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Die Vergessenen

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Ei war ganz stille in der schmucklosen Kammer. Man hörte nur die schweren Atemzüge des sterbenden Mönchs, der auf dürftigem Bettgestell in seinem türkischen Bauerngewand dahingestreckt lag. Dazwischen zuweilen die Stimme des Windes, wenn er von den Karsthängen der Planina herabkam und klagend durch die Dachsparren strich, als wollte er beweinen, daß dieser treue Sohn des Heiligen von Assisi sich anschickte, seine armselige Umgebung zu verlassen und von seiner kleinen Herde für immer Abschied zu nehmen. In der Tat, alles in dem kleinen Räume verriet Entbehrung und die Unwirtlichkeit der Wildnis, die aus den Urwaldschluchten der herzegowinischen Bergwelt in die Behausung dieses einsamen Priesters einzudringen schien.

Nein. Er war nicht einsam. Die Augen des Sterbenden waren auf das Holzkreuz in seinen gefalteten Händen geheftet. Er hielt noch stumme Zwiesprach mit Gott. Sein Leben zog vor ihm vorbei, dem es zur Aufgabe gesetzt gewesen war, ein in den Bergen verstreutes Häuflein katholischer Christen 2u führen und durch Wort und Beispiel, wenn Gott die Gnade dazu gebe, unter der Uberzahl der umwohnenden Türken und Schismatiker dem katholischen • Glauben Seelen zu gewinnen. Das Erdreich, das er zu bebauen hatte, war steinig gewesen, wie der dürre Karstboden ringsum. Das seit mehr als dreieinhalbhundert Jahren unter türkischer Herrschaft stehende Land hatte bisher mehr schlechte als gute Valis an der Spitze seiner Verwaltung gesehen, Zeiten härtester Bedrückung und Glaubensverfol-guhg erlebt. So war es eine spärliche Ernte geworden, die er, der Franziskanerpater, in seine Scheuer gebracht hatte. In Armut und Verlassenheit, weitab von seinen Mitbrüdern, mit dem Brevier und einigen halbzerlesenen geistlichen Büchern als einziger Gesellschaft, hatte er seine Jahre hingebracht. Nicht einmal das Kleid des Heiligen von Assisi, dem er sich angelobt, durfte er in dieser Umwelt tragen: sein einziger Titel, den er je empfing, war „Onkel“. Ja, er hatte seine kleine Herde beisammenhalten, aber nicht eine einzige Seele dazugewinnen können. Ein Streiter Christi, der nicht einen einzigen Schritt Böden erobert hatte, einer, von dem die Ordensgeschichte, das kostbare Ehrenbuch monasti-scher und missionarischer Großtaten, nichts zu berichten wissen würde. Denn es würde sich nicht verlohnen, das Selbstverständliche zu vermerken, daß er seine Pflicht getan. Er war nur ein bescheidener Arbeiter gewesen, der in einem entsagungsvollen Dienste seine Lebenskräfte Gott dargebracht hatte, im Leben ein der Welt Unbekannter, im Sterben ein spurlos von den Menschen Vergessener. Könnte es geschehen, daß auch Gott seiner vergäße? '

Die Augen des Sterbenden, die zuweilen suchend in die Weite gegangen waren, kehrten zu dem Kreuzbilde zutück. Es strahlte aus ihnen ein seliger Glanz Von den Lippen des Erlösers hatte er eine beglückende Gewißheit empfangen. Der Schimmer in den Augen war schon der Widerschein der leuchtenden Krone, die jetzt den Getreuen erwartete... s x

Das Schicksal eines Einzelnen . .. Und zu manchen Zeiten das Spiegelbild der Schicksale seines ganzen Ordens in diesem Lande, eines demütigen schmerzensreichen, nur von Gott in vollem Maße abwägbaren Wirkens.

Um 1340 war die „Vicaria Bosna“ des Franziskanerordens gegründet worden, vornehmlich mit der ' Mission, in Bosnien-Herzegowina der bedrohlich um sich greifenden Bogumilensekte entgegenzutreten, die mit gnostischen Irrlehren das Land verheerte. Sie leugnete die Erlösertat Christi und alle Sakramente und verbreitete eine sittliche Ungebundenheit. die am meisten den Reichen und Gewalthabern schmeichelte. Die Axt war an die Wurzeln des Christentums gelegt. — Von acht Custodien aus suchten die Franziskaner, nicht achtend der bösartigen Widersacher, ihre Aufgabe zu bewältigen. Die dämonischen Kräfte waren stärker als sie. Die Sekte wurde von ihnen nicht besiegt, nicht einmal ernstlich zurückgedrängt. Erst der Einbruch des Islam nach Bosnien machte dem Bogumilentum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Ende. Mit Mann und Maus, dem bogumi-listen Adel an der Spitze, versank die Sekte im Islam. Nur einige seltsame Grabsteine sind von ihr übriggeblieben.

