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Digital In Arbeit

Die West-Antwort auf den Balkankrieg wird immer drängender

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Ein langfristiges Protektorat der Vereinten Nationen wäre für Bosnien-Herzegowina am besten. In seinem letzten Interview mit dem „Spiegel” hat der vergangenen Donnerstag gestorbene einstige Regimekritiker Milovan Djilas eine Option befürwortet, zu der sich im Westen (noch) niemand durchringen konnte. Die Unmöglichkeit einer gemeinsamen westlichen Balkanpolitik hat jetzt zu einer neuerlichen dramatischen Wende geführt, die ab 1. Mai noch blutigere Konsequenzen als bisher schon haben könnte. . >

Während das Haager UNO-Tribu-nal für Ex-Jugoslawien die der Kriegsverbrechen „Verdächtigen” auf dem Balkan benennt - den bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic, Armeechef Ratko Mladic, Ex-Polizeichef Stanisic - drohen diese weiter frech mit der Ausweitung des Kriegs in Bosnien, wollen die Bosnia-ken, von allen mit Ausnahme moslemischer Fundamentalisten verlassen, ihr Schicksal wieder in eigene militärische Hände nehmen.

Am „Tag der Arbeit” soll es losgehen. Dann werden wir wieder auf den TV-Schirmen registrieren, was es heißt, die Völker auf dem Balkan ihrem eigenen Schicksal zu überlas-

sen. Wieviele Monate oder Jahre soll das Sterben in Bosnien noch andauern? Djilas wußte, daß der Friede nur durch ein Eingreifen der Großmächte oder der Vereinten Nationen garantiert werden kann. Doch die Großmächte sind in dieser Frage uneinig, die Vereinten Nationen, knapp vor ihrem 50. Geburtstag, auch weiterhin ein Spiegelbild dieser Zerrissenheit. Eigentlich ist es ein Wahnsinn, ohne politische Ideen und Perspektiven UN-Truppen in einen Staat wie Bosnien-Herzegowina zu senden. Die UNO erkennt das immer deutlicher, der Sinn ihrer Präsenz wird daher immer fragwürdiger.

N- och immer können die Serben nicht verstehen, daß der Traum von Jugoslawien ausgeträumt ist, daß auch dessen Surrogat, ein großserbisches Reich mit kriegerisch gezogenen Grenzen keine Zukunft haben kann. 1987 saß mir Milovan Djilas, der soeben erst seinen Paß bekommen hatte, im Wiener Hotel Sacher zu einem Gespräch gegenüber. Damals zeichnete er noch einen Zukunftsweg für Jugoslawien: mit einer freien Presse, Meinungsfreiheit, freiem Informationsfluß und politischem Pluralismus, Privatwirtschaft und Ankurbelung des Außenhandels. Knapp vor seinem Tode stellte er fest, daß

in Serbien keine Freiheit herrsche, weil der Nationalismus die verordnete alte kommunistische Einheitsgesinnung ersetzt hat. Fast alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken haben sich dem demokratischen Pluralismus verschrieben - mit allen Rückschlägen und Reaktionen, die es in einer derart aufgeheizten Situation geben muß.

Nur Serbien ist steckengeblieben. Djilas konnte - quasi als Vermächtnis - nur mehr vor der Gefahr einer Verbindung serbischen und russischen Nationalismus warnen. Das zeigt, wie drängend eine klare Antwort aus dem W'esten auf den Balkankrieg geworden ist.

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