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Die Trotzkisten des Nationalsozialismus

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Einem jungen Mann wird die Welt, in die er hineingeboren ist, zu eng. Schal erscheint ihm das Leben in seiner Schweizer Heimat. Die Bande der Konvention fühlt er als lästige Fesseln, andere höhere Bindungen fehlen. Als ein Fremder im eigenen Vaterland wandert er durch die Straßen. Widerstreben erfüllt ihn beim Anblick so vieler zufriedener und anscheinend von keiner tieferen Problematik belasteter Menschen, und nur mit Ekel liest er die Nachrichten vom täglichen Zank einer kleinlichen Politik, von Dividenden und Börsenkursen. Eines Tages rückt er aus. In Europa ist Krieg. Freiwillig und im Widerspruch zu den Gesetzen seines Landes zieht der junge Schweizer die feldgraue Uniform eines Nachbarstaates an. An der Front, in der Aug' in Aug' vor dem Tod geschlossenen Kameradschaft, glaubt er jene Werte zu finden, denen er sein ganzes bisheriges junges Leben lang auf verschiedenen Bahnen nachgespürt hat; zuerst auf den Fahrten der Scouts, dann in kleinen iinks-radikalen Zirkeln, später in der Gefolgschaft jener extremistischen Bewegung der anderen Seite, die über die Grenze hinweg auch in den Städten und Dörfern seiner Heimat einen kleinen Kreis von Anhängern gefunden hatte. Doch was nun kommt — die Begegnung der Theorie mit der Praxis —, bringt nur neue Enttäuschungen. Sie lassen den jungen Schweizer einen entschiedenen Trennungsstrich gegenüber dem Nationalsozialismus ziehen, allein die Ideale seiner Jugend erscheinen ihm trotz des gewonnenen Anschauungsunterrichts im alten Glanz. Von allen Schlacken befreit,

will er sie der Welt vorstellen.

Der Fall Arnim Möhler — so der Name des jungen Eidgenossen — verdient Beachtung. Denn er ist kein Einzel ganger. Viele, und man kann sagen nicht immer die schlechtesten jungen Menschen, gingen in der Zeit zwischen den beiden großen Kriegen — vornehmlich in Deutschland, aber auch in Österreich und anderen deutschsprachigen Gebieten — einen ähnlichen Weg. Nur wenige jedoch kamen auf ihm zu einem guten Ende. Der aus seiner gesättigten Umwelt ausgebrochene Sohn des bürgerlichsten Landes Europas steht somit nur am Ende einer langen Reihe. Allein, ihm ist eine Inventur jener Gedanken und Ideologien zu danken, die in vielen Variationen und Abwandlungen eine Generation geformt haben *.

Wie Granaten aus einer verklungenen Schlacht, fein säuberlich auf Regalen geordnet, entschärft, mit Angabe des Ka-

* Arnim Möhler: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 bis 1932. Grundriß ihrer Weltanschaungen. Friedrich-Vorwerk-Verlag, Stuttgart.

Ubers und der Durchschlagskraft: so finden wir sie wieder — die Ideen und Ideologien, die Träume und Wunschbilder, die einst als Sprengstoff gegen die Gesellschaft geschleudert wurden. „Völkisch“, „jungkonservativ“, „nationalrevolutionär“, „bündisch“, „Landvolkbewegung“ —, wer, außer dem Spezialisten für Geistesgeschichte der Zwischenkriegszeit, liest aus diesen Schlüsselworten, aus diesen Chiffren noch lebendige Wirklichkeiten? Und doch, welch himmelstürmende Hoffnungen, welch abgrundtiefe Täuschungen und Enttäuschungen verbergen sich hinter ihnen.

