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Die Weltanschauung Rainer Maria Rilkes

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Zum großen Vergnügen des Publikums trat allabendlich in einem Wiener Theatersaal die „Rilke-Verehrerin” auf. Sie rezitierte eine Parodie auf die „Weise von Liebe und Tod des Corncts”. Uber die besten Jahre hinaus, verfügte sie über zuviel Sentiment und keine Lebensaufgabe. Bei gedämpftvornehmem Lichte, das aus einem rüschenbesetzten Lampenschirm dringt, mißbrauchte sie die sublimen Verse einer Dichtung zu Vehikeln ihrer Ergüsse. Alles lachte, denn ihr Typ kommt vor, bei beiden Geschlechtern, und ist vielen von uns bekannt. Aber was ist denn in der Welt, und sei es noch so kostbar, das nicht von Unberufenen kompromittiert werden könnte?

Dem wachsamen Christen ist es seit langem klar, daß er in Rainer Maria Rilke einen der einsamen Männer vor sich bat, die am Gewebe der Zeit arbeiten und daran wirken, daß ihr Sinn für alle in geformten und gesteigerten Bildern hervorträte. Er ist Rilke irgendwann einmal begegnet in seinen Jugendjahren, als ihm — wer wohl? — eines seiner Bücher in die Hand spielte: zeitlebens betrachtet er diese Begegnung als eine Fügung. Das Echo der eigenen Gegenwartswelt rief ihn aus den sonoren und schwermütigen Worten dieses Dichters an. Aber noch war es mißverständlich, sich für Rilke zu erklären, denn es gab erst wenige unter der jüngeren Generation der Christen, deren Herz der Gestalt Rilkes, wie sie aus seinen Werken vor ihnen aufstand, entgegenschlug. Sie wußten, daß seinen schönklingenden Klagen auch Irrtümer beigemischt waren, aber darum lebten sie doch aus dem Überfluß von Wahrheit, der aus seinem Leben zu ihnen über seine genaue Poesie und Prosa überfloß.

Ohne Bestätigung von außen hielten sie sich zu ihm, einer Maxime seines Stundenbuches folgend: „Ich will in irgendwie zögernden Zeiten, wenn etwas naht, unter den Wissenden sein oder allein.” Er aber war ein solch Wissender. Und nach und nach tauchten in den besten Zeitschriften Hinweise auf einzelne Werke Rilkes auf von namhaften Theologen und Philosophen,die, betroffen von der Resonanz seiner Werke, seine Welt zu deuten begannen. Diese Welt aber ist die unsere, wie sie sich in einem erleuchteten Geiste zukunftsträchtig spiegelt. Schließlich erschienen noch während des Krieges von Romano Guardini Interpretationen zu drei seiner Duineser Elegien; wie wir hören, setzt Guardini die Auslegung der übrigen Elegien in Tübingen in seinen Vorlesungen fort. Und heute ist es so weit, daß auch französische Gelehrte, wie Jean Danielou S. J. Rilke als einen der wichtigen Repräsentanten unserer Zeit werten, dem unerschöpfliche Belehrung zu danken ist.

Spöttischen und überheblichen Gemütern, die sich vielleicht an der konfessionellen Bindung der zitierten Gewährsmänner stoßen, sei ein einfacher Sachverhalt zu einer sie fördernden Erwägung hergesetzt. Das epochemadiende Werk Martin Heideggers „Sein und Zeit” ist nach der Aussage ihres Autors eine philosophische Interpretation der Duineser Elegien. Dieser Umstand bleibt ein gewichtiges Argument, wenn man auch der Philosophie Heideggers epochemachende Bedeutung nur im Sinne einer zwingenden Anregung einräumen will und das ist sie —, die philosophischen Probleme unter dem radikalen Aspekt der Nichtigkeit des irdischen Daseins noch einmal durchzudenken.

Gleich einer Ikone im Geiste ist das Werk Rilkes vielschichtig und unergründlich wie die Welt und ihr Geheimnis. Immer wieder wird darum Zum Versuch angesetzt, einen neuen Zugang zu gewinnen, um eine besondere Seite seines Werkes in behutsamer Reflexion sich zu erhellen. So wirkt es keineswegs ermüdend, wie nach dem vorhandenen Umfang der Rilke-Literatur zu befürchten wäre, wenn uns über ihn ein weiteres Buch in diesen Tagen zugänglich wird: Alfred Focke S. J., „Liebe und Tod” Versuch einer Deutung und Auseinandersetzung mit Rainer Maria Rilke, Verlag Herder, Wien 1948. Es ist der verlorenen Heimat des Verfassers gewidmet, die auch des Österreichers Rilke Heimat war, der ja aus Prag stammte.

Der Verfasser sieht in Rilke den großen Menschen und EH einer. Es wirkt wohltuend, daß er mit größer Ehrfurcht, ja Liebe, seinen Detrtnngsversuch durchführt. Wir horchen auf, wenn wir selbst noch dort, wo Ablehnung am Platze ist, einen persönlichen Ton von anteilnehmender Wärme aus den Darlegungen heraushören. Das allein wird schon viele, die Rilke und sein Werk lieben, für Fockes Buch gewinnen. Es wird ihnen manche neue Einsichten eröffnen.

