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Die Stunde der Presse

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Vom 15. bis 19. Februar tagt in Rom der Weltkongreß der katholischen Journalisten und Verleger. Der erste internationale Kongreß im Rom des Heiligen Jahres. Mit Recht, denn viele andere Kongresse erübrigten sich, wenn die Träger dieses ersten versagen würden. Wenn das Sprachrohr der Kirche, wenn die stärkste und weitreichendste Stimme der Christenheit in der Öffentlichkeit verstummte, würden sich die Mauern eisigen Schweigens um die Zeugen erheben, die doch berufen sind, von der Wahrheit und vom Leben zu zeugen.

Auf einem beachtlichen Großteil der Erde gibt es heute keine christliche, keine katholische Presse: noch nicht — nicht mehr. Den Christ- und menschenfeindlichen Enuntiationen antwortet kein christliches Echo. Die Versammlung der bedeutendsten katholischen Journalisten und Verleger steht also unter diesem Zeichen unentrinnbarer Entscheidung. Noch einmal ergibt sich eine Möglichkeit, Bilanz zu ziehen, die Arbeit der katholischen Presse im gegenwärtigen Weltringen zu prüfen, zu koordinieren, zu sammeln. Noch einmal lassen sich heute in kühler Planung Kräfte binden, große Chancen wahrnehmen. Niemand weiß, was morgen sein wird: Die Gestalt dieses Weltmorgens wird aber mit davon abhängen, ob die katholische Presse der Welt ihre Pflicht erfüllt hat.

Es sei ein kurzer Rückblick erlaubt, um die Größe der Aufgabe am Spiegel des Sagens und Versagens der Vergangenheit zu ermessen. Vor mehr als 100 Jahren: der größte Publizist deutscher Zunge, Josef Görres, vom Welttyrannen jener Tage als fünfte Großmacht gefürchtet, bekennt sich als Katholik. Kühne, ja großartige Ansätze katholischer Presse in Deutschland, im Frankreich des „Aven-nir“, lange vor 1848. Der große Strom schwingt weiter aus in der Presse des deutschen Kulturkampfes, der österreichischen Monarchie des 19. Jahrhunderts — und verebbt. Kaum ein halbes Jahrhundert ist es her, da galt katholische Journalistik als ein verachtetes Gewerbe. Vergessen wir hier bereits nicht die Gründe des jähen Auf- und Abstieges katholischer Publizistik: die katholische Presse wurde getragen vom Opferwillen und Geist einiger weniger hervorragender Persönlichkeiten und einiger kleiner Gruppen. Und immer wieder wurde sie im Stich gelassen von weiten Kreisen des Klerus und der Laienschaft, die die Notwendigkeit und Förderung ihres Einsatzes nicht erkannten. Das missionarische Versagen der Kirche in Europa im letzten Jahrhundertstehtindirektem Bezug zum D e s i n t e r e s s e m e n t der Kirche an ihrer Presse. — Blicken wir weiter. Dann — in den Jahren um den ersten und zwischen erstem und zweitem Weltkrieg — ein neuer, jäher Aufschwung. Er wird vielleicht am deutlichsten erkennbar an der Hochschätzung durch den Gegner. Der Totalstaat des Dritten Reiches hetzt und verfolgt namhafte katholische Journalisten durch alle

Länder Europas und erhebt sie zur Ehre des Martyriums. Es sind die Gegner, die allein oft die Größe und Gefährlichkeit katholischer Pressearbeit würdigen: durch ihre Verfolgungen, mit den Prämien ihrer Kerker und Lager. Sie erkennen auch als erste den großen Wandel der katholischen Pressearbeit, der sich in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat und weiterhin ausformt: katholische Presse ist heute nicht mehr Vereinsarbeit, ghettohafte Selbstbekundung und Selbstbespie-gelung kleiner, soziologisch eng umgrenzter Gruppen, sie ist auch nicht mehr primär verhaftet an adelige, bürgerliche, bäuerliche Schichten, an politische Ideologien, wie etwa jene des Konservativismus und der Sozialromantik. Weder Adler noch Krone, weder Leier noch Schwert zeichnen sie heute. So bleibt allein das Kreuz, das Zeichen der gequälten Menschheit und des geschundenen Gottes in dieser Welt.

