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Die Stadt des Kaisers Diokletian

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Die Nachricht von einer in Split eben beendeten Teilrestaurierung des Diocletian-palastes, in dessen Geviert während des Krieges acht Bomben niederfielen, lenkt die Aufmerksamkeit auf dies grandiose Bauwerk, das die Keimzelle einer großen Stadt geworden und, ein einzigartiger Fall, ihr Herzstück bis heute geblieben ist. Eben deshalb wird der oft geäußerte Wunsch, den Palast in seiner ursprünglichen Form wiederhergestellt zu ^ehen, kaum je Erfüllung finden. Es wäre auch sehr bedauerlich, müßte alles Leben aus den Mauern des Palastes weichen. Ist doch dies Leben in Ruinen, dies Heute im antiken Rahmen, das ergreifendste Zeugnis für den Wandel, dem alles Irdisdie unter-worfen ist. „Gälte es“, schreibt E. Maury, „in Europa den Schauplatz zu finden, der zur Erweckung des Sinnes für Geschichte am tauglichsten ist, so würde ich mich keine Sekunde bedenken, den Fragesteller nach Split zu führen. In Split pulst das Leben der Gegenwart gerade stark genug, um die Kontinuität der Dinge zu wahren, die Vergangenheit uns vor Augen zu führen; und diese tritt so klar, in so deutlichen Perioden hervor, daß ihr Rhythmus noch zu uns spricht. Mächtigen Sturmstößen gleich fühlt man über die Mauern die Momente des Werdens wehen und jeder von ihnen hat seine tiefe Spur hinterlassen. Einen Augenblick lang war Split das Zentrum der Welt, dann trat Stille ein. Wie die Barken, die abends an der Riva gereiht, am Morgen verschwunden sind, so ist das Schicksal gewichen, Erinnerungen an Glanz und Ruhm, doch auch an Leid und Marterqualen zurücklassend, die stets den Boden bedecken, über den sein Rad gerollt ist.“

Am 1, Juni des Jahres 305 nach Christi Geburt empfing der einem römisdien Kastell nachgebildete riesenhafte Palast in Asphala-tos am Gestade der Adria seinen Herrn, den greisen Diokles, der als Caius Aurelius Valerius Diocletianus zwanzig Jahre das Schicksal der Alten Welt m seinen starken Händen gehalten hatte. Um sich ein Bild machen zu können, wie der Palast ausgesehen hat, dazu genügen die Gipsmodelle und Zeichnungen der Rekonstrukteure, deren erster Johann Bernhard Fischer von Erlach war. In dem Werke „Entwurf einer historischen Architektur“ versucht der große österreichische Barockbaumeister eine Rekonstruktion auf Grund von Skizzen und Angaben, die ihm in Italien zugänglich wurden; in Split selbst ist Fischer von Erlach nie gewesen. Wie oft mag der Einsame von Aspha-latos, der in Nikomedien vor dem versammelten Heere mit den Worten „Jupiter, nimm an dich, was du mir geliehen hast“, den Purpurmantel von der müden Schulter gestreift hatte, am Fenster des prunkvollen Palastes gestanden sein und zu dem Hügel bei Salonae hinübergeblickt haben, auf dem sein ärmliches Geburtshaus stand. Tiefer als andere mußte der Sklavensohn, der sich zum Herrn der Welt emporschwang, die Vanitas vanitatum des ausklingenden Altertums empfinden, der erst die Heilsbotschaft der Christenlehre tröstlichen Sinn gab. Daß d*x finstere Greis die letzten Tage in der Nähe seines Geburtsortes verbrachte, ist bezeich-

nend für das starke Heimatgefühl, das dem Dalmatiner heute wie vor zwei Jahrtausenden eigen ist.

Der unbekannte Baumeister, der um das Jahr 300 den Grundstein zu dem gewaltigen Bau legte, in dem Diokletian Rückschau hielt auf ein außerordentliches Leben, hat audi den Grundstein zur Stadt Split gelegt. Denn als im zweiten Jahrzehnt des siebenten Jahrhunderts Awaren und Slawen die Stadt Salonae zerstörten, die als Hauptstadt der römischen Provinz Dalmatien zur Zeit jhrer Blüte eine halbe Million Einwohner zählte, fanden die überlebenden Bürger in dem wohl schon verfallenen, aber noch immer wehrhaften Palaste Diokletians Zuflucht. Und damit beginnt die wediselvolle Geschichte der heute volkreichsten und wirtschaftlich bedeutendsten Stadt an der jugoslawischen Adriaküste.

