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Die Spinne im Netz

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Ein unerwarteter Eindruck des heutigen jugoslawischen Wirtschaftslebens ist die Vitalität, mit der sich die Privatwirtschaft inmitten der Staatswirtschaft erhalten kann, eine Lebenskraft, die durch die scharfe Auslese gesteigert ist, welche sie hinter sich hat. Ihre Existenz verdankt sie ihrer größeren Beweglichkeit und billigeren Arbeitsweise. Wer entsprechend gewandt ist, für den sind die Maschen des Regimes auch heute noch weit genug — oder weiter denn je.

Da ist der Kartonagenerzeuger aus Agram, oder der Plastikwarenfabrikant aus Esseg, die in einem schäbigen Kellerlokal, mit den zugelassenen vier Arbeitskräften gut beschäftigt sind und davon nicht schlecht leben. Der dalmatinische Fußbodenleger, der mit Arbeitskolonnen in der ganzen Föde- i3fjonr,*rbft| į#, un4s,sich ein .Häuschen auf der heimatlichen Adriainsel halten kann. Der Zahnarzt, dem wohl das Zinshaus in Fiume vor kurzem verstaatlicht wurde, der sich aber doch mit seiner Privatpraxis, trotz der Gerüchte, die immer wieder von einer Einstellung solcher Tätigkeiten wissen wollen, ein Landhaus in einem Badeort und einen Fiat 600 — so ziemlich das höchste der Gefühle für einen Privatmann — finanziert. Der slawo- nische Weinbauer, der irgendwie das Kunststück fertigbringt, mit einer getarnten Gruppe von Arbeitskräften sein Dutzend Hektar Weingärten zu bewirtschaften, auf denen ein Sylvaner gezogen wird, der alle guten Geister in sich hat; er führt vom Ertrag seiner modernen Kelterungsanlagen und einer kleinen Gastwirtschaft im Jagdparadies an der Donau — wo ein schnauzbärtiger Pistabäcsi, der nur ungarisch spricht, im Kessel über dem offenen Feuer einen delikaten Fischpaprikas aus Huchen und Stör zubereitet — ein patriarchalisches Leben als Obmann der Winzergenossenschaft und des Jagdvereines. Oder der Laibacher Konfektionserzeuger, der in einem 20-Quadratmeter-Lokal plus Oberstübchen eine florierende Industrie einrichtete: Irgendwie hat er sich mit modernen Zuschneide- und Nähmaschinen ausgestattet, kauft von den staatlichen Textilfabriken billig die reichliche Ausschußware und stellt daraus Konfektionskleidung her, die einen guten Absatz findet; als es noch für schick galt, als Descamisado herumzulaufen, hatte er als erster die gute kommerzielle Idee, eine Krawattenerzeugung aufzuziehen, und erzielte Erfolg damit; die staatliche Textilindustrie möchte ihn gerne als Direktor gewinnen, er aber wählt die Freiheit, die ihm nur das Kopfzerbrechen beschwert, was er mit seinem Geld anfangen soll. Ein Mann seiner Position besitzt sowieso ein schönes Haus im Villenviertel, Auto und Motorboot. Den Wohlstand, der bei entsprechendem Savoir faire unter dem Regime zu erreichen ist, hat er schon. Im Westen würde er über das vitale Format eines Industriegründers verfügen. Wenn er aber in seinem guten Anzug, mit gold behängter Gattin, nach Wien auf Verwandtenbesuch fährt, sieht er wie ein Provinzparvenü aus, und wird auch als solcher behandelt. Hier ist er ein Herr, bekommt im besten Restaurant einen Vorzugsplatz und wird mit vielen Buk- keln vom Zigeunerprimas begrüßt, den er mit großen Banknoten, ganz nach Ancien regime, belohnt.

Die Faust im Nacken

In keinem Augenblick verläßt ihn aber der Gedanke an ‘die Wirtschaftspolizei: und hier beginnt sich das lichte Bild zu trüben. Bei aller persönliehen Narrenfreiheit wird man doch da« unbehagliche Gefühl nicht los, daß in dem großen Netz irgendwo eine Spinne sitzt, die auf den ersten falschen Schritt wartet.

