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Die Vergangenheit lebt fort

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LIEBLICH, WOHLTUEND GRÜN Ist-die Landschaft, die man auf der Fahrt von Belgrad nach Süden durchquert. Vereinzelte Landhäuser, auch Villen, vor dem Krieg von begüterten Städtern errichtet, säumen die Asphaltstraße, bieten dem Auge willkommene Abwechslung. Dann und wann ein alter türkischer Brunnen, um den sich Bäuerinnen mit Obstkörben gelagert haben, deren köstlichen Inhalt sie den Vorbeikommenden zum Kauf anbieten. Die Insassen der zahlreichen ausländischen Limousinen, die uns in rasender Fahrt überholen, scheinen aber dafür kein Interesse zu haben. Sie kennen meist nur ein Ziel: Griechenland.

In Kragujevac verlassen wir die „Autobahn in Richtung Westen, und sind dem Touristenverkehr plötzlich entronnen. Die Straße, nun merklich schlechter geworden, führt durch die Sumadija, das fruchtbare Herzstück Serbiens, in der Geschichte immer wieder Zentrum des Widerstandes gegen zahlreiche Feinde. Im letzten Krieg entstanden hier die ersten Partisanenverbände. An einem einzigen Tag wurden 1941 allein in Kraigujevac 7000 Menschen, darunter viele Frauen und Schüler, ein Viertel der Einwohnerschaft, von den Okkupanten erschossen. Kral-jevo, die nächste größere Stadt ist Zeugnis der fortschreitenden Industrialisierung: moderne Fabriken, schmucke Arbeitersiedlungen. Am Stadtrand reiht sich Denkmal an Denkmal, zum Gedenken an die Opfer der jüngsten Vergangenheit.

ERNST UND VERSCHLOSSEN SCHEINEN die Menschen. Viele der älteren Männer tragen als Kopfbedeckung die „Sajkaca“ , die Mütze der alten serbischen Armee, äußeres Zeichen einer Tradition, die aus Erfahrung keinen Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen kennt. So mancher, den wir in mangelhafter Sprachkenntnis um Auskunft fragen, antwortet korrekt, aber nicht eben freundlich, nachdem er einen Blick auf unser Kennzeichen geworfen hat.

Nach Jkraljevo wird das Gelände bergiger. Die Straße windet sich in unübersichtlichen Kurven den Ibar-Fluß entlang. Immer wieder durchstößt sie in kleinen, unbeleuchteten Tunnels die Felsen, die die Talsohle verengen. Die Vegetation nimmt zusehends ab. Disteln, Symbol der Dürre, ersetzen die Blumen am Straßenrand. Da haben Bauern mit Steinen und Reisig einen Damm im Flußbett improvisiert, um die spärlichen Maispflanzungen kultivieren zu können. Das aufgestaute Wasser treibt riesige, altertümlich anmutende Wasserräder, die das fruchtbringende Naß auf die Felder pumpen. Eine Schafherde trottet, getrieben von einer alten Bauersfrau, die, einen Rocken in der Hand, während des Gehens emsig Wolle verspinnt. Die Dämmerung bricht herein. Gespenstisch leuchten im Schein der untergehenden Sonne die gewaltigen Ruinen der alten Feste Maglic, auf einem talbeherrschenden Felsen ragend. Noch wenige Kilometer, dann ist das Dorf Usce erreicht.

Im einzigen Gasthof finden wir saubere, wenn auch primitive Unterkunft. Modern aufgefaßte Darstellungen aus der serbischen Ritterzeit zieren die Wände des frisch getünchten Speisesaals. Während uns der höfliche Kellner zwiebelduftende Raznici serviert, werden wir von den einheimischen Gästen aus finsteren Augenwinkeln verstohlen beobachtet. Mittlerweile hat der Ortspolizist vor dem Haus neben unserem Auto Posten bezogen. Wir wundern uns über die Aufmerksamkeit, der Grund hierfür bleibt uns vorderhand verborgen.

FRÜHMORGENS, DIE SONNE BLINZELT eben über die umliegenden Bergkuppen, brechen wir zum Besuch des nahegelegenen orthodoxen Klosters Studenica auf. Nach elf Kilometern steinig-staubiger Bergstraße taucht, inmitten von dichtem Mischwald, das mauerumfriedete Kleinod mittelalterlicher Baukunst auf. Drei Kirchen beherbergt die Anlage, deren größte, der Gottesmutter geweiht, im Jahre 1185 von Stevan Nemanja als byzantinische Kuppelbasilika unter Verwendung romanischer Stilelemente erbaut wurde.

Der Vater Stevans, Zupan — Gaugraf — der Raska, wie die Gegend damals genannt wurde, hatte in die Zeta, das heutige Montenegro, flüchten müssen, wo der Sohn katholisch getauft und erzogen wurde. Herangewachsen, kehrte dieser mit Unterstützung des byzantinischen Kaisers Manuel in die heimatliche Herrschaft zurück und gewann durch Übertritt zur Orthodoxie bald das Vertrauen der Bevölkerung. Das der Geistlichkeit erwarb er mit zahlreichen Kirchen- und Klostengründüngen. Zugleich schuf er damit die Grundlagen zum kulturellen und staatlichen Aufbau Serbiens, dessen Bewohner bis dahin in loser Familiengenossenschaft ohne nationalen Zusammenhalt gelebt hatten. Zum Großzupan erwählt, lavierte er geschickt zwischen den ungarischen Königen und Byzanz, und einigte, oft im Kampf gegen die eigene Sippe,“ das“ ganze“ Land“ zwischen Morava und Skutari-See. Freilich war er, den damaligen Gepflogenheiten entsprechend, in der Methode oftmals nicht gerade wählerisch. Martern und Blendung drohten seinen Gegnern. Das eben aufgekommene Sektierertum der Bogu-milen rottete er auf diese Weise blutig aus. 1189 traf Nemanja in Nis mit Friedrich Barbarossa, der den dritten Kreuzzug anführte, zusammen, und trug ihm die Vasallenschaft an. Fast wäre es zu einem für die Zukunft Serbiens und des ganzen Balkan entscheidenden Anschluß an den Westen gekommen.

