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Die Veränderungen der Umwelt registrieren...

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Sein erster, der „Geometrische Heimatroman“, ist 1969 bei Suhrkamp erschienen, die „Glashausbesichtigung“ erst vor. wenigen Tagen („Furche“-Buchbesprechung auf Seite 14): Gert F. Jonke, 1946 in Klagenfurt geboren, wird seit dem durchschlagenden Erfolg seines ersten Buches mit Großangeboten und -auftragen von Verlagen und Rundfunkanstalten überhäuft. Freilich ohne, daß er, der junge „Autor“ und nicht etwa „Dichter oder Romancier oder sonst etwas“, sich vom bundesdeutschen Literatur-Showbusineß hatte „vermarkten“ lassen. Er hat das Aufsehen, das der „Heimatroman“ bei der Kritik und den Kollegen (vor allem im Rahmen der Jugendkulturwoche 1969 in Innsbruck) erregte, recht gelassen hingenommen. Er weiß, daß „konsequente Arbeit nun einmal ihre Entwicklungszeit braucht, und daß eine literarische Parforce-Erfolgsjagd zu nichts führt“. Ein bemerkenswerter Standpunkt für einen knapp 24jährigen, der über Nacht ins Geschäft eingestiegen ist, dabei aber dennoch weder aufs „unkonventionelle Trampen durch die Welt“ verzichten will noch auf seine hundert skurrilen Einfälle vor allem, wenn's darum geht, „Verzopften eins auszuwischen“.

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Sein erster, der „Geometrische Heimatroman“, ist 1969 bei Suhrkamp erschienen, die „Glashausbesichtigung“ erst vor. wenigen Tagen („Furche“-Buchbesprechung auf Seite 14): Gert F. Jonke, 1946 in Klagenfurt geboren, wird seit dem durchschlagenden Erfolg seines ersten Buches mit Großangeboten und -auftragen von Verlagen und Rundfunkanstalten überhäuft. Freilich ohne, daß er, der junge „Autor“ und nicht etwa „Dichter oder Romancier oder sonst etwas“, sich vom bundesdeutschen Literatur-Showbusineß hatte „vermarkten“ lassen. Er hat das Aufsehen, das der „Heimatroman“ bei der Kritik und den Kollegen (vor allem im Rahmen der Jugendkulturwoche 1969 in Innsbruck) erregte, recht gelassen hingenommen. Er weiß, daß „konsequente Arbeit nun einmal ihre Entwicklungszeit braucht, und daß eine literarische Parforce-Erfolgsjagd zu nichts führt“. Ein bemerkenswerter Standpunkt für einen knapp 24jährigen, der über Nacht ins Geschäft eingestiegen ist, dabei aber dennoch weder aufs „unkonventionelle Trampen durch die Welt“ verzichten will noch auf seine hundert skurrilen Einfälle vor allem, wenn's darum geht, „Verzopften eins auszuwischen“.

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Überhaupt hatten und haben Reisen für seine Arbeiten ni-nente Bedeutung: 1967 in der Türkei, in Persien und Afghanistan etwa, entstanden, lokal inspiriert, die ersten Entwürfe zum „Heimatroman“, rund ein Drittel des Bandes als Tagebuch. Angefangen hat's 1961. Er schrieb Gedichte, „hübsche, brave Poesie“, der er bald einen „Schuß Fludium ä la Ungaretti, bald ä la Bachmann“ injizierte. Kafkas Parabeln, dessen knapp Art zu formulieren, fesselten, den 16jäh-rigen und haben ihn — was Satzstruktur und Reduktion betrifft — bis heute nicht ganz losgelassen. 1966 stieß er auf den „nouveau roman“, dann begeisterten ihn Pop-Arts kapriziös-plakative Verführungskünste.

„Wichtig waren für mich indes jeweils nur die technischen Verfahren. Und dann die Frage, wieweit der Mensch von den ihm umgebenden Gegenständen abhängig ist“ (Eine ähnliche Fragestellung hat übrigens auch Jonkes Freund Peter Matejka mehrmals als Ausgangspunkt für seine Sprachetüden gewählt.) „Bisher hat man meist die menschliche Umwelt des Künstlers, das Milieu, als einzigen Faktor erkannt Ich finde, auch Gegenstände spielen und formen entscheidend mit.“ Seine Sujets? „Mögliche Gesell-schaftsmodelle. In der .Glashausbesichtigung' etwa, wie Leute unter verschiedenen Umständen leben, von Gegenständen und ihrem Funktionieren abhängen.“ Am radikalsten hat er dies übrigens in seinem 20-Minuten-Lichtbildervortrag „Jörgerstraße-Hernalsergürtel: Ein Einzelschicksal“ darzustellen versucht: „In einer Montage all der Streiche, die das Gedächtnis einem alten Mann spielen kann.“ Jonke hat da mit exakten Lageplänen, Skizzen, Diapositiven, Texten, Musik gearbeitet, um gerade durch minuziöse Darstellung von Einzelfakten die Verstrickung im Milieu der umgebenden Einzelobjekte zu suggerieren.