Liebe und Tod sind die beiden Pole, zwischen denen sich für Rilke das menschliche Dasein ausspannt —, hier das Begriffspaar, an dem sich die Untersuchung vorantastet. Als die Welt noch im optimistischen Fortsdmittswahne taumelte, ist Rilke bereits durchschßttert von der Erfahrung, daß die Gesamtheit des Irdischen von Tod durchsetzt ist, daß er in allem und jedem zu schmecken ist, und daß die Menschen ratlos sind vor diesem furchtbaren Phänomen. Denn restlos alles durchdringt keimartig der Tod, und ihm ist die Angst zugeordnet, die als Existenzangst namenlos ist und ohne Gegenstand. In furchtlosen Meditationen, die vor keiner Ausgesetztr heit zurückschrecken, zeichnet Rilke in seinem Werke den Zustand der gefallenen Kreatur; der Mensch erfährt die Existenznot am schärfsten. In seinen frühen Dichtungen ist diese Gestimmtheit noch vermischt mit überschüssigem Gefühl, gewinnt aber in seinen großen Werken der Spätzeit einen ungemein angemessenen und erwachsenen Ausdruck. Sehnsucht, Grenzbewußtsein, Erfahrung von Vergänglichsein, wie da Rilke darstellt, faßt Focke’ auf als wirklichkeitsgesättigten Kommentar für das scholastische Begriffswort „Kontingenz”. Wie aber oll der Mensch die allem Existierenden eingewurzelte Vergänglichkeit bestehen und wie sie überwinden? Rilke wirft sich auf die Liebe. Doch verharrt seine Liebe zu den Dingen und Menschen vorwiegend im Innerweltlichen. Aber sie ist ihm Heilsweg. In der Liebe zum Du sieht ef die eigentliche, dem Tode entgegengesetzte Macht. Jedoch gleichzeitig erlebt der Mensch, wie sonst nirgends, gerade in der liebe die Unfähigkeit, sie als grenzenlose zu verwirklichen. Zwar spüren zuweilen die Liebenden das „reine Sein” in ihrer Begegnung von forcierter Selbstlosigkeit — aber es hält nicht an. Darum muß aus dieser beklagenswerten Erfahrung unausweichlich metaphysische Liebe erwachsen, die über alle Erwiderung hinaus ist. Sie erschließt dem Menschen, der in die Kontingenzverschlossenheit eingemauert ist, das „Offene”. Das Offene — ein Grundwort Rilkes — ist der Raum, in dem wir eigentlich leben sollten; es ist das Ganze und Heile des Daseins, das Neue. Es wird erzeugt in vielfacher Gestalt dureh die verwandelnde Kraft der metaphysischen Liebe ab- höchste und wahrhaft dauernde Wirklichkeit. Das Offene ist die Welt, vermehrt um den schöpferischen Beitrag des Menschen im Erkennen, Lieben und Leiden. Nicht nur der Dichter leistet diesen Beitrag, sondern jedermann. So wird die Welt „Herzwerk” und steht dann im „Weltir.nenraum”, der di Subjektivität des Menschen Zu kosmischen und in die Totenwelt reichenden Bezügen erweitert. Tod wird aber durch Liebe nicht ein für allemal überwunden. Die Todverfallenheit aller Geschöpfe bleibt vielmehr, aber steigert nur noch die Liebe über sich hinaus, die immer mehr wird „Liebe um nichts”. Dieses dialektische Verhältnis, das sidi durch alle kreatürlichen Seinsbereiche hindurchzieht, begründet den „reinen Widerspruch”, in dem die letzte Problematik der Welt, wie Rilke sie sieht, oszilliert. Über das eigene Versagen nicht bös sein, sondern den Zustand des Ent- gleitens und Entschwinden liebend umfangen, ja ihn zu preisen und zu rühmen, das ist die orphische Feier, durch die der Mensch seine ununterbrochen auseinanderklaffende Welt in der Waage zu halten suchen muß. Das mythisch gemeinte Symbol des reinen Widerspruchs in allen Phasen seines Lebenswerkes ist die Rose. Sie blühen auf Rilkes Grab an der Kirchenmauer von Raron und was sie ihm bedeuten, spricht der Grabspruch aus, den er sich selbst setzte. Rilke, dem eine echte Christusbegegnung nie widerfuhr, verstrickt eh hier in Mythenschöpfungs Gott verschwinde ihm, so scheint es, und die Beziehung zum Nächsten wird schief, nämlich unmenschlich in ihrer Konsequenz. Aber nicht nur um den Aufweis dieses Irrtums geht es Focke, sondern durch alle Kapitel sucht er die Verbindung zu Rilke hin aufrechtzuerhalten. Das Unantastbare an seinem Werke wird durch Rilkes eigene Worte vor dem Leser ausgebreitet und durch systematische Leitlinien durchlichtet.

Der Versuch der Auseinandersetzung ist an der Scholastik orientiert. Etas kommt der Klärung der an sich sehr komplexen Gehalte der Rilkeechen Dichtungen zugute. Aber es scheint um ein sehr guter Hinweis zu ein, daß che beste Auseinandersetzung mit Rilke das Exerzitienbüchlein des heiligen Ignatius von Loyola, da mit dem Tod beginnt und in die Gott und die Dinge umfassende Liebe einmündet, wäre, weil es dem Zugriff näher steht als dem B e- griff. Es ist sicher: nur eine Theologie von großer und lebendiger Wirklichkeitsnähe. die nichts ausläßt, wird den Ertrag des Lebens und des Werkes von Rilke bergen.

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