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Die Strafe

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Als Nicodemus nicht mehr ein noch aus wußte, verschloß er sein Haus, nahm den Esel Peppo beim Halfter und machte sich auf in die Stadt. Es war ein weiter und schwerer Weg, denn Nicodemus wohnte ganz hinten im Gebirge und hoch oben, fast nur einen Steinwurf vom lieben Gott entfernt. Es war ein heißer Tag, die Sonne brannte auf die weiten Maisfelder nieder und weit und breit war kein Schatten zu finden. Die Beiden gingen durch den Staub dahin und waren voll guter Hoffnung. „Nun“, sagte Nicodemus zu dem Esel, du brauchst dich nicht mehr weiter um uns sorgen, bald haben wir unsere Rente, du wirst es sehen“. Und da der Weg gar kein Ende nehmen wollte, erzählte Nico seinem Esel die ganze Geschichte, warum sie in die Stadt müßten und deshalb alles gut werden würde. Da schössen sie ihm im Krieg ein Loch in den Rücken. Die Kugel fuhr hinten in das Schulterblatt hinein und vorne bei der Brust wieder heraus. Er hatte nun an dieser Stelle ein Loch, daß man die Faust hineinlegen konnte. Damals, als es geschah, trösteten sie ihn und sagten sogar: So ein Glück, sagten sie, du hast einen Heimatschuß und bekommst nun eine Rente. Ja, und das mit der Rente dachte auch er. Nun aber ging es schon mehrere Jahre so dahin und nichts rührte sich. Wohl schrieb er in die Stadt und bat um Gerechtigkeit, aber niemand antwortete ihm, keiner gab ihm einen Heller. Nun aber war es zu Ende mit seiner Geduld, er hatte kein Brot mehr, keinen Käse und keine Zwiebel. Es wäre aus mit ihm, wenn die Herren in der Stadt nicht bald Ernst machen. So raffte er sich denn auf, um seine Sache selbst in Ordnung zu bringen.

Als sie in die Stadt kamen, es war am frühen Morgen, die Hausfrauen waren mit ihren Einkaufstaschen unterwegs, und die Männer zu ihren Werkstätten und Aemtern, blieben die Leute, so eilig sie es auch hatten, stehen, um den Beiden nachzusehen. Siehst du, sagte Nicodemus zu Peppo, sie wissen schon, wer wir sind und niemand jagt uns davon. Wir bekommen, was wir wollen, verlaß dich darauf. Peppo wußte um diese Dinge wenig Bescheid, er ging immer hinter seinem Herren, wohin dieser ihn auch Ähren mochte.

Vor einem großen Haus band Nicodemus seinen Gefährten an einen Baum und sagte: Nun warte etwas, hier hast du Schatten und niemand wird dich stören, ich bin gleich wieder da. Damit ließ er ihn stehen, nahm den Hut vom Kopf, reinigte seine Füße und trat ein.

„Was wollt Ihr?“ hielt schon an der Tür ihn jemand auf.

„Meine Rente“, sagt er.

Man nannte ihm eine Tür und er begann zu suchen. Endlich, es dauerte eine Ewigkeit, stand er davor und hörte sein Herz schlagen. Ob ich sie bekommen werde, ging es immer wieder durch seinen Kopf.

„Ich bin der Nicodemus“, sprach er einen der vielen Herren an, die wie die Bienen im Zimmer herumflogen, „verzeiht, daß ich da bin, ich komme wegen meiner Rente“.

„So, so“, sagte der andere und blätterte in einem Stoß von Akten, „setzt dich etwas hin, ich werde dich rufen“.

„Gut, hoher Herr“, war es der Nicodemus zufrieden und setzte sich hin. Es gingen die Stunden und die Menschen, es kamen neue und es gingen nochmals Stunden und er saß immer noch so da. Hunger, Durst und die Sorge um Peppo quälten ihn, es war schlimm. Als es ihm lange genug schien, meldete er sich. „Verzeiht“, sagte er, „habt ihr auf mich vergessen?“

„Wir vergessen auf niemand, was willst du?“

„Ich komme wegen meiner Rente.“

„Warum sagst du das nicht gleich“, fuhr ihm der Herr an und drückte ihm einen Bogen Papier in die Hand: „Fülle das aus, unterschreibe es und bring es morgen wieder.“

„Morgen?“

„Ja, morgen“, sagte der Herr und ließ ihn stehen. Ja aber, wollte Nicodemus sagen, ja aber, ich bin seit zwei Tagen unterwegs habe kein Brot mehr und für Peppo kein Futter, wo sollen wir bleiben. Aber niemand kümmerte sich um ihn, alles lief durcheinander und es war ein Wirbel zum Verrückwerden. So ging er denn zu Peppo und sie zogen kreuz und quer durch die Stadt. Aber niemand wollte ihnen ein Quartier geben. „Was“, entsetzten sich alle, „zusammen mit diesem Stinktier, nein, scher dich fort mit diesem Esel“.

