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Die SPO ist zum Kanzler-Wahlverein geworden

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Wo steht die SPÖ (siehe auch Seite 3) nach 50 Jahren Zweiter Republik?

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Wo steht die SPÖ (siehe auch Seite 3) nach 50 Jahren Zweiter Republik?

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Fünfzig Jahre nach ihrer Wiedergründung in den letzten Kriegstagen, nach 46 Jahren Begierungstätigkeit, davon 25 Jahre führend und 13 Jahre alleine, hat die „gute, alte Tante Sozialdemokratie” (Günther Nenning) Fett um die 1 lüften angesetzt und ist müde geworden. Sie hat Macht erreicht und in den letzten 50 Jahren viel bewirkt; jede/jeder heute 40jährige in unserem hmd kennt nur die SPÖ als Nummer eins, ist mit ihr politisch groß geworden und reibt sich an ihr.

Die SPÖ seit 1945, das ist eine Entwicklung, die sich in Programmen, Personen und Kernsätzen widerspiegelt. Adolf Schärf, Bruno Pitter-

mann, Bruno Kreisky, Fred Sinowatz und Franz Vranitzky, das sind fünf Parteivorsitzende verglichen mit 13 der ÖVP. Allein darin zeigt sich ein Ausmaß von Geschlossenheit, Disziplin und Kontinuität, das der SPÖ Vorteile gebracht hat, heute aber immer mehr zum Mythos wird.

Die innere Entwicklung einer Partei findet ihren äußeren Ausdruck im Führungspersonal. Adolf Schärf, das war die Phase der Bekon-struktion Österreichs und der Sozialdemokratie: . Korrektheit, Bescheidenheit und Ärmelaufkrempeln. Am 1. Mai wurde diszipliniert marschiert, die Genossinnen und Genossen haben ihren Sonntagsstaat angezogen und die Krawatte umgebunden.

Die SPÖ hat in den 50 Jahren seit Kriegsende immer wieder auf die Entwicklung der Gesellschaft in unserem Land reagiert und sie umgekehrt beeinflußt und entscheidend geprägt, am stärk-

sten in den siebziger Jahren unter Bruno Kreisky.

In den 80er Jahren, der Zeit der neo-liberalen Philosophie einer Margret Thatcher und eines Bonald Bea-gan, drehte sich der Wind, der politische Diskurs rechts der Mitte wurde stärker und die SPÖ geriet in die Defensive. Sie konnte nur das Terrain verteidigen, das sie in den 70er Jahren erobert hatte.

Wieder zornig werden

Franz Vranitzky verhinderte 1986 eine ÖVP/FPÖ-Begie-rung unter Mock, und in der Folge hat die SPÖ richtige und pragmatische Schritte in die Mitte gemacht, aber einige Schritte zu viel. Das „Design (hat) immer mehr das Bewußtsein” bestimmt, die SPÖ ist tendenziell zum Kanzler-Wahlverein geworden, geistiges Hinterland ist verloren gegangen.

Die SPÖ war die Hälfte der 50 Jahre Nachkriegszeit

führende politische Kraft in unserem Land.. Kernsätze beschreiben die Entwicklung besser als jede Analyse: Alle gesellschaftlichen Bereiche mit Demokratie durchfluten (Bruno Kreisky, Anfang 70); mir bereiten einige 100 Millionen Schilling Schulden weniger Kopfzerbrechen als einige Zehntausend Arbeitslose (Bruno Kreisky, Mitte der 70er); heute ist ja alles so kompliziert (Fred Sinowatz, Begierungserklärung 1983); wer Visionen hat, braucht einen Arzt (Franz Vranitzky, Mitte der 80er) und „Wir haben bestimmt Fehler begangen, wir haben uns in einer Art , Elfenbeinturm eingesperrt und uns mit den Siegen der Vergangenheit zufrieden gegeben, während sich jedoch die Gesellschaft ständig weiterentwickelt” (Franz Vranitzky, Frühjahr 1995).

Eine richtige und wichtige Erkenntnis. Die SPÖ muß wieder mit der Zeit gehen und Zeitgeist durch Haltun-

gen und Grundsätze ersetzen. Die Geschichte ist nicht zu Ende, für eine Partei im historischen Sinn wie die SPÖ gibt es noch genug zu tun.

„Es geht nicht so sehr darum, weise zu werden, sondern zornig zu bleiben”, hat der Schriftsteller Max Frisch mit Blick auf politische Parteien einmal gemeint. Die SPÖ ist in den letzten 50 Jahren weise geworden, sie verwaltet den Status quo gut. Sie muß aber auch wieder zornig werden über die bestehenden Verhältnisse, den Menschen geistige Nahrung bieten, Visionen haben und „einiges bewirken wollen” (Axel Corti).

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