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Die Zeit ruft die Frau

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Wiederholt und eindringlich ist in diesen Blättern das große Thema „Stellung und Aufgabe der Frau inmitten der mit schweren Problemen ringenden Gegenwart“ behandelt worden. Von einer anderen Seite her greifen die nachstehenden Darlegungen in die Debatte ein. D. R.

Eine alte Welt ist zusammengebrochen. Wir stehen auf Trümmern und ein Meer von Tränen und Blut umspült die Gestade der Gegenwart. Müde und abgekämpft ist, die Menschheit von heute und weiß doch, daß sie einen Weg finden muß, einen Pfad aus dem Wirrsal, das unser Schicksal zu werden droht.

Die Welk des Hasses hält Herzen und Hirne umklammert und die dicke Eiskruste der starren Ichbezogenheit droht alles Leben zu ersticken.

Wie einst, da die heiligen Seher und Seherinnen sprachen und verheißungsvolle Bilder vor das menschliche Auge zauberten, damit das zarte Hoffnungsgrün nicht ganz verwelke, so scheint mir auch heute der Rhythmus der Gegenwart. Ein neuer Advent zieht in die Welt, und Millionen Augen halten Ausschau nach dem wegweisenden Stern, der uns vor dem jähen Abgrund behüten sollte. Der alte Goethe hat schon das Bild der Frau gemalt in den Worten: „Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan“, er setzte diese Worte ah den Schluß seines „Faust“, es sollte ein erschütterndes Bekenntnis seines an Enttäuschung und Irrtum reichen Lebens sein. Vielleicht hat der Große von Weimar uns ein Vermächtnis geben wollen, vielleicht hat er es vorausschauend geahnt, daß einmal wieder die Zeit anbrechen werde, da wirklich dies Ewig-Weibliche ein Rettungsanker, einer versinkenden Menschheit sein wird. Die Erkenntnis, daß die Frau heute eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen hat, daß sie den ewigen Jungbrunnen des Volkes darstellt und in ihrer Seele ein Geheimnis der geistigen Wiedergeburt birgt, bricht sich langsam in der Menschheit Bahn. Aus einem übertriebenen männlich einseitigen Zeitalter, das allen Lebensgebieten die unerbittliche Sicht robuster Kraft aufgedrückt hat, ertönt der Ruf nach der Frau, als Lösung und Ausgleich, als das Statische inmitten dynamisch katastrophaler Gegensätze.

Unsere Sorge muß nun sein, den Ruf der Zeit zu verstehen und vor allem richtig zu verstehen. Wir können nicht einfach alte Formen und Gestalten wieder neu erstehen lassen, wir können nicht das Frauenbildnis von Gestern in einen neuen Rahmen stellen und dann meinen, es sei zugelich das gesuchte und ersehnte Bild von Heute. Wir stehen auch da an einem vollständig neuen Beginn ... Wir müssen nur den Mut haben zu dem neuen Anfang und dürfen uns nicht fürchten vor dem, was Gott als dringenden Auftrag in das zerbrechliche Gefäß der menschlichen Hände legt.

Das Erste, was die Zeit fordert, ist eine gütige Ruhe, eine fruchtbare Geborgenheit, ein frohes Innewerden. Das sind Werte, die gerade auf die Wunden der Zeit gelegt, Wunder an Heilung und Aufbaumöglichkeiten vollbringen.

Weiters fordert die Zeit ein gütiges Wissen, ein ausgleichendes Können, ein umfassendes Gebildetsein. Diese Qualitäten sollen die Enge, die Starrheit selbstzufriedenen Pharisäertums meistern.

Dann verlangt die Zeit nach mütterlicher Selbstlosigkeit, nach stiller Selbstbescheiden-hek und wettbewußter Demut. Nur diese Haltungen werden die Verbogenherten der Seelen und Hirne überwinden und unserer Lebenslinie die unverrückbare Geradheit verleihen, die eine der Grundvoraussetzungen der Gesundung der Gesellschaft ist.