„Aber wir sind doch immer zusammen.“

„Das geht nicht.“

„Wo sollen wir die Nacht bleiben?“

„Macht, was Ihr wollt, alter Narr“, lachten sie ■und schlugen ihm vor der Nase die Tür zu.

Nein, sagte er zu Peppo, diese Menschen sind nicht gut. Sie wollen mich von dir trennen, aber ich lasse es nicht zu. So fanden sie denn in einem Park Wiese, Licht und Schatten. Peppo legte sich gleich ins Gras und schlief ein und Nicodemus machte sich daran, den Bogen auszufüllen. Was diese Leute alles wissen wollten? Wie konnte man von ihm verlangen, daß er sich noch erinnere, was vor zwanzig Jahren war? Aber er machte es so gut es ging, streckte sich aus und schob sich den Hut über das Gesicht. Als man ihn weckte und mit einer Lampe ins Gesicht fuhr, war er mehr als erschrocken.

„Was machst du da?“ rief ihn der Gendarm wach.

„Ich schlafe.“

„So, und der Esel da?“

„Auch.“

„So, und du weißt wohl nicht, daß dies verboten ist, hmhm?“

„Nein, das weiß ich nicht.“

„Natürlich, natürlich! Woher kommst du und was willst du hier?“

Nicodemus erzählte nun auch ihm die ganze Geschichte.

„Alles gut und schön“, sagte der Gendarm, „aber deshalb mußt du trotzdem Strafe zahlen“.

„Ich?“

„Ja“, und er schrieb ihn auf und holte ihm den letzten Heller aus dem Sack. Als er gegangen war, sagte Nicodemus zu Peppo: Was sagst du nun dazu, ist das nicht toll? Wir sehen zu, daß wir morgen unsere Rente bekommen und dann gehen wir wieder in unser Dorf. Dort können wir schlafen wo wir Wollen und brauchen dafür keine Strafe zahlen. In aller Frühe band er Peppo wieder an den Baum, klopfte an die Tür und gab den Herren, was sie wünschten.

„Hier bin ich“, sagte er, „ich hoffe, es ist alles in Ordnung“.

Sie sahen ihn gar nicht an, fuhren mit ihren Fingern die Zeilen entlang und steckten ihre Nasen hinter jeden Punkt.

„Gut“, meinten sie dann, „du hörst von uns“.

„Schön“, sagte Nicodemus, „wo kann ich mir denn das Geld holen?“

„Du bekommst Bescheid.“

„Ja, aber ich brauche es schon heute.“

Sie sahen ihn eine Weile an, lachten und meinten dann: „Ja, mein Lieber, so schnell geht es nicht“ und zeigten ihn ganze Schränke voll mit Akten.

„So“, sagte er dann enttäuscht, „also, Ihr habt kein Geld für mich“.

Da schien einem der Herren etwas aufzufallen: „Sag, einmal“, wandte er sich an Nicodemus und betrachtete dessen geflickten Kleider, „bist du eigentlich vorbestraft?“

Nicodemus schämte sich sehr, „ja“, sagte er, „heute nachts mußte ich Strafe zahlen“.

„So?“ meinten die Herren dann wie aus einem Mund und zogen ihre Augenbrauen hoch, „dann bekommst du auch keine Rente“.

„Nein?“

„Nein.“

„Nur weil ich mich von Peppo nicht trennen wollte?“

„Warum, ist unwichtig, du bist vorbestraft und bekommst keine Rente, hier“, sagten sie und reichten ihm einen neuen Bogen Papier, „mach ein Gesuch und bitte um Gnade, es ist möglich, daß man es dir nachsieht“.

„Hab Dank“, verbeugte sich Nicodemus und ging-

Was soll ich machen? wandte er sich an den Esel, ich kann mich doch nicht von dir trennen und nirgends bekommen wir ein Quartier. Im Park aber schreiben sie uns wieder auf und wir bekommen keine Rente.

Er dachte eine Weile hin und her: Weißt du was, sagte er dann, es wird schon irgendwie gehen. Das alles hier ist nichts für uns und auch die Rente, sollen sie alles zusammen haben. Er löste Peppo vom Baum, zog ihn hinter sich aus der Stadt hinaus und ging den weiten Weg zurück in sein Dorf, das nur einen Steinwurf vom lieben Gott entfernt war.

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