunderts das christliche Weihnachtsfest des 25. Dezember entstanden. Ein unbekannter Prediger jener Tage hat das seinen Christen mit diesen Worten verkündet: „Die Heiden nennen den heutigen Tag ,Geburtstag der Unbesiegbaren Sonne'. Wahrlich, wer ist so unbesiegt wie unser Herr, der den Tod niederwarf und besiegte? Und wenn sie diesen Tag den ,Geburtstag des Sol' nennen: Christus ist die Sonne der Gerechtigkeit, von der Malachias der Prophet gesprochen hat: Aufgehen wird euch Gottfürchtigen sein Name als Sonne der Gerechtigkeit und Heil ist unter seinen Flügeln.“

Seitdem unter Kaiser Konstantin der Kirche Friede und Förderung zuteil ward, breitet sich von Rom das Fest des 25. Dezember langsam über die ganze Kirche aus. Die größten unter den Kirchenvätern bemühen sich, es in ihren Gemeinden einzuführen, Gregor von Nazianz in Konstantinopel, Chrysostomus in Antiochien, Hieronymus bei seinen Mönchen in Bethlehem. Hier, am Ort der ersten Weihnacht, predigte er seiner Klostergemeinde: „Selbst die Kreatur gibt unserer Predigt recht, der Kosmos ist Zeuge für die Wahrheit unseres

Wortes. Bis zu diesem Tag wachsen die finsteren Tage, von heute an nimmt die Finsternis ab. Es wächst das Licht, es weichen die Nächte! Der Tag nimmt zu, der Irrtum nimmt ab, die Wahrheit geht auf: denn heute wird uns geboren die Sonne der Gerechtigkeit.“ Und wenn der römische Staatskalender zum 25. Dezember feierlich notiert: „Am achten Tage vor den Kaienden des Januar: Geburtstag der Unbesiegten Sonne“ — so fügen nun die Christen mit heiligem Stolz hinzu: „Am achten Tag vor den Kaienden des Januar wird Christus geboren zu Bethlehem in Juda“.

So hat also das Stille gesiegt und die Katakomben haben das Imperium überwunden. Im Werden und Wandern des Weihnachtsfestes erlauschen wir etwas von dem stillen Donnergang Christi durch die Gesdiidite. Nur ihm, dem „Kind, auf dessen Schultern das Imperium ruht“, ist ewige Herrschaft verheißen — ihm. und denen, die „mit ihm herrschen im Königreich des Lebens“. Gewiß, das ist eine Vertröstung auf das Jenseits hin, und es wird auf Erden immer Nacht bleiben bis zu jenem Augenblick, „da der Tag anbricht und die Morgensonne aufgeht in unseren Herzen“. Aber ebenso gewiß wirkt sich diese christliche Jenseitshoffnung auch auf die soziale und politische Gestaltung des diesseitigen Lebens aus. Nur jener Mensch hat in den dunklen und quälenden Fragen des Irdischen einen unverrückbaren Standpunkt gewonnen, der nach dem Wort des Paulus „in der Hoffnung einen sicheren, festen Anker für seine Seele besitzt, der hineinreicht bis in das Innerste, hinter dem Vorhang, dorthin, wo Jesus als Vorläufer schon hineingegangen ist“. Nur daraus erzeugt sich. die Kraft, ohne die alles Irdisdie, selbst wenn es für einen Augenblick verwirrend schön aufblüht, vorzeitig zerfallen muß. Mit einer gläubigen Paradoxie ausgedrückt, heißt das: die Festigkeit eines Staates und einer sozialen Ordnung beruht auf jenen Menschen, die es durch den Glauben verlernt haben, an die Allmacht des Staates und an die Möglichkeit einer rein irdischen Sozialordnung zu glauben. „Der Kaiser ist groß, weil er kleiner ist als der Himmel“, sagte schon Tertullian dem omnipotenten ^taat ins Gesicht. Es waren die verfolgten Christen, die das Imperium gerettet haben, weil sie an das demütige Krippenkind glaubten, auf dessen Schultern das Imperium ruht. Und die Anfänge des christlichen Abendlandes sind wie umleuchtet vom Mysterium der Weihnachtssonne: der Franke Chlodowech beugt in der Taufe sein Haupt am Weihnachtstag 496, der Sachse Widukind betet das Kind von Bethlehem an in der heiligen Nacht des Jahres 785, und die Kaiserkrone des Abendlandes beginnt zu funkeln auf dem Haupt Karls des Großen in der Morgenfrühe des 25. Dezember 800. Wohl sind auch die tausend Jahre dieser römisch-christ^chen Staatsideale für immer versunken und neue Propheten der unausrottbaren Menschensehnsucht nach Einheit und Frieden standen seitdem auf: sie verkünden das neue Imperium einer weltumspannenden sozialen Gleichheit und hinter ihnen stehen heute Heere von waffehbereiten Kämpfern. Angstvoll harren die Völker. Aber wir weihnachtliche Christen können es jetzt schon voraussagen, denn wir wissen es. aus der gläubigen Erfahrung der Vergangenheit: es wird auch kein Heil für die. Mensdiheit kommen aus dem nur weltgebundencn Vertrauen auf das soziale Imperium — Friede wird den Menschen seit der ersten Weihnacht nur sein, wenn sie „guten Willens“ sind, das Irdische ins Jenseitige zu verankern und dazu die Kraft holen aus dem Glauben, daß über alle Nacht einzig nur Christus siegt, der da ist „der Sonnenaufgang aus der Höhe“.

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