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Die Staatsbühne eröffnet…

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Das Burgtheater eröffnet seinen Spielplan 1948 49 mit Carl Zu ckmayers „Des Teufels Genera 1". Zum erstenmal seit 1945 legt die Bühne unseres Staates in einem zeitpolitischen Stück Zeugnis ab für das, was mitten unter uns, und ob viele es auch nicht wahrhaben wollen, in uns, an uns, aus uns, geworden ist: Schrek- ken und Elend des Dritten Reiches …

Der Inhalt des Stückes, unseren Lesern aus einer längeren Besprechung („Furche“ Nrt.,.i.8 .19 7) bekannt, bedarf nur kurzer Erinnerung. Der Fliegergeneral Harras (hinter dem die Gestalt Udets steht) hat sich, aus Ehrgeiz, Leichtsinn, Leidenschaft dem „Teufel“, dem neronischen Diktator, zu treuen Diensten verkauft. Er baut also Deutschlands Luftwaffe auf, sein eigenes Leben aber baut er Stück für Stück ab. Er verspielt es; mit Frauen, mit Freunden, mit Kameraden. Gewiß, er hat seine „Gewissensjuden“, Gegner des Dritten Reichs, denen er hilft, zur Flucht verhilft; er hat ein großes Repertoire von Schimpf-, Schelt- und Scherzworten, mit denen der vollsaftige Mann, im Grunde ein sehr gescheites, ehrliches und hilfloses Kind (oft auch ein Kindskopf), die Unnatur und Unmenschlichkeit seines furchtbaren Gegners zuschanden schilt — nicht aber, durch Taten zuschanden macht. Zwangsläufige Logik des Geschehens: dieses Genie der technischen Improvisation, dieses Genie eines urwüchsigen Herzens erliegt der politischen Technik des Totalstaats, seiner Geheimpolizei, der kalten Rechenhaftigkeit seiner Maschinisten, würdig vertreten durch den Gestapoagenten Dr. Schmidt-Lausitz (er ist der einzige „Doktor" in diesem Stück reich an Ämtern und Würden — die „Intellektuellen“ im Dienst der satanischen Omnipotenz Neros!).

Was also steht nun auf der Bühne? Ein packendes, oft beklemmendes Zeitbild, sehr gekonnt, sehr echt erfaßt in all seinen erscheinungsmäßigen Äußerungen. Blitzlichtaufnahmen in die Herzen der Mitspieler der großen Mächte von gestern: Diplomaten, Großindustrielle. Soldaten und Arbeiter, Kellner und Künstler, Frauen und Männer. Großaufnahme, Photomontage erster Ordnung.

Was steht dahinter?: die saubere Gesinnung des rheinischen Dichters Zuckmayer. Sonst leider sehr wenig. Vielleicht aber, und wir neigen sehr zu dieser Annahme, ist dieses „sehr wenig“ doch sehr viel. Erschütternd nämlich, in einer Zeit, die immer noch dem Götzenkult der großen Worte, der Phrasen und Hochtönungen verfallen ist, hier dieses nackte, offene Eingeständnis sowohl Harras’ wie auch Oderbruchs, des Sprechers der Widerstandskämpfer: sie haben wenig zu geben, was diese Zeit des Unmenschen, des Hasses, des Mordes, der Vernichtung wirklich überwindet.

Auf dem Höhepunkt des Dramas fragt der junge Leutnant Hartmann, der lichte, reine Tor, dessen Glauben an das Dritte Reich soeben zerbrochen ist, Harras: „Glauben Sie an Gott?“ Der General antwortet: „Ich weiß es nicht. Er ist mir nicht begegnet. Aber das lag an mir. Ich wollte ihm nicht begegnen" (die folgende Stelle,. in der Zuckmayer Gott als. „größte Findung aller Zeiten“, als „eine Erfindung der menschlichen Seele“ erklärt, wurde in der stark gekürzten Spielfassung der Burg ausgelassen. Mit Recht — diese unerhörte Relativisierung allein bricht dem Stück das innere Rückgrat). Also fährt Harras fort: „Ich kenne ihn nicht. Aber ich kenne den Teufel. Den hab’ ich gesehen — Aug in Auge. Drum weiß ich, daß es Gott geben muß. Mir hat er sein Angesicht verhüllt. Dir wird er begegnen.“ — „Dir“ — dem reinen Menschen einer reineren Zukunft. Diesen — .Hartmann — aber führt Harras kurz vor seinem Selbstmord dem Ing. Oderbruch zu, dem Führer der Widerstandskämpfer. — Wie heißt Oderbruchs Weisheit? „Das ewige Recht“; er interpretiert es selbst: „Recht ist das unerbittlich waltende Gesetz — dem Geist, Natur und Leben unterworfen sind“ (weiß Zuckmayer nicht, daß die Mystiker des Dritten Reiches nahezu mit denselben Worten ihr „Weltgesetz“ Hegel-Nietzsche- Hitlerscher Provenienz proklamierten?). „Wenn es erfüllt wird — heißt es Freiheit." Ein schönes Wort… Wie aber heißt die konkrete Losung? — Harras: „Was ist die Losung… was ist das nächste Ziel?" — Oderbruch: „Zerstörung. Eine bittere Losung. Die einzige, die uns bleibt. Wir können nicht haltmachen vor denen, die wir lieben…" — Hier aber sprengt die Frage des Bühnendramas den Rahmen des Theaters und bricht aus in die Weltgeschichte, in die Gegenwart — und tobt hier, im zerstörenden Kreislauf des Aug’ um Äug’, Zahn und Zahn, Schuld um Schuld, Mord um Mord (KZ um KZ) weiter… — Im Kreis des Grafen Helmuth von Moltke, dessen Gedächtnis, vereint mit dem anderer, der Dichter sein Werk gewidmet hat, im Kreis Stauffenbergs und der führenden Köpfe der deutschen Widerstandsbewegung wurde dies immer wieder als letzte Problematik des Kampfes erkannt: Ist es möglich, Unrecht durch Unrecht zu „vergelten" oder wird dadurch nicht eine Kettenreaktion von Taten des Bösen ausgelöst?

