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Die Stimmen der Kleinen

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Die meisten jener jungen Staaten in Asien und Afrika, die erst in den letzten Jahren oder ganz kürzlich ihre Unabhängigkeit erreicht haben und denen es oft noch am Allernötigsten für ihre Völker mangelt, haben trotzdem so schnell wie möglich Rundfunksender aufgestellt, um nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die fremder, entferntester Länder ansprechen zu können. Die Gründe hierfür liegen tiefer als alles, das mit dem Wort „Prestige“ umschrieben werden kann. Es hat viel eher mit Kommunikation und Kontakt zu tun, deren Bedeutung in den letzten 50 Jahren ungeheuer gewachsen ist.

Wenn es an unserer Wohnungstür läutet, und wir öffnen, und draußen steht ein Fremder, der etwas von uns wünscht und es zu erklären beginnt, dann hören wir ihn gar nicht gerne und nur mit halbem Ohr an. Er hat uns in unserer Beschäftigung gestört und außerdem trauen wir niemand, den wir zum erstenmal sehen.

Ja, wenn wir schon vorher etwas über ihn und seine Geschichte und Qualitäten erfahren hätten, dann würden wir ihm ganz anders gegenüberstehen! Diese „vorherige“ Information besorgen heute mehr oder weniger berechtigterweise, aber ziemlich wirkungsvoll die Massenkommunikationsmittel. Und nicht nur für Staubsauger, sondern auch in bezug auf die Beziehungen zwischen den Völkern.

Hierzu kommt weiter die Demokratisierung der internationalen Politik. Die Vertreter der kleinen und schwachen Völker sprechen auf dem Rostrum der UNO in das gleiche Mikrophon — und mit nicht leiserer Stimme wie die Vertreter der Großmächte. Diese mögen mehr militärische Macht besitzen, aber irgendwie beeindruckt das die Völker nicht mehr so sehr wie früher. Besonders, seitdem allen bewußt ist, daß der große Knüppel, den jene in der eher nervösen als nervigen Hand halten, nicht nur die Kleinen träfe, sondern mit voller Kraft auf die zurückschlage, die ihn ausschwängen. Und wer größere wirtschaftliche Macht besitzt, wird heute jeden Augenblick von allen gefragt, auf welche Weise er damit den Schwächeren zu helfen gedenke. So haben jene Kriterien von Macht an Bedeutung eingebüßt, während gerade durch die Entwicklung der Kommunikationsmittel die moralische Aussage an Bedeutung zugenommen hat. Jene, die eine solche besitzen oder zu besitzen glauben, lassen zu diesem Zweck heute jede Minute zahllose Kurzwellensendungen rund und kreuz und quer um die Erde gehen: ..Wir machen euch mit Japan, seinem Denken, Fühlen und seinen Leistungen bekannt“, lautet eine Annonce des japanischen Rundfunks in einer internationalen Rundfunk-Zeitschrift.

Ja, hört denn überhaupt eine genügend große Anzahl von Menschen zu? In der von der LINESCO unternommenen und publizierten Untersuchung „La Radiodiffusion dans le Monde“, schreibt der Verfasser, G. A. Codding junior, darüber: „Sicherlich ist die Zuhörerschaft bei den internationalen Sendungen weniger zahlreich als bei den Inlandsendungen .. Ein Grund hierfür ist, daß man einen für den Kurzwellenempfang geeigneten Apparat haben muß, oft auch eine spezielle Antenne, urd daß man mehr Geduld und Zeit dafür aufwenden muß, um, besonders unter ungünstigen klimatischen Bedingungen oder gar bei der Tätigkeit von Störsendern, eine Auslandssendung zu empfangen.“

VORBILD SCHWEIZ

Dennoch scheint es sich zu lohnen, sonst würden zum Beispiel die Schweizer, die wahrlich nicht im Rufe stehen, unpraktische Leute zu sein, nicht ihren Auslandsdienst schon seit 20 Jahren unterhalten. Sie haben dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt. Ein Mittel, um das Echo eines Auslandsdienstes auszulovn, ist die Zahl der Hörerbriefe, welche der D:. nst erhält. So berichtet der schweizerische Auslandsdienst, daß er im Laufe des Jahres 1959 24.882 Briefe von Auslandshörern erhalten hat. Das ist zwar eine ganz schöne, aber nicht geradezu gigantische Ziffer. Nun weiß man aber, daß nur ein ganz bestimmter Prozentsatz von Leuten, die hören, auch Briefe schreibt. Auf Grund weltumspannender und höchst kostspieliger Umfragen, mit denen die BBC und die „Stimme Amerikas“ die Größe ihrer regelmäßigen Hörerschaft erforschen, weiß man, daß diese rund 120mal größer ist als die Zahl der eingelangten Hörerbriefe, ja daß der Multiplikand von 120 noch vervierfacht werden darf, wenn man auch die Zahl der Zufallshörer miterfassen will. Diese Zahlen multiplizierend, haben die Schweizer festgestellt, daß sie einen regelmäßigen Hörerkreis von fast drei Millionen und einen gelegentlichen von über elf Millionen für sich beanspruchen dürfen. Es ist hierbei noch zu bedenken, daß Hörerbriefe aus Ländern, in denen es viele Analphabeten, aber verhältnismäßig viele Hörer von Kurzwellensendungen gibt — zum Beispiel in Afrika und Asien — weit gewichtiger zu werten sind, als die aus vorgeschrittenen Ländern. Ebenso ist einzurechnen, daß in gewissen Ländern das Schreiben an ausländische Sender als Verbrechen gilt.

