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Die Studiobühnen hierzulande...

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Sechs Jahre liegen hinter uns, Grund genug, vielfach Bilanz zu ziehen, Erfahrungen auszuplaudern, festzustellen — und jedem Idealismus abzuschwören. Denn damit begann es, mit einer reichlichen Portion Idealismus und Optimismus, als rings um Wien noch die Kanonen donnerten und einige graue Studentlein wieder auf die Hochschulen eilten: da hing am Schwarzen Brett der Alma mater ein Anschlag, ein Aufruf zur Gründung einer Theaterspielgruppe ...

Am 7. Juni 1945 war im übervollen Saal in der Kolingasse Hofmannsthals „Der Tor und der Tod“ angesetzt — am 12. November 1950, ebenfalls vor übervollem Saal, zum letzten Male, Weisenborns Drama von der Widerstandsbewegung „Die Illegalen“. Tragik und Symbolik liegen in diesen beiden Daten, liegen zwischen diesen beiden Daten, nicht nur die Fülle von 6 8 anderen Premieren ...

Siebzigmal feierte das Studio der Hochschulen seine Premieren, darunter waren (welch große Wiener Bühne vermag Gleiches für diesen Zeitraum in ihrer Statistik anzuführen?) gleich 23 Werke österreichischer Autoren, mit 9 Uraufführungen, die riskant waren, höchst experimentell und Geld kosteten, gerade in bezug auf das schmale Etat. Einige Zah* len: an Subventionen erhielt das Studio monatlich von seifen der österreichischen Hochschülerschaft 150 Schilling (in Worten: hundertfünfzig), das Kulturamt der Stadt Wien gab einmalig 10.000 Schilling, und das Unterrichtsministerium finanzierte einen Teil der Auslandsreisen. Aber zurück zum Spielplan: elf österreichische Erstaufführungen waren darunter, Werke schon arrivierter Dramatiker, nennen wir Priestley, Obey, Cocteau, Weissenborn — aber man spielte auch den „Sommernachts-traurn“, Wildes .Salome*, den Dibbuk“ von Anski, „Orestes“ von Euripides, „Wozzek“ von Büchner — und sechsmal Nestroy, darunter als eine Art Neuentdeckung „Die Freiheit in Krähwinkel“ — man zählte über 1 0 0 0 Vorstellungen in dieser kurzen Geschichte, über 250 Mitarbeiter — und acht Auslandstourneen (nach der Schweiz, Holland, Belgien, Deutschland, England und Italien), die den Namen .Studio Wien“ als führende europäische Studentenbühne bekannt und berühmt machten und auf direkteste Weise |ür die Heimat warben, die nur wenig, sehr wenig für diese Schar unentwegter Idealisten übrig hatte. Vielleicht haben diese Jungen In der Kolingasse schwere Fehler begangen: weil sie vielleicht unter sich bleiben wollten und sich ihre Lehrer selbst aussuchten (was sie nie bereuten), vielleicht, weil sie keiner parteimäßigen Bindung zustrebten und in dem vollpolitisierten Osterreich, auch auf dem Sektor der immer tragischer verpolitisierten Kunst, unabhängig und frei blieben, vielleicht, weil die Gewerkschaftsbeiträge der jungen Schauspieler nur selten bezahlt wurden, vielleicht, weil die Presse stets wohlwollend und anerkennend manch gute Zeilen bereit hielt — doch nach dem Vielleicht braucht man heute nicht mehr zu forschen, das Studio, Wiens erste und beispielgebende Studiobühne seit 1945 — mußte längst schließen, sagen wir: weil 15.000 Schilling fehlten und der auf den Mietzins wartende Hausherr nicht mehr länger warten wollte — die tieferen Ursachen aber sind gerade in Wien bekannt, obwohl man sie ja hier nie wahrhaben möchte, stets noch leugnet und weiter Preislieder auf das Kulturverständnis singt und singen läßt. Mit Millionen-defizitgarantien kann man Theater spielen, sogar hervorragendes, aber — das Theater will ewig sein, ist demnach abhängig von seinem Nachwuchs — und hier wird man auf die Dauer kaum auskommen mit sporadischen Protektions- und Sympathieengagements — gerade Wien braucht eine Nachwuchsbühne, mit allem öffentlichen Segen und Geldern unterstützt, es braucht ein Forum, das neue dramatische Schaffen erproben zu können — kurz: Wien braucht ein Studio, das man jetzt, gestützt auf gemachte Erfahrungen, nützlicher und wesentlicher denn je errichten könnte. Mühsam schleppen sich die Nachfolge- und Nachahmeinstitute weiter — auch sie leben zumeist von freundlichem Auf-die-Schulter-Klopfen, ausgezeichneten Kritiken (es sei denn, diese mußten politschen Rankünen zufolge anderes verlauten lassen) und mageren oder gar keinen Subventionen. Das .Theater der Courage“, das in letzter Zeit ein wenig einseitig und einfarbig zu werden droht, hat zwar eine gewisse Basis mittels einiger Organisationen, nicht weit von der Löwelstraße entfernt, das „Kleine Theater im Konzerthaus“, das die Unentwegtesten des ehemaligen Hochschulstudios absorbiert hat, zehrt von den Groschen eines Privatmäzens — wie lange aber noch?