Die Zeit fordert aber noch mehr. Ihre Forderungen sind in Blut und Tränen getaucht und verzweifelte Menschenaugen, ausgeschöpfte Herzen und tote Seelen sind die Bücher, in denen diese Forderungen verzeichnet wurden. Wenn wir sie auf einen Generalnenner bringen wollten, müßten wir sagen: Hinweg mit allem Halben, denn es bedeutet Lieblosigkeit, und her mit der auf das Gänze zielenden Liebe, die der letzte Sinn unseres Daseins ist. Gleichbedeutend erhebt sich nun der Satz: Wie die Erfüllnn-gen erreichen, wo ist die Quelle, aus der wir schöpfen können?! Das Kernproblem ist die Erziehung zur Frau. Man erwägt und spricht viel über Lehrpläne und Schultypen, über dieses und jenes und doch wird alles ein Stückwerk bleiben, wenn wir nicht dem Grundsatz huldigen, ein Lehrplan, ein Programm können erst dann fruchtbar wirken, wenn sie erfüllt werden vom warmen Leben. Die Frau, so wie sie heute verlangt wird, muß ein doppeltes mitbekommen: eine gediegene, sachlich hochstehende Berufsausbildung und ein auf die moderne Zeit eingestelles Wissen um die Pflichten und Aufgaben des Hausmutter-tums. Jede Einseitigkeit bedeutet Starre, Verarmung, letztlich zum Versagen und Schiffbruch verurteilt. Daher Vorsicht auf diesem Gebiete und vor allem Neigung und Eignung des Menschen berücksichtigen! Es wäre lebensfremde Romantik, wollte nur die Neigung die Berufswahl bestimmen, aber es wäre materialistisch, wollte man nur nach dem Bedarf des Stellenmarktes etwa die Berufsberatung orientieren. Der gesunde Mittelweg, die vielgepriesene mittelalterliche „maze“ wird auch hier, wie auf anderen Lebensgebieten, schließlich doch das Richtige bleiben. Wir stehen unbedingt • auf dem Boden der humanistischen Bildung, die wertvoll und gediegen ist für die Heranbildung ganzer Persönlichkeiten. Wir verlangen dabei auch eine gewisse allgemein bildende Hauptschule, in der, wenn auch auf methodisch anderen Wegen, die ewigen Güter der Humanitätsbildung in angemessener Form vermittelt werden. Wir sehen in der Neuorientierung der Lehrerbildung und nicht nur der Pflichtschullehrerschaft, sondern auch der Lehrer an den höheren Schulen eine Grundforderung des neuen österreichischen Schulprogrammes. Die Verschiedenheit der Geschlechter, die heute eine allgemeine Erkenntnis der Biologen und Psychologen bildet, muß uns den Weg weisen, der uns am zuverlässigsten zum Ziel führt. Wo es nicht unumgänglich aus schultechnischen und Ortsverhältnissen heraus geboten ist, wird die reine Mädchen-, beziehungsweise Knabenschule doch zu bevorzugen sein, schon aus der sachlichen Erkenntnis der Andersartigkeit der geistigen und körperlichen Entwicklung der beiden Geschlechter. Für eine Reihe von Frauenberufen, die besonders die neue Zeit schafft, wird eine höhere Ausbildung notwendig sein, weil wir auch in dieser Hinsicht die österreichische Tradition hüten und weiterführen wollen. Der große Zweig unserer Wirtschaft, der Fremdenverkehr mit allen Industrien, die durch ihn bedingt sind, werden gerade viel Frauen brauchen, die einerseits eine gute höhere Bildung genossen haben, dabei aber auch in den Zweigen hausmütterlichen Aufgabenkreises vollständig entsprechen. Die soziale und fachliche Höherentwicklung des Fürsorgeberufes und verwandter Zweige, die zeitbedingt sind, die höchstqualifizierte Pflegerin, die fachärztliche Assistentin, die technisch-wissenschaftliche Hilfskraft in den Industrien, sind — alles nur in Kürze und unvollständig erwähnt — Berufsgebiete, die die Frauenpersönlichkeit ausfüllen können und sie für die Gemeinschaft unseres Volkes sinngemäß einsetzen. Daneben das weite Feld haus- und landwirtschaftlicher Berufe, die gediegene Frauenpersönlichkeiten brauchen, die künstlerischen Möglichkeiten, die das Kunstgewerbe gerade der Österreicherin mit ihrem feinen Geschmack und Geschick bietet, lassen uns auch den durch den Krieg entstandenen Frauenüberschuß nicht als ein volkswirtschaftliches Unglück ansehen. Es isollte nur so sein, daß wir sagen können, und zwar mit Stolz sagen können: die Welt weist jetzt einen Frauenüberschuß auf, vielleicht ist das der Ruf Gottes, daß die Welt viel fraulich, einfühlende Liebe braucht, und unser Bestreben muß jetzt darauf gehen, in den Frauen die schöpferische Mütterlichkeit zu wecken, die letztlich eine kranke und irrige Welt wieder an LeJb und Seele gesunden wird lassen. In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, daß wir natürlich die österreichische Akademikerin brauchen werden und gerade die Universität der ergänzenden ausgleichenden Frauenart nicht wird entbehren dürfen. Aber alles muß nicht auf die Hochschule gehen, denn das Studium soll Berufung und klarer Wille sein, nicht eine Art Verlegenheit, um über eine gewisse Zeit hinwegzukommen. Daher wäre es zu begrüßen, wenn die sogenannten Frauenlehrgänge, das sind Kurse, die nach der Matura den Schülerinnen den Übergang zur Berufsausbildung in die fürsorgerischen, pflegerischen, hauswirtschaftlichen Berufe ermöglichen, entstehen sollen. Neben dam humanistischen Gymnasium und dem artverwandten Realgymnasium sollte für die mittlere Frauenbildung der echt österreichische Typus der Frauenoberschule nicht nur erhalten, sondern zeitgemäßt verbessert und umgebaut — aber womöglich noch venmehrt werden. Diese Schalart stellt an die Schülerinnen eine besondere Anforderung, weil sie die Doppelaufgabe erfüllt: sachliche Mittelschulbildung mit fraulichpraktischem Können zu verbinden.