Inspirationsquellen nennt Jonke eine ganze Reihe: „Volkslieder, zum Beispiel... musikalische Formen spielen in meinen Romanen mit eine Rolle. Die Rondoform mit eingeblendeten Intermezzi etwa im Heimatroman...“ (Jonke hat übrigens zehn Jahre lang intensiv Klavier studiert, wollte Pianist werden). Oder: „Wiener Verbotstafeln und Stra-ßenverkehrsschilder'Y die er manchmal sogar wörtlich zitiert. Technisch bearbeitet er allerdings diese Details so, daß sie durch extreme Scharfzeichnung bei möglichst geringer Distanz des Betrachters für diesen schon quasi verschwimmen, ja manchmal sogar selbst für den Autor unkenntlich werden. Daß er übrigens manchmal auch sou- und surreale Elemente einfließen läßt, erklärt er lediglich als „Poetisierung“, um den Leser auch ein wenig abzulenken. Ihren ursprünglichen Informationswert büßen diese Textfragmente dabei natürlich ein; sie werden häufig in satirisch-kritische Zusammenhänge gerückt, nehmen bei dieser Prozedur mitunter sogar — wenn notwendig — „esoterisch-verschlüsselten Charakter an, um um so .poetischer' zu wirken... Man erzielt damit leichter eine Veränderung der Vorstellungen des Lesers und seiner trägen Denkmasse...“

Bis zur Lautzertrümmerung ist Jonke noch nicht vorgestoßen. Indes sieht er die Probleme bereits auf sich zukommen. Vor allem dank einiger Hörspielaufträge des WDR und des Bayrischen Rundfunks, die sich nach dem Erfolg seiner Rundfunkfassung des Kapitels „Der Dorfplatz“ aus dem „Heimatroman“ (beim Süddeutschen Rundfunk) „Jungautor Jonke nicht entgehen lassen wollten“.

Sujets für seine Hörspiele? „Sie müssen in erster Linie akustisch verwendbar, akustisch gedacht sein. Dementsprechend kann man sie wählen. Am brauchbarsten: ein Situationsmodell. Zum Beispiel: Das Leben in einem Haus, vor einem Haus, weit entfernt von jeder Bedrohung, bei ständiger Verbesserung der Situation. Nur eine einzige Sorge stört, daß nämlich — als Grenzfall — die Mauer, hinter der man sicher lebt, zerstört werden könnte.“

Handlung und geradlinige Entwicklungen spielen dabei kaum eine Rolle, nur „die Veränderung, die von außen kommt, meist unmerklich, eine Veränderung, die die eigene statische Situation langsam unterminiert“. Kernproblem ist es, immer wieder die von außen wirkende Veränderung seismographisch festzustellen und zu vermitteln. Einmal mit sprachlich-akustischen Mitteln, das andere Mal mit optisch gestalteten Lesetexten. Den Orten dieser Handlungen kommt in Jonkes Texten kein Symbol wert zu: „Auch mein .Glashaus' soll nichts anderes sein als ein Strukturmodell, das mit bestimmten Verhaltensformen und Reaktionen der Menschen auf ihre Umgebung untrennbar zusammenhängt.“

Die Frage, ob Jonke ein Theaterstück schreiben möchte, drängte sich auf: „Am liebsten ein filmisch aufgelöstes Wüdweststück“, schwärmte er vor ein paar Monaten, „vielleicht in einer Art Cartoon oder Comic-Strip-Verfahren ... Eines, wo man mit Sprachklischees und genormten Theatergesten gründlich aufräumen kann.“ Seither? ... Wer weiß, vielleicht hat er jetzt, in der BRD, schon ein fast fertiges in der Schreibtischlade.

Karlheinz Roschitz

P. S. In der Gesellschaft für Literatur und in der Klagenfurter Galerie Heide Hüdebrand wird Jonke demnächst aus seinem eben fertiggestellten Band „Musikstücke“ lesen. (Nebenstehende Texte stammen aus den Skizzen zum Roman „Glashausbesichtigung“; „Herbst“ wird hier erstmals veröffentlicht).

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