Welche Bedeutung ein taktvoll konzipierter und mit politischem Fingerspitzengefühl geführter Auslandsdienst eines demokratischen Landes auch für totalitär regierte Länder haben kann, geht aus der Äußerung eines offiziellen Vertreters des spanischen Rundfunks hervor, daß die vom schweizerischen Auslandsdienst gebrachten spanischen Sendungen von den Hörern jenes Landes als „Zweites Programm“ bezeichnet werden.

Die nüchternen Schweizer legen übrigens keinen Wert darauf, als Weltbeglücker zu gelten und konzentrieren ihre Richtstrahler nur auf Gebiete, in denen sie unmittelbare Interessen besitzen, und überlassen es anderen, anderswohin, zum Beispiel nach Osteuropa, zu senden. Das Berner Studio des schweizerischen Auslandsdienstes strahlt über den Schwarzenburger Kurzwellensender (100 Kilowatt, effektive Strahlungsleistung 1500 Kilowatt) täglich auf zehn Frequenzen 50 Sendungen in Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch und Portugiesisch aus. Sie haben die von ihnen angestrahlten Gebiete in Übersee in folgende Sektoren geteilt und programmiert: Ostaustralien, Westaustralien, Ferner Osten, Südostasien, Japan, Indien, Pakistan, Südafrika, Naher Osten, Großbritannien und Irland, Nordamerika, Südamerika, Mittelamerika, Brasilien.

In allen Auslandssendungcn der Schweiz gibt es einen speziellen Anhang für Auslandsschweizer, mit denen auf diese Weise ein sehr lebhaket und aktiver gegenseitiger Kontakt unterhalten wird.

Die sehr sparsam angelegten Programme enthalten täglich Nachrichten über die Schweiz, politische Kommentare und Presseschauen. An je einem bestimmten Tag der Woche bringen die Schweizer allwöchentlich wiederkehrende Reihen, wie „Schweizer Komponisten“, „Schweizer Städte“, „Schweizer Berge“, „Briefkasten“, „Wunschprogramm“, „Jazz“ — zum Unterschied von „Leichter Unterhaltungsmusik“, die zweimal in der Woche gesendet wird—und ein allwöchentliches Symphoniekonzert. Einmal im Monat werden Voraussagen über die Sonnenflecken-tätigkeit gebracht, damit die Kurzwellenhörer sich auf die entsprechenden Meterbänder umstellen können. (Je mehr Sonnenflecken, desto kürzere Wellenlängen, je weniger, desto längere sind beim Kurzwellenempfang nötig.)

ITALIEN - SEHR AKTIV Einen viel umfassenderen Sendebereich und eine entsprechend differenzierte Programmierung besitzt der italienische Auslandsdienst. Einiges darüber zu erfahren, dürfte für uns Österreicher schon wegen des derzeitigen propagandistischen Wettkampfes um Südtirol interessant sein.

Die Italiener schicken täglich 63 Sendungen in die Welt. 33 davon sind in 22 europäischen Sprachen, darunter auch in Polnisch, Rumänisch, Russisch, Serbokroatisch, Slowenisch, Tschechisch, Ukrainisch und Ungarisch. 30 Sendungen gehen in 15% Stunden täglich nach Übersee, und zwar in Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch, aber auch in Hindi, Urdu, Bengali, Somali, Chinesisch, Japanisch, Arabisch, Persisch und Türkisch.

Dieses enorme Programm bewältigen die Italiener mit drei Kurzwellensendern von je 50, 60 und 100 Kilowatt auf 22 Frequenzen und indem sie die meisten Sendungen auf 15, höchstens 20 bis 25 Minuten beschränken. Dafür gibt es einige Einstunden- und noch längere Programme für die zahlreichen Landsleute in Nordamerika, Afrika und im Nahen Osten. Diese Programme sind zum Teil richtige Unterhaltungsabende, die in Verbindung mit den Klubs und Vereinigungen der Auslandsitaliener als Hörergemeinden abgehalten werden.