Alle diese Probleme, die natürlich viel zu wichtig und zu tief sind, als daß sie in dem Umfang eines Aufsatzes ganz durchbesprochen werden könnten, lagern sich um die eingangs skizzierte Kernfrage: Wie bilden wir diese Frauenpersönlichkeiten heran, an deren Wesen eine zerrüttete Welt genesen kann? —

Die Zeit ruft die Frau! Wird die Frau die große innere Reife haben, diesem Rufe zu folgen, wenn er auch ein Opferleben fordert, ein stilles sich Bescheiden, ein demütiges Dienen auf allen Gebieten? Wird die Frau endlich aus ihrem inneren Reichtum heraus sich mütterlich über die wunde Menschheit beugen und ihr aufhelfen, ja sie erneuern—* nur aus dem schlichten Wissen um den Rui der an sie ergangen ist? Die katholische Frau, die aus dem Geist des Christentums •ihr Sein wahrhaft erfüllt hat und die um die harte unerbittliche Verantwortung vor dem ewigen Richterstuhle des Vaters weiß, wird es tun und wird noch mehr erreichen, sie wird auch alle jene Schwestern in der Welt, die die göttliche Glut in ihren Seelen noch nicht entfacht haben, von ihtem Reichtum bereichern, ihnen das Bewußtsein ihrer fraulichen Sendung und ihres mütterlichen Gutseü*-müssens vor Augen führen und so Arbeiterinnen in den Weinberg des Herrn leiten. Und darauf kommt es an, daß wir Frauen als Dienerinnen uns wissen in einer Welt, die den Mut verloren hat zu dienen und zu lieben.

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