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Die unsterblichen Kreuzritter

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Seit nun sechs Wochen drängen sich unübersehbare Scharen vor den polnischen Kinos, wo ein Spitzenfilm der heimischen Produktion läuft: „Die Kreuzritter.“ Dieser Film, den bisher an die drei Millionen Zuschauer gesehen haben, also etwa die Hälfte der dem Alter nach zu seinem Verständnis befähigten Bewohner der polnischen Großstädte und Mittelstädte, ist eben ein mit raffinierten künstlerischen Mitteln arbeitendes

Propagandainstrument, das nach der Absicht seiner Hersteller einen doppelten Zweck verfolgt: dem an seiner Vergangenheit hängenden und bis tief hinab in Proletariat und Bauernschaft ge-schichtskundigen polnischen Volk den Haß gegen die Deutschen — das wird offen gezeigt — und den Abscheu vor einer die religiösen Gefühle mißbrauchenden, mit den grausamen, heuchlerischen, zynischen Rittermönchen verbündeten Form des Katholizismus einzubläuen.

Ist es gut, daß sich Nationen so eindringlich ihrer Vergangenheit erinnern, zumal wenn sie in der feindseligsten Tendenz dargestellt wird? Davon, daß bei den Kreuzrittern Standesgenossen aus ganz Europa kämpften, während die deutschen Stadtbürger und die kleinen weltlichen Ritter deutscher Abkunft es mit Polen gegen den Orden hielten, wird in den summarischen Geschichtsklitterungen beider Teile nicht 'oder nur nebenhin gesprochen. Auch davon nicht, daß der letzte geistliche Hochmeister, der zur Reformation überging und ein erbliches Herzogtum Preußen begründete, zwar väterlicherseits ein Hohenzoller, von der Mutter her aber ein polnischer Jagellone war, Nachkomme des Siegers von Grunwald, und daß es überhaupt verfehlt ist, in die aus dynastischen und sozialen Gegensätzen entstandenen Kriege einer entlegenen Zeit nationale Motive von heute hineinzutragen. Doch es handelt sich ja nicht um historische Genauigkeit, sondern um die politische Wirkung auf die Heutigen, und diese ist verhängnisvoll. Das deutsch-polnische Verhältnis verschlimmert sich immer mehr.

Zu den beiden permanenten Ursachen — dem Ressentiment der deutschen Heimatvertriebenen und der die Okkupation durch Hitler-Deutschland samt allen deren Schrecken nicht vergessenden Polen, dann dem Streit um die Oder-Neiße-Grenze — gesellen sich sehr konkrete und sehr aktuelle neue Gründe. In Westdeutschland sind die unversöhnlichen Polenfeinde durch zwei parallele Entwicklungen ungemein beunruhigt und sie suchen ihnen zuvorzukommen. Man weiß, daß sich bei den führenden NATO-Mäch-ten die Neigung immer mehr verstärkt, die derzeitigen faktischen Hoheitsverhältnisse im Raum zwischen Ostsee und Beskiden anzuerkennen und daß in dieser Hinsicht auf Bonn ein sanfter Druck ausgeübt wird, er werde offiziell geleugnet oder nicht. Dieser Druck nun, so meinen die erwähnten deutschen Kreise, werde sich unter Kennedy noch vermehren, in dessen Umgebung die polenfreundlichen Einflüsse notorisch sind. So ist zum Beispiel eine seiner Schwägerinnen mit dem Fürsten Stanislaw Radziwill verheiratet, dem Leiter des Londoner Sikorski-Instituts, der sich während der Wahlkampagne sehr eifrig und bei der Millionen zählenden amerikanischen Po-lonia erfolgreich für den demokratischen Kandidaten einsetzte. Daß de Gaulle für die Oder-Neiße-Grenze gewonnen ist, wurde wiederholt deutlich erklärt. Aber auch in London hindert die in den letztftTW3(ftr biernerMare Annäherung an die Bundesrepublik keineswegs, daß Konservative wie Labour den gegenwärtigen faktischen territorialen Zustand zwischen Deutschland und Polen nicht zu verändern wünschen.