Vor neue Herren, noch gewalttägigere, sah sich jetzt der Orden in Bosnien-

Herzegowina gestellt. Durch drei Jahrhunderte wogten fortan, nur von kurzen Pausen unterbrochen, die Verfolgungen unter der türkischen Herrschaft auf und ab. 32 Konvente, ihre Kirchen und Pfarrwohnungen wurden dem Erdboden gleichgemacht. In tiefen Wäldern, in den Ruinen verbrannter Gehöfte, in sdiwerzugänglichen Hirtenbehausungen des Hochgebirges hatten die Glaubensboten ihre Verstecke, bemüht, den Rest der Gläubigen standhaft zu erhalten. Franziskaner waren die einzigen katholischen Seelenhirten im Lande. Sie konnten es mit all ihrer Tapferkeit nicht verhindern, daß im Jahre 1793 die katholische Bevölkerung von ganz Bosnien-Herzegowina auf 81.426 Seelen zusammengeschmolzen war. Erst im '19. Jahrhundert, da die Glaubensverfolgungen langsam verebbten, die Ordensbrüder, durch neue Fermane der Sultane geschützt, ihre Verstecke verlassen konnten, begann um die zerstörten, notdürftig wiederhergestellten Kirchen wieder neues Leben zu blühen. Um 1850 war die Zahl der Katholiken auf über 130.00C gestiegen. Aber noch der Bericht des österreichischen „Maria-Empfängnis-Vereines zur Unterstützung der Katholiken im Türkischen Reiche und im Orient“ über das Jahr 1859 verzeichnet die Mitteilung des Apostolischen Vikars P. Marianus Sunsic O. F. M., daß im ganzen Lande nicht mehr als 16 Kirchen und vier Oratorien — die meisten erst im Bau — bestehen, die 12.000 Katholiken des Bezirkes Bihac überhaupt keine Kirche haben. „Was man dort Kapellen nennt, sind 'armselige Holzhütten, vor denen die Bevölkerung der hl. Messe unter freiem Himmel bei jeder Witterung beizuwohnen hat. Das einzige zur Verfügung stehende Meßkleid muß von Ortschaft zu Ortschaft getragen werden und zerfällt durch langjährigen Gebrauch beinahe in Fetzen. Auch das einzige vorhandene Kreuz muß jedesmal an den Ort getragen werden, wo ein Gottesdienst sattfindet.“

In solcher Not haben die Söhne des heiligen Franziskus ausgeharrt, bis endlich mit der Neuordnung der staatlichen Verhältnisse, der Übernahme der Verwaltung durch Österreich-Ungarn die letzten Schranken kirchlicher Freiheit zerbrachen und nach einem halben Jahrtausend der Bedrängnis das katholische Glaubensleben zu kraftvoller Schönheit emporsteigen konnte. Auf wie lange? Nach dem zweiten Weltkriege kam doch wieder eine Springflut des Hasses und der Verfolgung und begrub in Blut und Brand ganz wjje beim Einbruch des Islam weithin das mühsam errichtete Kulturwerk der Söhne des heiligen Franziskus.

Wer kennt die Namen der ungezählten Glaübensboten der braunen Kutte, die durch ihre Entsagungen und ihre Leiden, starkmütig und bescheiden, auch, im Mißerfolg nicht verzagend, bis zum Tode getreue Hüter des Heiligtums, die schon vom Erlöschen bedrohte Flamme des Glaubens und der abendländischen Kultur in diesen Ländern bewahrt haben? Die meisten sind verschollen.

So ist es immer und überall. Die glorreichen Scharen der Märtyrer umgibt seit Anbeginn des Christentums das Heer der stillen Werkleute Gottes, der beharrlichen, durch keinen Fehlschlag zu entmutigenden Arbeiter, der stummen Dulder und Opferseelen. Wir erfahren nichts von großen Taten, sie treten nidit heraus aus der großen Menge. Kaum beachtet ziehen, ihre schweigsamen ' Reihen durch, die Jahrhunderte über die Erde. Da sind die Missionäre, die sich jahrelang bemühen müssen, bis sie eine einzige Seele gewinnen, wieder andere, die sich zufrieden geben müssen, ihren Nachfolgern den Zugang zum Erfolge vorbereitet zu haben. Dann solche, die immer wieder von vorne anfangen müssen, weil die unbeständige Natur der Menschen sie vor Enttäuschung auf Enttäuschung stellt. Oft sind sie Hunderte Meilen von ihrem nächsten Mitbruder entfernt, ohne Freund, der sie/ beraten, ermuntern, ihnen helfen könnte, Jiören keine freundliche Stimme, die sie tröstet, leiden Schmerzen, die niemand lindert. Das ist die stille Passion derer draußen in den Eiswüsten der Arktis, in den Urwäldern des Amazonas, in den endlosen Weiten der peruanischen Pampas, der mongolischen Steppen.

Das große Martyrologium. das die Namen der Helden verzeichnet, schreibt nicht Menschenhand — in goldener Schrift schreibt es ein Engel des Herrn.

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