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Die Wiener Opernsaison
Es mag zu denken geben, daß gerade zu der Zeit, in der unsere beiden Opernhäuser ihre Pforten schlossen, in den Straßen Wiens ein Aufruf der Gewerkschaft der Bühnenkünstler von der Not der Privattheater kündet und die Schaffung eines öffentlichen Fonds zur Sicherung ihres Weiterbestandes fordert. Es mag dies auch auf die Beurteilung der Leistung der Staatstheater Einfluß üben. Niemals in ihrer Jahrhunderte alten Geschichte haben sie sich selbst erhalten können, denn ihre verpflichtende Sendung erlaubt es nicht, nur Publikumsstücke zu spielen. Nach dem ersten Weltkrieg mußte man erkennen, welch gewaltige Summen aus der Privatschatulle des Kaisers auch diesen Instituten zuflossen, und man hatte Mühe, sie nun dem Staate, also der Bevölkerung, anzulasten. Der zweite Weltkrieg vernichtete das weltberühmte Haus, das einst Publikum wie Künstler anzog und heimisch werden ließ. (Es zeugt von der innigen Verbundenheit gerade der Wiener mit ihrer Oper, daß es ihrer noch viele gibt, die nur mit wehmütiger Überwindung die armen Bretter des alten Hauses an der Wien oder die nüchternen Mauern draußen in der Vorstadt betreten!) Die Leistungen all jener, die an dem wirklich totalen Neuaufbau beteiligt waren, sind gebührend gelobt worden, und der Widerhall bei der Bevölkerung war ehrlich. Sie hatte jedoch in diesem Jahre zu. allen Opfern auch das der Währungsform zu bringen und mußte den Theatern immer mehr fernbleiben. Es ist die Folge unserer unseligen Vergangenheit und nicht viel hoffnungsvolleren Gegenwart, daß aber auch neben der wirtschaftlichen eine geistig-moralische Krise zu beobachten ist. Wie auf der einen Seite das junge schöpferische Genie fehlt, das sich an Idealen m begeistern und daher Werke hervorzubringen vermag, wie einst die Träger großer Kulturepochen, fehlt auf der anderen Seite das breite Echo der Menschen, die sich im Theater nicht mit Problemen belasten, sondern lachen und unbeschwert sein wollen. Da jede künstlerische Leistung aber weitgehend von dem Echo getragen wird, das sie erregt, sei vor allem die Frage aufgeworfen: für wen spielt heute unsere Oper? Es ist bedauerlich, feststellen zu müssen, daß nach 1945 dem entscheidenden Faktor, denn Mittelstand, der Eingang in das einst so geliebte Haus mehr und mehr verwehrt ist. Selbst die Preissenkung im Frühjahr brachte nicht den gewünfchten Erfolg, nicht für das Publikum und nicht für das Institut. Es bleibt die Aufgabe der verantwortlichen Männer, eine beiderseits befriedigende Lösung zu finden, etwa — wie bereits angebahnt — den Angestellten und Arbeitern auf viel breiterer Basis verbilligten Eintritt zu geben und sie so dem Opernspiel ihrer Stadt wiederzugewinnen und eng zu verbinden, und — sich selbst damit eine si ere Grundlage für die künstlerische Arbeit zu schaffen.