Hier schweigt die Kritik. Wir danken der Ehrlichkeit des Dichters, die so viele Fragen offen läßt, Fragen, die weder der Dichter, noch auch die Kämpfer vor und leider auch nicht nach 1945 bisher wirklich lösen konnten. Wir danken der Burg für eine große Aufführung. — Bedenklich schwach nur das Bühnenbild des zweiten Aktes, die schwierigen Frauenrollen sind mit Ausnahme der einzigartigen Leistung der Frau Käthe Dorsch fehlbesetzt. Zu weich, zu süddeutsch, zu larmoyant.

Eine Fehlansetzung ist die Saisonpremiere des Akademietheaters „D e r Unmensch" von Hermann Bahr. — Berufene Stellen klagen oft, daß das Ausland aus seinen Filmen, Theaterstücken und Romanen nur ein verkitschtes, verharmlostes, falsch verniedlichtes Bild von Österreich kennt. Was setzt nun unsere berufene Staatsbühne zur Messezeit den Fremden und Einheimischen, den Staatsbürgern im Spätherbst 1948, als „Österreich" vor? — Inhalt des Stücks: Sommer 1919. Graf Rosianz, österreichischer General, kehrt aus dem Kriege heim. Sehr lustig und fidel, denn; „Einer muß ja den Krieg verlieren“ — und sehr häufig sind eben wir, die Österreicher, die Verlierer. Kein Grund zur Trauer, noch immer gibt es schöne Frauen, blau ist der Himmel usw…. — E ie „Handlung" des Stückes erschöpft sich nun darin, daß die adelige Verwandtschaft des Herrn Grafen, Komtesse, Baronesse und Hofrat eifrig bemüht sind, dem Herr Grafen die Gunst eines hysterischen Gänschens, das soeben mit seinem Gatten eine Mietwohnung im Schloß bezogen hat, zu erwerben. Dieser Gatte, ein komischer Kauz, Naturbursch, Paliforscher und Buddhist, ist in seiner milden Menschlichkeit — i n dieser närrischen Umgebung — doch nur ein schwacher Schatten jener großen tragischen Gestalten, die ein Dostojewskij etwa im „Idiot“ gezeichnet hat. — Bleibt also nur die Atmosphäre, diese gepflegte Geschwätzigkeit eines degenerierten Adels… Eine Fülle geschmackloser Bemerkungen über die junge Republik — und die alte Monarchie. Eine greise Fürstin erklärt, daß die Monarchie zugrunde gehen mußte, weil sie „zu fad war“ — sie schwärmt für den Berliner „Spartakus“ und „Genossen“. . Sommer 1919! — Herbst 1948 in Berlin und Wien.

Genug. Die Aufführung dieses Stückes ist eine kulturpolitische Entgleisung, ein unverantwortliches Opfer an die Amüsierlust eines gedankenlosen eitlen und oberflächlichen Publikums, das jederzeit bereit ist, einer Witzelei den letzten Rest des Charakters und der Selbstbesinnung zu opfern. Ist — nicht zuletzt — eine Beleidigung des Andenkens Fiermann Bahrs, des großen Künders Österreich. Der, wenn er heute leben würde, gewiß nicht die Erlaubnis zur Neuaufführung dieser Drolerie gegeben hätte.

Gespielt wird glänzend. Das Publikum ist aufs höchste ergötzt.

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