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Die Wirklichkeit des Schriftstellers

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Ernest Hemingway hat im vergangenen lahr den Nobelpreis erhalten, manche Leute haben gefunden: zu unrecht; sie lassen allenfalls die Novelle „Der alte Mann und das Meer“ gelten; aber das andere, fragen sie, ist das nicht ein bißchen Mode, Kraft-meiertum und Daseinsprotzerei? Nun, zur selben Zeit, da man über Hemingway, und was von ihm bleiben wird, debattiert, ist ein Buch erschienen, das nicht einmal zu seinen Hauptwerken gehört, aber seinen Rang als Schriftsteller aufs schönste deutlich macht. Dabei ist dieser neueste Hemingway neu nur auf deutsch, die „Grünen Hügel Afrikas“ (Rowohlt-Verlag, Hamburg, 234 Seiten, Preis 12.80 DM) sind nach einer Jagdreise in den dreißiger Jahren entstanden, und das Buch kommt zu uns in einer Uebersetzung, die nicht durchweg gut ist, und der Rowohltsche Klappentext preist es ein wenig zu bieder an als das Buch des „Jägers und Fischers, der mit sicherem Instinkt den Intellekt einer von Anämie bedrohten Gegenwartsliteratur überwindet“. Aber Hemingway, so zeigt sich beim Lesen, ist mehr als der Jäger, für den er hier ausgegeben wird, und er hat mindestens soviel Intellekt wie Instinkt. Und wer sich bei ihm auskennt, weiß, daß er überhaupt nicht darauf aus ist, irgend etwas Allgemeines zu überwinden; er ist im Gegenteil froh, daß er die Lage, wie sie ist, besteht — und das tut er denn auch in diesem Buch. Er ist gewiß auch ein guter läger, so wie sie zusammen in kleiner Gesellschaft durch den afrikanischen Busch ziehen, er und seine Frau und Mr. Philips und eine Schar Eingeborener; er schießt und trifft, er schießt auch daneben, er kennt Neid, Streit, Langeweile, Prahlen, Glück und Ueberdruß, er kennt das Ethos der sauberen lagd, wie es ein verantwortlicher Mann kennen muß, und er bringt allem Lebendigen eine zärtliche, besessene Liebe entgegen. Er liebt nämlich dieses Land Afrika und seine Landschaft, er liebt die Anstrengungen, den Schlaf, die Rast, das Frühstück im Dunklen, die Menschen und Gespräche, er liebt im Grunde jeden Augenblick, den er erlebt, weil jeder ihm deutlich zeigt, daß er mit vielen rätselhaften und ursprünglichen Dingen am Leben ist. Diese Dinge sind zwar nicht alle gut, aber doch eben lebendig, und da ist es dann beinahe gleichgültig, ob man sie bekommt oder ob sie sich einem versagen — sie sind da, und das ist Glücks genug für einen Mann.