Blenden wir zurück: Zu allen Zeiten und wohl auch in jedem Land hat es so etwas wie ein „Generationsproblem“ gegeben. Jede Jugend meldete ihr Kommen. In Deutschland aber hatte diese Wortmeldung stets etwas von dem „Sturm und Drang“ der Schiller-Zeit. Um die Jahrhunderlwende und vor allem nach 1918 wurde dies wieder einmal besonders deutlich. Mit dem Soldatenmantel war der Krieg und seine Erlebnisse nicht in den Kasten zu hängen. Zurückblickend von der Höhe unserer Tage erscheinen die Erschütterungen des Jahres 1918, verglichen mit denen des Jahres 1945, gering-, allein in den Herzen und Köpfen vieler junger Menschen war die Niederlage von 1918 weitaus „totaler“. Damals war Weltuntergang, nicht 1945! In den Schlägen der Materialschlachten ging die gesicherte Welt des 19. Jahrhunderts in Trümmer. Die Söhne der Bauern und Arbeiter trösteten sich schnell. Die einen kehrten zu ihrem Pflug, auf ihre Höfe zurück — unberührt vom Wandel der Zeit bleibt die Erde —, die anderen waren sogar recht guter Dinge. Noch ein Stoß und dann war der Weg frei zu dem, was Marx gekündet — zum Vaterland aller Werktätigen. Große, grausam betrogene Hoffnung! In den Herzen jener jungen Menschen, die ein sehr allgemeines Schema als „bürgerlich“ einstuft, brannte die Niederlage, emsig waren sie bemüht, die Lehren der Zeit geistig zu verarbeiten. Selbstbestimmungsrecht der Völker, Freiheit, Demokratie, Parlamentarismus — sehr gut! Aber gehörte auch die staatliche Ohnmacht, der Totentanz der Inflation, die schier babylonische Sprachenverwirrung der Politik, die Aufspaltung des Volkes in Klassen und Interessenhaufen dazu? Fragwürdig wurden vielen diese Ideale. Und so begann der große Frontwechsel. Eine Generation machte sich bereit, Abschied von der Freiheit zu nehmen. Leise, immer leiser verklang in der Ferne das Lied, mit dem die Vorfahren Anno 1848 auf die Barrikaden gestiegen: „Freiheit, die ich meine...“ Lenins hartes Wort „Die Freiheit, und was damit anzufangen...“ machte bald auch unter Nichtmarxisten die Runde.

Ja, eine neue Ordnung wollten sie alle setzen an Stelle dessen, was ihnen nur ein Trümmerfeld der Welt von gestern schien, über die Formen dieser neuen Ordnung waren die Meinungen geteilt, einig waren sie nur in dem „Suchen nach Bindung, welches das Suchen nach Freiheit ablöst und das Suchen nach Ganzheit, Einheit, welches von allen Zweiteilungen, Spaltungen wegstrebt“. Hugo von Hofmannsthal ist diese Definition zu danken, er nannte auch den Namen, der für alle diese „kleinen geistig lebendigen Kreise“, „hochexplosiven Sekten“ und „losen Elitezusammenschluß“ zutreffend schien — „Konservative Revolution“* „Konservativ“, weil sie den liberalen Ideen der Französischen Revolution ablehnend gegenüberstanden. „Revolution“, weil sie nicht an eine Restau-

* Hugo v. Hofmannsthal: Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation. Rede, 1927.

ration der politischen Systeme vor 1918, oder gar der Ideen vor 1789 dachten.

Welche Welt aber schwebte den Jungen im Fahrtenhemd, den Freikorpskämpfern vom Annaberg, vielen Denkern im stillen Kämmerlein und Männern der Feder, wie Ernst Jünger, Ernst v. Salo-mon — hier ist die geistige Heimat des Autors des umstrittenen „Fragebogen“ —, aber auch Andre Malraux und Lawrence of Arabia, vor Augen? Es war nicht eine Welt, ec wären viele Welten. Vor jeder aber stand das Zeichen der Negation des Staates von Weimar, die Fehdeansage an die Welt der Väter.