ADENAUERS ORDENSMANTEL

Paradoxerweise, doch für den tieferen Einblick Besitzenden nicht überraschend, mangelt es dagegen in Polen nicht an Besorgnissen, die allerdings nirgends öffentlich laut werden dürfen. Dort verfolgt man mit Unbehagen die Anzeichen einer Entspannung zwischen Moskau und Bonn einerseits, den sowjetisch-chinesischen Familienzwist anderseits. Während in Warschau Adenauer weiterhin als eine neue Inkarnation des Kreuzrittertums befehdet und geschmäht wird, während die dortigen Zeitungen täglich mit Meldungen über deutsche Aggressionsabsichten angefüllt sind — Bildnisse des deutschen Bundeskanzlers im weißen Mantel des Deutschen Ordens gehören zu den wirkendsten Hilfsmitteln der amtlichen Propaganda Gomulkas —, ist es in Moskau weit stiller um die schwarzen Pläne des angeblichen Vermächtnisträgers der Hochmeister geworden. Die, wie schon gesagt, sehr geschichtskundigen Polen denken aber stets daran, daß jede deutsch-russische Verständigung sich bisher auf polnische Kosten vollzogen hat und sie sind, national fühlende Kommunisten inbegriffen, davon durchdrungen, daß eine — ob-zwar derzeit noch in nebeliger Ferne liegende — Entspannung zwischen Moskau und Bonn wiederum Polen als Geschädigten sehen könnte.

Das bezieht sich freilich weniger auf ein Näherrücken Chruschtschows und Adenauers als auf zukünftige Perspektiven. Zu Nikita Sergeje-witsch haben die maßgebenden polnischen Sphären, nicht nur die Kommunisten, ein gewisses Zutrauen. Viel weniger verlassen sie sich auf Chruschtschows hypothetische Nachfolger, von denen einige als nicht allzu polenfreundlich gelten. Darum erschreckt man in Warschau bei jeder Nachricht über innenpolitische Schwierigkeiten des sowjetischen Ministerpräsidenten oder über Verschärfungen der Meinungsverschiedenheiten der UdSSR mit China. Es ist kein Geheimnis, daß sich Gomulka in dem ihm gezogenen, notwendigerweise engen Rahmen bemüht, ausgleichend und vermittelnd zwischen dem Kreml und Peking zu wirken. In die Diskussion innerhalb der Parteiführung der KP der Sowjetunion kann sich der polnische Erste Sekretär dagegen nicht einmengen, und es bleibt ihm, wie seinen Freunden, nur die Hoffnung, daß sich Chruschtschow im Sattel behaupten möge, wozu nach Ansicht der Gomulka-Leute alle Aussicht besteht.

MENSCHEN DIESSEITS UND JENSEITS

Müssen wir das Bild der gegenwärtigen deutsch-polnischen Beziehungen einzig mit düsteren Aspekten schließen? Viel Anlaß zu Optimismus ist vorläufig nicht vorhanden. Wenn in Deutschland, was nicht so häufig ist, freundliche Stimmen über die umstrittene Grenze nach Polen schallen, wie etwa die edle Rede Kardinal Döpfners, dann ist das Echo in katholischen Kreisen schwach. Man notiert nur eifrig jede Stimme — wie die Jaspers' —, die formell für Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, oder gegen die westdeutsche Aufrüstung ertönt. Daß ebendiese Aufrüstung, die ständigen Tagungen der Heimatvertriebenen und der offiziell starr verfochtene intransigente Standpunkt in der Grenzfrage die an sich zur Verständigung bereiten Polen außerhalb der engsten kommunistischen oder altnationalistischen Sphären kopfscheu und zur leichten Beute der antideutschen Propaganda macht, davon erfahren anderseits die zur Aussöhnung gewillten Deutschen nichts oder nur wenig.

Einziger Lichtblick aber ist folgende, nicht zu unterschätzende Tatsache: In unserer Zeit sind polnische Besuche in Westdeutschland, westdeutsche in Polen zwar nicht so häufig, wie man es wünschen müßte, doch nicht selten. Die jeweils in ihr Vaterland Zurückreisenden sind nun ausnahmslos des Lobes voll über die freundliche, ja herzliche Aufnahme, die sie beim vermeinten Erbfeind gefunden haben. Mir ist kein einziger Fall bekannt, daß hüben oder drüben ein Gast aus dem „bösen“ Nachbarvolk auf chauvinistische Ausbrüche oder auch nur auf grobe, ablehnende Behandlung gestoßen wäre. Man ist beiderseits überrascht, erstaunt, daß — wie der polnische Dichter Mickiewicz im Nationalepos „Pan Tadeusz“ sagt — „auch die Deutschen Menschen sind“ oder daß, was den in Deutschland verbreiteten Vorstellungen von polnischer Wirtschaft und Minderwertigkeit stracks zuwiderläuft, Polen unter schwierigsten Verhältnissen seine hohe geistige Kultur und seine innere Freiheit bewahrt, daß es mit ungeheurem Fleiß und großer Tüchtigkeit Wiederaufbau und Neuaufbau betreibt.

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