Doch der Kaiser lehnte ab, wohl, weil er es sich nicht mit den Byzantinern verderben wollte. Gegen Ende seines Lebens zog sich Nemanja, der sich seiner Sünden wegen sehr vor dem Jüngsten Gericht gefürchtet haben soll, als einfacher Mönch „Simeon für zwei Jahre in seine Lieblingsgründung Studenica zurück. Gestorben ist er dann im Kloster Ohilandar auf dem Berge Athos. Seine Söhne Stevan — der erste serbische König — und Sava — der spätere Nationalheilige — ließen den Leichnam in Studenica beisetzen.

WEIT UND BREIT IST KEIN Mensch zu sehen, als wir die Muttergotteskirche betreten. Mystisch leuchten im Zwielicht die Fresken, die über und über die Wände des Kirchenschiffs bedecken. Die mit Linderaholzschnitzereien gekrönte Ikonenwand trennt uns vom Altarraum in der Apsis, aus der leise die Gebte murmelnde Stimme eines Geistlichen dringt. Stumm betrachten wir die Wandmalereien, die, im Laufe der Jahrhunderte von Stümpern überpinselt, ja sogar durch Hammerschläge beschädigt, vor einigen Jahren freigelegt und restauriert worden sind. Besonders die Darstellung des Tempelganges Mariens fesselt, überliefert sie doch die schöne Tracht der serbischen Hofdamen des ausgehenden Mittelalters.

Da öffnet sich plötzlich die Tür in der Ikonöstasis, und, von den eindringenden Sonnenstrahlen beleuchtet, glauben wir Christus vor uns zu sehen: ein hochgewachsener junger Priester mit rötlichem, bis zu den Schultern herabfallendem Haar, uns das Allerheiligste entgegenhaltend, segnend. Zugleich, wie aus dem Jenseits, erdröhnt, ohne daß wir die Sänger sehen können, der altslawische Choral „Gospodin pomiluj!“ . Die Stimmen einfacher Bauern sind es, die da polyphon zu Ehren Gottes erklingen, in dieser Einsamkeit überwältigend eindrucksvoll. Müde geworden, setze ich mich, mangels anderer Gelegenheit, auf einen Steinquader. Sofort erscheint ein spindeldürrer Mönch mit einem Sessel, den er mir wortlos anbietet. Später“ erfahre“ ich,“ daß ich“ ein Sakrileg begangen habe: ich saß auf dem Sarkophag des Klostergründers. Als der Mönch uns das nach Ende des Gottesdienstes erklärt, entschuldigen wir uns bestürzt. Er akzeptiert freundlich, führt uns zu den weiteren Sehenswürdigkeiten. In der Vorhalle der Kirche ist ein kleines Museum untergebracht, in dem ein Teil des Kirchenschatzes ausgestellt ist: kostbare Kelche, perlenbestickte Stolen, Inkunabeln, der Schutzbrief — Ferman — eines türkischen Sultans, und auch ein solcher, in Deutsch abgefaßter, aus dem Jahre 1717. Schutz vor Plünde rung und Brandschatzung wird da dem Kloster zugesichert, gegeben im Hauptquartier vor Belgrad, gezeichnet mit „Principe Eugenio di Savoia“ . So weit, fernes Österreich, reichte einstmals dein mächtiger Arm...

VOM STAATE GEDULDET, FRISTEN die Mönche ihr Leben, intensiv den ihnen noch verbliebenen kleinen Grundbesitz bebauend. Mit Sensen und Sicheln bewaffnet, begeben sie sich gerade zur Arbeit, während wir die Rückfahrt zum Ibartal antreten.

Im Gasthof von Usöe verzehren wir dann das Frühstück, noch immer unter dem Eindruck des eben erlebten klösterlichen Asketentums. Auf dem Weg zum Auto werden wir von zwei intellektuell aussehenden jungen Männern, augenscheinlich Studenten, die auf der Bank unter einer Platane sitzen, auffallend fixiert. Wir öffnen die Wagentüren. Da ruft der eine laut und deutlich in unserer Sprache herüber: „Ihr seid deutsche Schweine!

Empörung und traurige Enttäuschung überkommen mich zugleich, ich spüre, wie sich mir der Magen krampft. Ich möchte hingehen zu dem Mann, ihm sagen, daß wir doch endlich aufhören sollten mit den Reminiszenzen an das Böse der Vergangenheit, daß wir uns doch die Hand reichen sollten, von Mensch zu Mensch, vergebend. Doch dann siegt die Gleichgültigkeit in mir, und der innere Feigling. Ich steige ein und drehe den Startschlüssel.

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