Dem jungen Gemeinwesen, das sich im Schutze der mächtigen Mauern des Kaiser-' pailastes entwickelte, gehörten ursprünglich nur Romanen an. Es unterstand wie die anderen Küsten- und Inselstädte in der östlichen Adria dem oströmisdren Kaiser, dessen Stratege einige Jahrzehnte in Split residierte. Zu den Kroaten, die bald nach den Awaren zu der Adriaküste vorstießen, das Land aber zum Unterschied von dem flüchtigen mongolischen Reitervolk dauernd in Besitz nahmen, standen die Städte in freundschaftlichen Beziehungen. Durch stets stärkeren Zuzug aus den kroatischen Dörfern der Umgebung erhielten sie allmählich ein rein kroatisches Gepräge, das später auch vierhundert Jahre venezianischer Herndiaft nicht wandeln konnten. So ist in Split schon zur Zeit der kroatischen Herrscher ein Prior, (Bürgermeister) mit dem kroatischen Beinamen Crni (der Schwarze) bezeugt. Der erste kroatische König, Tomislav, verwaltete die aufblühende Stadt im Namen des Basileus, König Petar Kresimir (Mitte des 11. Jahrhunderts), vereinigte die dalmatinischen Städte mit dem kroatischen Hinterland. Diese geschichtliche Tat beendete auch den hundertjährigen Streit um die kirchliche Selbständigkeit, welche die Spliter Erzbischöfe den Kroaten verweigerten. Der entschlossenste Gegner der Spliter Kirchenfürsten war Bischof Gregor von Nin, der noch heute als unbeugsamer Kämpfer gegen Überfremdung im dankbaren Gedächtnis der Kroaten lebt. Im Peristyl des Diokletianpalastes stand das gewaltige Standbild des streitbaren Bischofs, von Ivan Mestrovic in Erz gegossen. Das Jugend werk des großen kroatischen Bildhauers hat Paula von Prera-dovic zu einem ihrer dalmatinischen Sonette angeregt. Während der italienischen Besetzung wurde das Standbild aus dem Peristyl entfernt, soll aber jetzt wieder an seinem alten Platz aufgestellt werden. Freilich droht die Wucht der zürnenden Gebärde des erzenen Gregors von Nin das zierliche Säulenwerk der Antike zu sprengen. Deshalb war auch Don Frane Bulic, der verdienstvolle Erforscher der alten Salonae, seinerzeit gegen die Aufstellung des Standbildes im Peristyl, doch drang er mit seiner Meinung nicht durch.

Seit König Petar Kresimir war der Spliter Erzbischof wohl der Primas von Kroatien

und Dalmatien, aber Untertan des kroatischen Königs. Solcher Lösung hätte auch Gregor von Nin zugestimmt. Der Vorrang der Spliter Erzbischöfe kennzeichnet besser als irgend anderes die Bedeutung Splits im Mittelalter. Der Gewerbefleiß und die Unternehmungslust der Bürger ließ die Stadt, die allmählich über die Mauern des Palastes hinauswuchs, alle Kriegsnöte überwinden, auch den Mongolensturm, der das Land um die feste Stadt verheerte. Split muß schon früh einen wohlausgebauten Hafen besessen haben, denn hier schiffte sich im Jahre 1217 das Kreuzfahrerheer, das König Andrea II. von Ungarn führte, zur Fahrt nach Palästina ein. Bezeugt die Nachricht, daß im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts ein Fürst, der mit der Stadt in Fehde lag, den Splitern aus ihren Hürden 30.000 Schafe fortgetrieben habe, den Reichtum des mittelalterlichen Splits, so bezeugen ihn viel eindrucksvoller noch die Kunstdenkmäler, die aus jener Zeit erhalten sind.