Die Aufgaben katholischer Presse sind heute ungeheuer groß. Dennoch läßt sich ihre Vielfalt in zwei Kreisen umschreiben. Der erste Strahlkreis richtet sich naturgemäß nach innen: hier erstrebt sie Führung und Geleit des Christen in dieser Zeit, durch diese Zeit. Durch objektive Berichterstattung, durch Prüfung und Konfrontierüng der politischen, kulturellen und geistig-seelischen Ereignisse, indem sie diese in den Lichtkegel der einen Wahrheit stellt und dem Christen hilft, den rechten Weg in der Wirrnis der Zeitlichkeit zu suchen, zu finden und zu gehen. Orientierung, Führung und Betreuung des Christenmenschen im Dschungel der Zeit. Information ist also nur ein Teilbereich einer katholischen Journalistik im Heute I Wesentlich ist die Führung und diese kann nur erfüllt werden im Anruf, durch die Erweckung, das Wachrufen des christlichen Gewissens. Die Pius-Päpste sind nicht müde geworden über den Schlaf der Christenheit heute zu klagen — angesichts so vieler Nöte. Da sind die langhin unverstandenen materiell-sozialen, da sind die seelischen Nöte der Menschheit des 20. Jahrhunderts. Da ist heute die Not der einen Christenheit, die das Erwecken einer ganz neuen mondialen Katholizität in den einge-hausten Seelen fordert. Wer ist zu diesem Wach- und Weckrufen mehr berufen als die katholische Presse? Sie hat den in Enge Bemühten und Verzagten zu zeigen, wie heute in China um einen tapferen Kardinal, wie in Indien um den neuen Legaten sich die Christen scharen, während die militanten Wellen des Gegners alles zu überfluten drohen; sie hat die alle Klassen und Rassen überfangende Katholizität der Kirche aufzuzeigen im nahen Afrika, wo, während eine von europäischen Giften verseuchte weiße Bewegung dem .Schwarzen“, dem Farbigen die primitivsten Menschenrechte verweigern will, gleichzeitig ein Negerbischof Weiße zu Missionaren, zu Brüdern in einer heiligen Sendung weiht. Erweckung des christlichen Gewissens, Aufruf zr Bezeugung echter weltumfassender

Katholizität — darin gipfelt die Aufgabe der katholischen Presse im Innenkreis.

Vielleicht würde sich die Welt zufrieden geben, wenn sich unsere Presse mit dieser Innen- und Binnenarbeit begnügen würde. Sie kann und darf sich aber heute nicht damit begnügen, denn die Bedrohung und Zersetzung der christlichen Substanz hat sich längst ausgeweitet zur Auflösung und Zerstörung der menschlichen Substanz an sich! Die Verfolgung der Christen, der Katholiken hat sich längst ausgeweitet zur Verfolgung des Menschen in seiner Ganzheit! Heute erkennen es auch viele in jenem außerchristlichen Blätterwald, dem das Stöhnen der verfolgten Christen in so manchem Land und Erdteil in den letzten Jahrzehnten kaum ein leises Aufrauschen entlockte: es geht um die einen und unabdingbaren Menschenrechte, und diese Rechte finden keinen konsequenteren Verteidiger als die katholische Presse. Freiheit der Persönlichkeit: läßt sie sich tiefer begründen all in der Uberzeugung von der Unsterblichkeit jeder Einzelseele, von der Gottes-kindschaft jedes Menschen? Freiheit des Gewissens: kann sie tiefer verwurzelt werden als in der Lehre der Kirche, die sie über alles stellt, so daß sie selbst den fiktiv bekannten Glauben an Gott •nd die Kirche zur Todsünde erklärt, wenn der Mensch in diesem seinem „Bekenntnis“ wider die Stimme seines Gewissens handelt? Freiheit von Not: wer vermag aufrichtiger für sie einzutreten als der Jünger des Gottes, der alle Not dieser Welt auf sich nahm, sie durchlitt und sie erlöste?