Gerüchte gibt es genug. Man erzählt sich, wie Leute in prominenter Stellung von einem Tag auf den anderen von der UDBA abgeholt werden. Man ist nicht ganz sicher, ob es nur der

Milchmann ist, der frühmorgens an die Tür klopft. Hier und da fliegen bei verstaatlichten Firmen Korruptionsskandale auf — man lebt doch auf dem Balkan! —, worauf auch die ganze Führungsgarnitur abserviert werden kann. Ein Mann in scheinbar unangreifbarer Position wird vor vollzähliger Betriebsversammlung mit politischen Beschuldigungen angegriffen („er behandelt ausländische Geschäftsleute besser als Jugoslawen”) und stante pede aus seinem Amt chassiert. Manche kommen nach Wochen oder Monaten wieder, andere bleiben in dem Netz hängen. Wohl geht es dabei scheinbar unblutig zu, aber immerhin …

Nicht alle halten die ständige nervliche Anspannung eines Katz-und- Maus-Spieles mit der Wirtschaftspolizei auf die Dauer aus, manche ziehen es vor, ihr Geschäft in eine kommunale Genossenschaft zu verwandeln und als staatlicher Direktor ein wohl bescheideneres, dafür aber bürokratisch beschauliches Dasein zu führen.

Mit den staatlichen Gehältern kann man sicher keine großen Sprünge machen. Auch ist die Spanne von unten nach oben nicht sehr groß. Ein Arbeiter wird etwa 15.000 Dinar monatlich — etwa 600 S — verdienen, ein Angestellter 30.000 bis 40.000, ein Direktor vielleicht 40.000 oder 50.000, wenn es nobel zugeht. Die Bezüge aller, einschließlich der leitenden Leute, werden in offener Sitzung vom Arbeiterrat des Unternehmens beschlossen, der auch ein Urteil über Repräsentationsspesen und Reisekosten fällt. Wenn das Unternehmen lukrativ arbeitet, werden vielfach mehr als zwölf Monatsbezüge ausgeschüttet. Die noch bis vor wenigen Jahren bestandenen goldenen Zeiten sind allerdings vorbei, als 18 und mehr Monatsgehälter ausbezahlt werden konnten; irgendwie ist ein Zug zu einer härteren Linie fühlbar. Es kommt natürlieh auch vor, daß in der Sitzung des

Arbeiterrates — als einen Ausschuß der Generalversammlung würde man ihn kapitalistisch definieren — ein Aktivist auf steht und vorschlägt, den Jahresüberschuß einem patriotischen Zweck zu widmen, etwa dem Bau eines Partisanendenkmals. Der Antragstellei macht sich eher unpopulär, der revolutionäre Schwung ist nicht mitreißend, aber man muß wohl mit süßsaurei Miene mitspielen.

Die ganze Wirtschaftsorganisation 1st mit vielen kapitalistischen Splittern durchsetzt. Die staatlichen Unternehmen arbeiten, wohl im Rahmen der auf politischer Ebene erstellten Pläne, stark dezentralisiert, in einer Art von Konkurrenz — die teils in sehr scharfen Formen, teils aber auch mit einem Augurenlächeln („es geht ia sowieso alles in die gleiche Tasche”) geführt wird —, und mit einiger Eigenverantwortlichkeit, bei der, natürlich nur bildlich gesprochen, auch die Köpfe rollen, wenn es nicht klappt.

Es gibt die kapitalistische Institution der Handelskammern — komora —, die im Wirtschaftsleben auch einiges mitzureden haben; es gibt freie Handelsvertreter, die etwa die Fabriken einer Republik beim Staatshandel einer anderen Republik vertreten; der Außenhandel ist allerdings strikte länderweise zentralisiert und auf bestimmte Import-Export-Firmen beschränkt; es gibt in diesem marktwirtschaftlichen Schattenreich sogar die Institution des Konkurses, eine große Kalamität vor allem deshalb, weil er für den betroffenen Funktionär den Verlust einer nahrhaften Position bedeutet.

Nichts ist so beständig wie der Wechsel

Häufige personelle Umstellungen in der Führung der Unternehmen schaffen eine Unsicherheit, die der Arbeit nicht eben förderlich ist; das gleiche gilt für das sprunghafte Herumexperimentieren und das lustvolle Reglementieren, dem sich viele Zentralbehörden hingeben. So wird etwa die Handelsberechtigung für einen Artikel von heute auf morgen einem Firmenkreis entzogen und einem neuen übertragen, der dafür weder Verbindungen noch Erfahrungen hat. Devisen gibt es heute so herum, morgen wieder so herum, und der Wust der Bestimmungen ist oft nur für besonders Eingeweihte durchschaubar. Persönliche Beziehungen sind alles, nur mit „gewußt wo” sind Verbindungen zu entwickeln.

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