Es hat im Laufe der seit drei Jahren bestehenden vielfältigen Theaterkrisendebatten an wesentlichen Stimmen nicht gefehlt (die „Furche“ war stets unter ihnen), die gerade im Bestehen solcher Klein- oder, wenn Sie wollen, Avantgardebühnen einen wesentlichen Garanten für die Weiterentwicklung und Zukunft des Wiener Theaters erblicken. Und neuerdings sind auch konkretere Pläne erstellt worden, die ein staatlich oder städtisch fundiertes Unternehmen dieser Art wärmstens empfehlen und konstruktdv vorschlagen — der Wert liegt ja auf der Hand: als Zwischenglied zwischen Schauspielausbildung und dem Engagement soll diese Bühne fungieren, um den jungen Schauspielern die Uberbrückungsmöglichkeiten zu geben, sich zu erproben, zu bewähren, gesehen und .entdeckt“ zu werden. Aus diesem Reservoir könnten dann stets die .arrivierten“, gagenzahlenden Bühnen schöpfen, und hier wäre auch die Möglichkeit zum Experimentieren für neue und junge Autoren, wenn dies auch stets erhöhte Risiken auch In finanzieller Hinsidit bedeutet — auch alte, bewährte Werke könnten hier auf neue Regiemöglichkeiten, Neufassungen usw. erprobt werden und schließlich Stücke, an die sich große Bühnen nicht oder noch nicht heranwagen. Hier wäre ein Betätigungsfeld für junge Regisseure, Bühnenbildner und Musiker — man könnte dieses Institut erweitern und an ihm zusätzliche Möglichkeiten schaffen für Dichter, Maler, Komponisten — die Finanzierung würde, berechnet und durchkalkuliert, monatlich 10.000 Schilling an Subventionen betragen. Als Haus dafür wäre die .Insel' nicht ganz ungeeignet, und die Leute, die dies ins Leben rufen, leiten und arbeiten würden, könnten am tunlichsten aus den .verstorbenen“ Betrieben, der „Insel“ vor allem, genommen werden. Man möge diese personellen Fragen, im Interesse der Sache, einmal wenigstens frei von politischen und protektionsverseuchten Gesichtspunkten vornehmen.

Hier wäre Wien vorbildlich' als städtisches Theater wird kein arriviertes Kammerspiel-. Operetten- oder Komödienhaus bespielt, sondern eine Bühne für den Nachwuchs, füf junge Leute ur ' das moderne Drama. Wäre dien so undenkbar?

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