Der Wandel in der Weltstellung der katholischen Presse wird vielleicht durch nichts deutlicher angezeigt als durch die Tatsache, daß diese heute nicht nur die letzteVerteidigerindesGlau-bens an Gott, sondern auch des Glaubens an den Menschen ist und' zu alldem die Verteidigerin der Würde und Kraft der menschlichen Vernunft! Alle, alle die Vernunftsüchtigen von gestern, die so leicht glaubten, die Vernunft gegen den Glauben ausspielen zu können, sind heute in tausend Aberglauben geflüchtet, die ausnahmslos die Vernunft verraten: in die Verkrampfung, in die Ängste eines mörderischen Staatsglaubens, in die Hysterien eines fetischistischen Glaubens an die Allmacht des Sexus oder einer Ideologie, in die

Exzesse aller möglichen und unmöglichen Modetorheiten in verschiedenen Bereichen des menschlichen Lebens. Alle, alle sind täglich und stündlich bereit, die Vernunft zu opfern: dem Drang ihrer Begierden, ihrer Ängste, dem Druck irgendeiner Macht. Man werfe nur einen Blick in die außerchristliche Weltpresse und sehe sie an, welche Opfer der Vernunft sie ihren Lesern zumutet, jenen Lesermassen, die ihr haltlos und süchtig in die Delirien ihrer Mord-, Film-und Sensationsstoffe folgen!

S o i s t d i e k a t h o 1 i s c h e P r e s s e ein Hort der Vernunft und der Würde des Menschen, ein Träger der Resistance, des Widerstandes des Menschen gegen jede Vernebelung und Vergiftung der Geister und Seelen, gegen jede Knechtung und Knebelung der Leiber, der Massen, der Völker und Kontinente — eine Stimme der Wahrheit und Wadiheit also, die weit hinaasdringt über den innerchristlichen Raum. Es ist eine Schande für die Christenheit, aber eine Tatsache, die nicht genug beachtet werden kann: in einer ganzen Reihe europäischer Staaten werden heute gerade die besten und weltoffensten katholischen Publikationen und Organe mehr von NichtChristen, zumindest von Nichtkätholiken gelesen, als von den schläfrigsatten Inwohnern des Kreises selbst. Viele, die kein Prediger, kein Priester mehr erreicht, trifft noch ein von Christen geführtes Blatt... Damit stehen wir vor einer widitigen Erkenntnis, die präzise Forderungen bedingt. Wenn vor mehr als 100 Jahren Görres, ein Mann, eine Weltmacht wider den Totalitarismus seiner Zeit war, dann muß heute die katholische Presse als Ganzes jene Weltmacht sein, die den Kampf für den wahren Menschen, die wahre Freiheit, die wahre Demokratie führt. Eine ungeheure Verantwortung ruht damit auf ihr, die heute fast allein die paulinische Situation der Christenheit wahrnehmen kann: zu jedem in seiner Sprache, nach seiner Art zu sprechen und ollen alles zu werden.

Der Größe der Aufgabe und Verantwortung kann die katholische Presse aber nur gerecht werden, wenn es heute gelingt, zwei Dinge zu schaffen: einmal, eine konkrete praktische, enge Zusammenarbeit der katholischen Journalisten und Verleger auf der ganzen Welt, weil nur aus einer solchen jene weltweite lebendige Katholizität In der

Publizistik geschaffen werden kann, die der weltweiten Gefährdung und Bedrängnis gewachsen ist. Zum andern: das schmähliche Desinteressement weitester katholischer Kreise an der Entwicklung ihrer Presse ist ebenso mit allen Mitteln zu bekämpfen wie die ebenso beklagenswerte Verzettelung und Fehlleitung vieler Kräfte und Energien im katholischen publizistischen Raum. Immer noch stecken sich Egoismen ihr Feld ab, immer noch fehlt es an echter Zusammenarbeit und Koordinierung in der Aufteilung der Arbeit, die den einzelnen Organen zukommt. Noch immer wird der Ruf der Stunde nicht verstanden: Alle Mann an Bord! Das Schiff wird nicht untergehen. Wehe uns aber, wenn wir die Besatzung versäumen. Die Vernachlässigung der katholischen Presse durch das katholische Volk kommt einer solchen Desertion gleich. Denn die Presse ist heute der Vorposten, die Wache, der Leuchtturm des Lichtes. Wenn sie durch die Trägheit der Christen untergeht, dann verlischt das letzte weithin sichtbare Zeichen, das, aufgerichtet in einer dunklen Welt, allen Mensdien ein Wegweiser ist zu einem humaneren Leben — in Freiheit, Würde und Gottesfurcht.

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