Die Tante weiß alles

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Benno Meyer-Wehlacks Roman "Ernestine geht": ein Anlass, den Stilisten und eigenwilligen Erzähler wieder zu entdecken.

Der 1928 in Stettin geborene Benno Meyer-Wehlack ist heute allenfalls als Hörspielautor bekannt, von seinen früheren Büchern ist aktuell kein einziges erhältlich. Der schmale Roman "Ernestine geht" könnte ein Anlass sein, den Autor als feinen Stilisten und eigenwilligen Erzähler wieder zu entdecken.

Bruno ist mit Valerija wieder einmal in Wien, um deren uralte Tante zu betreuen. In einer komplizierten zeitlichen Verschachtelung wird im Tod der Tante ihr Leben sichtbar. "Von oben der Wind. Die Posaune des Engels. Aus der Vergangenheit, Oder von der Zukunft her", heißt es gleich zu Beginn. Das zitiert den Benjaminschen Engel der Geschichte und legt damit in dem für Mayer-Wehlacks Prosa typischen abgehackten Erzählstil eine richtige und eine falsche Spur - die NS-Zeit bleibt weitgehend ausgespart.

Was im Blick auf das Leben und den Tod der energischen Frau hingegen sichtbar wird, sind eine Reihe von Familiengeheimnissen und persönlichen Lebenslügen. Ihre bosnischen Wurzeln etwa wird die Tante ein Leben lang sorgfältig verbergen - namentlich vor der ausländischen Hausmeisterin; die Erinnerung an die adeligen Ahnen hingegen ebenso sorgfältig pflegen. Noch in der Monarchie nach Wien gekommen, symbolisiert sie, einsam in ihrer verstaubten, einst gutbürgerlichen Wohnung im 7. Wiener Gemeindebezirk residierend, einen Teil der Geschichte der Stadt, deren Topografie sich Bruno entlang ihrer Lebensspuren erwandert.

"Die Tante weiß alles", zitiert der Autor Doderer, doch sie erzählt vieles nicht. "Zu spät für Revisionen, für andere als die, die sie selbst vorgenommen hat." Sie reagiert unwillig auf Fragen nach dem Verschwinden des eigenen Vaters, dem mysteriösen Tod des Bruders, der Entzweiung mit der Schwester oder dem Ende ihrer Liebesgeschichte im Zweiten Weltkrieg. Sie blieb unverheiratet, erfolgreich als Bankprokuristin, klein, zierlich, zäh und herrisch bis zuletzt.

Im Blick des Erzählers wird Tante Ernestines Tod zum finalen Abschluss einer längst abgelebten Epoche. "Ohne Wert" ist die häufigste Formel im Schätzgutachten zur Verlassenschaft der Ernestine Palter.

Ernestine geht

Roman von Benno Meyer-Wehlack

Verlag Jung und Jung, Salzburg 2003

125 Seiten, geb., e 17,50

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