„Zurück zu Wotan und Freya“, riefen jene jetzt mit doppelter Lautstärke, die man bisher als „Völkische“ gekannt, deren Ideen und Vorstellungen aber bisher nur von kleinen Konventikeln ernst genommen wurde. „Rasse“ und „Volk“ waren ihre Lieblings worte. Uber ihre Abgrenzung herrschte keine Einmütig-

keit. Selbst wieder in viele Grüppchen gespalten, stets an der Grenze der Lächerlichkeit stehend, übte diese Gruppe auf junge Menschen verhältnismäßig wenig Anziehungskraft.

Weitaus stärker war die jenes Lagers, das die Fahne des „Jungkonservativismus“ gehißt hatte. Als Theoretiker begegnet man hier neben vielen anderen einem Moeller van der Bruck, einem Freiherrn von Gleichen, einem Edgar J. Jung. Als Ziel erschien eine große mitteleuropäische, vom Deutschtum wesentlich geformte Ordnung. Mit Sehnsucht blickte man zurück — in das Mittelalter. „Das Reich“ sollte neu begründet werden. Nicht mit Gewalt, nicht als Imperium, sondern als freier Zusammenschluß der Völker. Schöner, später Traum der Romantik! Wir haben erfahren, was „Realpolitiker“ aus dieser Idee zu machen imstande sind.

Nicht zum Träumen aufgelegt waren dagegen die Nationalrevolutionäre“. Hier überwog der Typ der Frontsoldaten. Sie lockte keine germanische Vorzeit, auch das Mittelalter galt ihnen wenig. Sie hatten keine Scheu vor der Technik. „In Stahlgewittern“ gereift, wollten sie sich der Welt vorstellen — am liebsten Arm in Arm mit dem Osten.

Auf dem Marsch in eine neue Zeit glaubte sich auch jene Jugend, die mit Laute und Zeltstock auf große Fahrt ging. Hier, bei den Feuern ihrer Lager wollten sie ihre Welt entdecken. In viele Gruppen, Farben und Richtungen geteilt, gehören sie als „bündisch“ der Geschichte an.

Die „L a n d v o 1 k b e w e g u n g“, jener elementare Ausbruch bäuerlicher Kraftreserven in Niedersachsen während der großen Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre, hatte dagegen, weil lokal und zeitmäßig begrenzt, eine geringere Bedeutung. Hans Fallada hat ihr in seinem Roman „Bauern, Bonzen, Bomben“ ein literarisches Denkmal gesetzt,

Ein verwirrend buntes Bild: Arnim Möhler, dessen Darstellung wir weitgehend gefolgt sind, hat schon recht, wenn er freimütig bestätigt, daß Im „Ideologiebrei des Nationalsozialismus neben anderen auch viele Einsprengsel nationalrevolutionärer Bilder und Ge-

dankengänge“ zu finden waren, so daß er deshalb von den Trägern der Konservativen Revolution als von den „Trotzkisten des Nationalsozialismus“ spricht. Das Schicksal von Trotzkisten ist in Diktaturen tragisch. Mögen sich auch die Beziehungen zwischen Konservativer Revolution und Nationalsozialismus vielfach „im Rhythmus Hinneigung, Enttäuschung, Verzweiflung und Aufruhr“ abgewickelt haben — Arnim Möhler weiß selbst ein Lied von der großen Umkehr zu singen —, so gebietet doch die historische Wahrheitssuche, die Verantwortung dieser konservativ - revolutionären Ideen für das, was nachher kam, festzuhalten, Es ist dies freilich keine Verantwortlichkeit im Sinne der Spruchkammern oder der Registrierungsbehörden, sondern vor der Geschichte. Die kleinen, geistig hochstehende Menschen sammelnde Zirkel waren Laboratorien, in denen Dynamit erzeugt wurde. Skrupellose Diebe bemächtigten sich des Sprengstoffes. Bei der Explosion kam dann mehr als ein Erfinder ums Leben. Trotzkistisches Schicksal...