Der Stolz der Stadt ist die Türe des Meisters Buvina, in der Leimen die höchste Leistung der romanischen Holzplastik überhaupt erblickt. Für den Spliter Dom, das in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts zur Kirche umgewandelten Mausoleum des Ka'-sers Diokletian, dessen Sarkophag verschollen ist, schnitzte zu Anfang des 13. Jahrhunderts der Spliter Holzschnitzer und Maler Andrija Buvina eine zweiflüglige Tür aus Nußbaumholz, die in 28 Feldern Darstellungen aus der Bibel trägt. Die einzelnen Felder sind mit reichem ornamentalem Schmuck gerahmt. Das Werk verrät deutlich den Einfluß der alt-kroatischen Plastik und repräsentiert, worauf der kroatische Kunsthistoriker Dr. Karaman hingewiesen hat, die e:genständige dalmatinische Kunst des beginnenden 13. Jahrhunderts. Später empfing das künstlerisdie Schaffen in Dalmatien starke Anregungen as Italien. Von einem anderen kroausdien Meister, dessen Name der Vergessenheit anheimgefallen ist, stammt die Lehne des Cnor-gestühls im Dom. Auch sie weist neben ornamentalem Sdimuck figürliche Darstellungen auf, darunter das Bild eines Handwerker bei der Arbeit. Dies Bild ist, ob es sich nun, wie Eitelberger anrimmt, um ein Selbstbildnis des Meisters der Chorlehne handelt oder nicht, deshalb bemerkenswert, weil es die älteste Darstellung eines Arbe.Vorgangs In der kroatischen Kuns: .st.

Auch später wa- split eine Stätte reichen künstlerischen Silasens. Neben vielen bekannten und unerkannte! Meistern haben Juraj der Dalmatiner (Giorgio da Seberico), letzter Vertreter der Gotik in DaLtnt er., und Nikola der Florentiner, welcher die Renaissanceformen in Dalmatien zum Siege führte, in der Stadt gewirkt.

Vom Jahre 1102 an, da die kroatischen Stämme die verwaiste kroatische Königskrone dem Arpaden Koloman antrugen, bis 1420 unterstand Split mit mehreren kurzen Unterbrechungen, die den Basileus, Venedig und den Herzog von Bosnien als Herren der Stadt sahen, der ungarischen Krone. Mit dem ungarischen Regiment fanden sich die freiheitsliebenden Spliter um so leichter ab, als ihre Selbstverwaltung vom ungarischen König kaum beschränkt wurde. Schwerer ertrugen sie die Herrschaft Venedigs, das sich 1420 endgültig in den Besitz von ganz Dalmatien setzte, Ragusa ausgenommen. Freilich vermochten sie das Joch nicht abzuschütteln, da der Türke vor den Toren stand. Als gar im Jahre 1537 die Feste Klis nach heldenmüti-

gem Kampf sich den Türken ergeben mußte, war die Stadt Tag und Nacht bedroht. Schon 1512 hatte Erzbischof Bernardo Zane von Split vor dem lateranischen Konzil zu Rom geschildert, wie er oft und oft die Messe unterbrechen, das Schwert umgürten und vi die Mauern der Stadt hatte eilen müssen, um einen Angriff der Türken abschlagen zu helfen. Im sechzehnten und siebzehnten

Jahrhundert waren die tapferen Bürger von Split ein Eckpfeiler des Walles, den die Kroaten mit ihren Leibern bildeten, um dit immer von neuem gegen das Herz Europas anstürmenden Osmanen aufzuhalten. Ein Patrizier von Split, Ivan Alberti, war es auch, der mit Billigung des Kaisers und des Papstes im Verein m;t den Senjer Usko^en durch einen kühnen Handstreich im Jahte 1596 die Festung Klis nahm und auf den Zinnen das Banner des Reiches aufpflanzte, das freilich bald wieder dem Halbmond weichen mußte. Albert, fiel bei der Verteidigung der Feste gegen Jas Heer, das die Türken eilends aus Bosnien he-angeführt hatten. Er starb in dem Kampfe für das christliche Europa, zu dem Splits größter Dichter, Marko Maruli£, seine Landsleute in der 1521 in Venedig gedruckten „Judita“ aufgerufen hatte.

Dies sind einige Blätter aus der vielblättrigen Chronik der Stadt, die .jung und voll drängenden Lebens aus dem grauen Palast eines werk- und lebensmüden Kaisers hervorgewachsen ist. Doch man braucht die Chronik nicht aufzuschlagen, beredter als vergilbte Blätter künden die steinernen Denkmäler, die aus siebzehn Jahrhunderten in die Gegenwart ragen, von einer stürmereichen Geschichte. Vor ihnen fühlt man „mächtigen Sturmstößen gleich die Momente des Werdens wehen“. Nirgends in Dalmatien pulst das Leben der Gegenwart so rasch und kräftig wie in Split. Im Hafen ebensogut wie im lebensvollen Gäßdiengewirr des Dickle-tianpalastes fühlt man, wie zukunftsträchtig die temperamentvolle, jedem Heute und Morgen selbstbewußte und tatenfroh entgegenstürmende Stadt ist.

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