HÖRERFANG

Außer solchen Spezialitäten, die sich jeder Auslandsdienst für seine besonderen Interessenten ausdenkt, besitzt mancher von ihnen allgemein wirksame Attraktionen. So sind die Englisch-Unterricht-Sendungen der BBC, „English by Radio“, das meistgehörte Programm nicht nur des britischen, sondern aller existierenden Auslandsdienste. Es wird nicht nur aus Großbritannien, sondern auch durch 110 Sender in 50 anderen Ländern (durch von der BBC zugesandte Magnetophonbänder) täglich gesendet. Es gibt hierbei Kurse für Anfänger und Vorgeschrittene und eine besonders interessante Reihe, „Höre und lehre“, die für die vielen verhältnismäßig ungeschulten einheimischen Englischlehrer in Teilen Afrikas und Asiens bestimmt ist.

Der mit dem wenig glücklich gewählten Namen „Deutsche Welle“ versehene Auslandssender der Deutschen Bundesrepublik hat

übrigens das Beispiel der BBC nachgeahmt und bringt einen deutschen Sprachkurs.

Solche Attraktionen sind geeignet, einem Auslandssender Hörer zu bringen, die also dazu gebracht werden können, später die anderen Sendungen zu hören.

Ein — insbesondere von Sendern des Ostblocks — in der letzten Zeit häufig angewendeter Sendungstyp sind die Preisausschreiben mit Fragen an die ausländischen Hörer. Derlei Sendungen werden zu mehreren Zwecken gebracht. Erstens, um Hörer anzuziehen, zweitens, um durch die Antworten Hinweise auf die Zahl und das Interesse in dem angestrahlten Gebiet zu erhalten, und drittens — und nicht zuletzt — zur politischen Beeinflussung. So liebt es Radio Moskau, den Hörern Fragen über die Geschichte der Sowjetunion, aber auch über deren gegenwärtige Errungenschaften auf verschiedenen Gebieten zu stellen.

Nahezu alle seefahrenden Länder bringen Sendungen für die eigenen und fremdländischen Schiffsbesatzungen auf hoher See. Holland und die skandinavischen Außendienste erzielen besondere Erfolge mit Gruß- und Wunschkonzertsendungen. Damit kommen wir zu der vielumstrittenen Frage: Musik oder Wort in Aus-Iandsse Ihrer hauptsächlich informativen Funktion nach.sind die Auslandsprogramme — zum Unterschied von den an das Inland gerichteten, bei denen die Musik nahezu überall Vorrang hat — vor allem Träger des Wortes. Außerdem ist der Empfang auf den für Auslandssendungen verwendeten Kurzwellen häufig nicht so klangrein wie bei Mittelwellen, was beim gesprochenen Wort eine geringere Rolle spielt als bei der Musik. Ein weiterer Grund ist, daß das gesprochene Programm leichter für die verschiedenen Sprachgebiete zu übersetzen und somit auch Inlandssendungen leichter zu adaptieren sind. Nachrichten und Kommentare kommen außerdem billiger als Sendungen, bei denen zum Beispiel Tantiemen für Autoren- und Aufführungsrechte zu bezahlen sjnd. Die Programmleiter aller Rundfunlcsysteme (insbesondere des österreichischen) haben ein trauriges Lied in bezug auf die Schwierigkeiten und Kosten für Opern- und Festspielübertragungen zu singen.

Und die Auslandsdienste, die ja nicht für ein Land und in einer Sprache arbeiten, müssen höchst bedacht darauf sein, die aus dieser Vielfalt entstehenden Kosten auf vernünftigen Höhen zu halten und durch mehrfache Verwendung desselben Programms für verschiedene Länder einzusparen, wo nur einzusparen geht. Aus diesem Grund teilen sich in vielen Ländern die Inlands- und Auslandsdienste in der technischen und administrativen Organisation des Rundfunks.

Nichtsdestoweniger gibt es Länder — vor allem in den Tropen —, wo der Kurzwellenempfang so sehr die Regel ist, daß den Hörern die Klangreinheit auch bei der Musik keine besondere Rolle spielt, und wohin an sich mehr Musik gesendet wird als anderswohin.

Es ist zu erwägen, ob Musiksendungen in einem österreichischen Auslandsdienst eine besondere Rolle spielen und mehr Bedeutung als im Außendienst anderer Länder einnehmen sollten und könnten. Schließlich erwartet man von Österreich besondere Leistungen auf diesem Gebiet. Die Frage ist nur, ob man imstande ist, diese Besonderheit zu berücksichtigen. Darüber mehr im nächsten Artikel, der den besonderen Problemen, Möglichkeiten und Aufgaben eines österreichischen Kurzwellendienstes für das Ausland gewidmet sein soll.

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