Hemingway erzählt davon genau, und indem er es tut, geschieht etwas Merkwürdiges: er besteht die Probe seiner Erlebnisse auf eine zweite Weise, er selber gewinnt für den Leser Umriß als eine Figur. Er erscheint als ein Mann, der sich in der Welt wohlbefindet und seine Sache nach Kräften gut macht. Aber zuletzt muß er etwas aufgeben. Es ist am Ende des Jagdzuges, und es ist die prachtvolle Rappenantilope, die ihm wegen einbrechenden Regens entgeht. Er hat sie gesehen und krank geschossen, das ist ihm passiert, weil er übermütig war von dem Erfolg des Tages zuvor, er denkt: es ist meine Schuld, und nun kommen die Hyänen über sie, er will es gutmachen mit langem anstrengendem Suchen, aber nun muß er zurück. Ein Rest bleibt, der von dem Wohlbefinden doch nicht überglänzt wird, und auch das gehört zu den Zügen der Figur, die der Autor von sich macht. Freilich, in diesem Fall hat es für ihn keine besondere Bedeutung; er, der Jäger, kann nach Hause fahren, obwohl ihm nicht alles geglückt ist. Aber das ist nun auch bloß eine Jagdpartie In anderen Büchern hat Hemingway die Unerbittlichkeit des Mißglückens als Schicksal ernst und dringend gezeichnet. Der Leutnant Jordan in dem Roman „Wem die Stunde schlägt“ kann nicht davonfahren, er kann sich im Gegenteil nicht einmal mehr rühren in seiner Grube, die sein Grab sein wird, und kann nur noch das Maschinengewehr auf den Feind richten. Und ähnlich ist es dem jungen Offizier in Hemingways erstem Buch „In einem andern Land“ ergangen, und ähnlich ergeht es ja in seinem letzten Buch auch dem alten Mann, der endlich den großen Fisch gefangen hat. Er darf, ihn nicht behalten. Er selber kommt zwar heim, aber nur das Gerippe hängt an seinem Boot. Und da ist jedesmal nicht eigentlich Resignation oder Tapferkeit dabei, sondern es ist einfach immer das Ende, das kommt.

Dieses Ende — das ist Hemingways großes Thema, und es ist also, gewiß überall dieselbe Figur, die er uns vorstellt, und wenn er sich zwischen den grünen Hügeln Afrikas als Jäger tummelt, so bleibt er doch ein von unserer Gegenwart gezeichneter Mann. Gelegentlich spricht er auch über Literatur, und diese Stellen sind neben der Erlebnisschilderung und dem Selbstporträt ein dritter wichtiger Teil des Buches. Schriftsteller werden von der Ungerechtigkeit geschmiedet, sagt Hemingway, und nennt den Krieg, die Revolution, die Verfolgung und Verbannung als Medien ersten Ranges, die den Schriftsteller groß machen können. Er spricht von einer vierten und fünften Dimension, die ein Autor in seinem Schreiben erreichen könne, und zählt die Eigenschaften auf, die dafür nötig seien: Talent, wie Kipling es hatte, Disziplin wie Flaubert, eine Vorstellung, wie das Geschriebene aussehen könne, ein absolutes Gewissen, Intelligenz, und vor allem müsse der Schriftsteller „am Leben bleiben“. Dies ist eine eindringliche und sehr rührende Stelle in Hemingways Buch. An einer andern solchen Stelle denkt er darüber nach, wie ihm bestimmte Landschaften auf zweierlei Art begegnet sind: in Büchern, die er gelesen, und in der Wirklichkeit, in der er sie erlebt hat. Er schreibt: „Ich dachte, wie wirklich dieses Rußland gewesen war, so wirklich wie Michigan oder die Prärie nördlich der Stadt und die Wälder um Evans Wildfarm, und wie ich durch Turgenjew wußte, daß ich dort gelebt hatte, so wie ich auch in der Familie Buddenbrook daheim war und in ,Le Rouge et le Noir' zu ihrem Fenster hinein- und hinausgeklettert war, oder“ — und nun spricht er von sich selber — „immer Italien, besser als jedes Buch, als ich in den Kastanienwäldern lag und im Herbstnebel hinter dem Duomo zum Ospedale Maggiore ging, die Nägel meiner Stiefel auf den Pflastersteinen und den Geruch des Regiments wie eine Kupfermünze im Mund. Und der Zug hielt in der Hitze in Desenzano, und das nächste Mal regnete es, und das nächste Mal kam man in einem Lastwagen fahrend daran vorbei, und das nächste Mal kam man von irgendwo anders her, und das nächste Mal ging man in der Dunkelheit von Sirmione zu Fuß hin. Denn wir sind in den Büchern dort gewesen und außerhalb der Bücher — und wo wir hingehen, wenn wir irgend etwas taugen, kannst' du hingehen, wie wir dagewesen sind.“

Hier ist etwas sehr Tiefes über die Wirklichkeit des Schriftstellers gesagt.

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