Blickt man auf die diesjährig geleistete zurück, kann man zweifellos den Willen erkennen, im Theater an der Wien die Tradition der Weltoper weiterzuführen (Zauberflöte, Boris Goidunoff und Jenufa als Marksteine) und im Haus am Währinger Gürtel die „Volksoper" im echten Sinne des Wortes, das heitere Sujet, die Operette von Strauß und Offenbach, ziu pflegen (Freischütz, Schalkhafte Witwe, Zigeunerbaron und die drei Offenbach-Einakter als Schritte zu diesem Ziel). Die Ausführung durch die Kräfte beider Institute war in musikalischer Hinsicht durchwegs befriedigend, wenn nicht hervorragend, während die Inszenierungen nicht immer nur durdi das finanzielle Moment beeinflußt erschienen. Vielleicht symptomatisch war hier der vieldiskutierte „Lohengrin“, den wenige, aber nicht Unbedeutende Kritiker als gelungenes Experiment gelten ließen, während die meisten die szenische Gestaltung als der in der Musik festgelegten Intention Wagners widersprechend und als die armseligste dieses Werkes in Wien überhaupt ablehnten. Der junge Stefan Beinl, Wiener und Schüler Wall rsteins, errang im Ausland bereits schöne Erfolge, und die Stimmen, die dem Wiener Kunstlebcn vorwerfen, es bevorzuge überwiegend fremde Kriffte, drangen darauf, ihm in seiner Vaterstadt eine Chance zu bieten Sie wurde ihm geboten. — Wie sehr die Kräfte unserer Oper zu improvisieren verstehen müssen, wurde gerade bei dieser Premiere bewiesen: Prof. Krips, der die Einstudierung leitete, erkrankte nach der Generalprobe, und Knappertsbusch setzte sich ohne eine einzige Verständigungsprobe ans Pult. Noch knapp vor Torschluß mußte eine ähnliche Improvisation mit einem ganzen Werk vorgenommen werden: statt des — übrigens sehr akklamierten — „Fra Diavolo“ war ursprünglich der „Troubadour“ geplant, mußte aber in letzter Minute abgesetzt werden, da der Sänger des Manrico wegen Paßschwierigkeiten heute noch in Prag weilen muß! Es ist erfreulich, daß diese Leistungen auch in Ausland -.gezeigt Werden durften und, nach dem Zeugnis verläßlicher Berichte, viele Sympathien für unser Land gewannen. Das Gastspiel in London war das größte, das während des Bestehens des Instituts je im Ausland gegeben wurde.
Viel diskutiert wird auch die Leistung unserer beiden Häuser für die moderne Musik. Zweifellos ist Gottfried von Einems „Dantöns Tod“, zumal schon in Salzburg vorbereitet, kein genügender Beitrag. Dem mag entgegengehalten werden, daß das zeitgenössische Opernschaffen nicht reich an so ausgeprägten Schöpfungen ist, daß sie ein materiell tragbares Experiment für das schwerringende Wiener Institut darstellen, das überdies ideell verpflichtet ist, dem Spielplan zuerst die Standardwerke der Opernliteratur wiedgr einzuverleiben. Im Falle Einems besteht jedoch die berechtigte Hoffnung, daß gerade die Wiener Oper dem sich yielleicht entwickelnden Genie Wegbereiter sein darf.
Auch bezüglich des sängerischen Nachwuchses, um den es im allgemeinen sehr schlecht bestellt ist, wurden einige glückliche Griffe getan. Unter den Allerjüngsten schoben sich besonders Vilma Lipp (als Königin der Nacht), Hans Braun (als Posa und Valentin) und in den allerletzten Tagen Otto Edelmann (als Mephisto) in den Vordergrund. Das sind um so erfreulichere Tatsachen, als dem Nachwuchs auf Jahre hinaus die deutsche Provinz als Feld der Erprobung und Reifung verschlossen bleibt. Hier liegt eine große Aufgabe der österreichischen Bundesstädte, in die Bresche zu springen, und auch von dem neugegründeten Opernstudio muß man volles Ver- antwprtungsbe-wußtsein erwarten. (Aber auch in der Wahl der dort aufgeführten Werke: warum griff man gerade nach den „Vier Grobianen“ und nicht nach einer Oper, für die keines der beiden größeren Häuser artgemäß zuständig ist? Die Provinz mag hierin mit ihrer stattlichen Zahl von österreichischen Erstaufführungen Vorbild sein.) Es sei aber auch auf eine Gefahr aufmerksam gemacht, die durch verständnisloses Gebaren der verschiedensten offiziellen Stellen herauf beschworen wird: die Abwan-derung unserer bedeutendsten Künstler wird gefördert und das Engagement dringend benötigter Kräfte wird verhindert, wenn sich die leidliche Wohnungsfrage nicht lösen läßt. Man kann von ihnen nicht verlangen, daß sie nicht nur mit den geringsten Stargagen der Welt vorliebnehmen, sondern auch noch ihre Familien im Ausland lassen,
und man soll der Öffentlichkeit die dann erforderlichen Teilverrechnungen der Honorare in Valuten ersparen. Unserer Oper ist es gelungen, in dieser Saison mit einer so geringen Anzahl von Gästen auszukommen, wie dies nur in Zeiten ihres höchsten Ruhmes, der Fall war. Wien möge „seiner Oper“ helfen, diesem erneut entgegenzugehen!
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