In der Ablehnung dieser historischen Verantwortlichkeit ist der Autor, der so aufgeschlossen und sachkundig durch die Gärten seiner — unserer — Jugend führt, Partei. Um so wichtiger aber erscheint Möhlers Wort, das er über die Beziehun-

gen zwischen dem Christentum und jenen Ideen, die wir unter dem Namen Konservative Revolution kennengelernt haben, spricht. Erinnern wir uns. Nicht wenige Katholiken kamen in der Zeit zwischen den großen Kriegen in Nachbarschaft zu konservativ-revolutionären Ideen, vornehmlich der „Jungkonservativen“. Auch dl* katholische Jugend ver„bündete“ sich, suchte „Neuland“, träumte den Traum vom „heiligen Reich“, das doch nur ein christliches, universales sein könnte. Auch schien der „Feind“, der blinde Fortschrittsglaube von Liberalismus und Marxismus, der Rationalismus des 19. Jahrhunderts, derselbel Philosophen und Soziologen bestätigten dies. Diese gefährlichen Täuschungen zu zerstören, die richtige Frontstellung aufzuzeigen: dafür gebührt Möhler Dank. Der Ausbruch jenes Traditionalismus, „Konservative Revolution“ genannt, richtet sich gegen die Gedankenwelt der Französischen Revolution. Allein, diese wird nur als das verstanden, was sie wirklich ist, als säkularisiertes Christentum. Der

Angriff hielt nicht bei der ersten Linie. Er zielt ins Zentrum. Das Christentum ist der Gegner. Ihm gilt der Angriff der neuen — alten Mythen. Es hieße in die Bereiche der Philosophie eintreten, wollte man alle die Begriffe wie da „zyklische Weltbild“, „der große Mittag“, „die ewige Wiederkunft“, des „Umschlags“, die dem christlichen Weltbild und der Welt des Fortschritts entgegengestellt werden, aus der Gedankenwelt Nietzsches deuten. Hierüber schreibt Arnim Möhler:

„Die mit Nietzsches Namen bezeichnete Bewegung, die sich gegen jene Säkularisationsformen des Christentums richtet und uns in ihrem tiefsten Grunde gegen das christliche Weltbild überhaupt gerichtet zu sein scheint, fassen wir unter dem Namen .Konservative Revolution' zusammen... Dabei übersehen wir natürlich nicht, daß sich in ihr noch mannigfache christliche Elemente finden. Ein neues Weltbild steht nicht auf einem Schlag fertig ausgebildet da, sondern die Ablösung vom bisherigen vollzieht sich in vielfältigen Stufungen und auch zeitweise in rückläufigen Bewegungen.

Auf jeden Fall scheinen sich uns die m deutlicher Minderheit befindlichen Fälle innerhalb der .Konservativen Revolution', wo ein betont christlicher Standpunkt bezogen wird, bei näherer Betrachtung gerade als ein Zerreiben der ursprünglichen christlichen Haltung herauszustellen.., (S. 206 ff.)“

Eine geistesgeschichtliche Untersuchung ohne Rückschlüsse auf die Gegenwart, ohne Beziehungen zu der geistigen und politischen Entwicklung unserer Zeit? Wäre sie es doch. Allein die Tatsachen liegen anders. Der Sehnsucht nach Freiheit in der nationalsozialistischen Zeit, den Hoffnungen des Jahres 1945 ist — wer darf es übersehen — eine Depression gefolgt. Viele junge Menschen aber lösen sich gerade in der Gegenwart aus Lethargie und Nachkriegsmüdigkeit. Aufmerksam halten sie Ausschau. Die Freiheit aber läuft wieder Gefahr, zu einem blutleeren Phantom zu werden. Langsam steigen die Nebel... Sie dürfen diesmal nicht den Blick für den Kreuzweg trüben!

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