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Die ZeLnuLrpause

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Wenn man viele Jahre Schüler und noch länger Lehrer war, dann ist die Zehnuhrpause bleibender Einschnitt im Tagesablauf geworden. Wenigstens mir geht es so. Noch dazu wohne ich neben einer Klosterschule, wo die große Glocke, etwas zu laut für den Nachbarn, die große Pause ausruft.

Ich lege mein Schreibzeug weg, greife nach meiner Semmel und verlasse Zimmer und Haus. Im Hof läuft mir der Hund entgegen, der sich gelangweilt hat, weil er allein nichts zu unternehmen imstande ist. Vergebens erwartet er sich einen weiten Spaziergang in den Wald oder wenigstens in meine Einsiedelei, doch dazu nehme ich mir jetzt nicht die Zeit. Wohl aber zu einem gemächlichen Gang durch den Garten.

Haus und Garten sind alt und tragen die Stilmerkmale verschiedener Zeiten, das Aeltere ist wie auch sonst das weitaus Bessere. Ich beginne meinen Rundgang im hinteren Hof. Er ist gebaut wie ein Burghof, mit Mauern und Tor, das Geviert der Fläche ist mit Rasen bewachsen, durch die ein Plattensteig läuft. Weil ich die Rosen liebe, habe ich rundum an der Mauer Rosen stehen. Jetzt gehe ich von einer zur anderen und betrachte sie. O Rose, du reiner Widerspruch, flüstert unwillkürlich der Mund. Ich schneide etliche verblühte ab, um neue Blüten hervorzulocken. Welch ein Wunder ist doch die Rose! Sie blüht vo.n Juni bis zum ersten Frost unermüdlich. Wie strahlend sie sich abheben von der rauhen Mauer und dem sanften Grün des Rasens. Welcher Gottesfriede in so einem Gartenhof ruht. Aber ich gehe weiter und der Hund springt jauchzend voran und zeigt mir den Weg zum Tor. Ich lasse ihn und wandle durch deh Garten. Er ist nichts einet einzige Fläche, sondern durch Geschichte und Kunst in viele Teile gegliedert. Da öffnet sich gleich vor mir ein Wiesenrechteck, das von hochgewachsenen Büschen umsäumt ist und an dessen Rändern Blumenbeete entlanglaufen. Ganz vorne steht der Flox. Glühend schlägt er eben seine Augen auf, der weiße, der rote, und zeigt an, daß es hoher Sommer ist, viel später, als mir recht ist. Dann steht eine ziegelrote Rose, etwas unbegründet, da, Kind meiner Laune. Die wilden Kornblumen am Rande, die als Unkraut hereingekommen, aber gerne geduldet sind, verblühen. Ich denke daran, wie jetzt in der Ebene draußen die Stoppelfelder sich ausbreiten.

Es folgt das wuchernde Reich der Margariten. Das noch größere des Mohns ist längst verblüht, und wie habe ich auf das Aufgehen der ersten flammenden Blüte mit den duftigen dunklen Flecken gewartet! Die einsame Distel daneben setzt an, sich zu ihrer merkwürdigen Blüte zu entfalten. Die Kanas könnten schon weiter sein, wenn ich ihre empfindlichen Knollen früher in die Erde gelegt hätte. Die Zinien, die herrlichen, überaus geliebten, steigen gesund empor, noch sieht man keinen Blütenansatz. Und dort schon an den Stufen des kleinen Abhanges zögert die Gruppe der Rudbeckien, ihre phantastische Pracht zu entfalten. Wie häßlich die Lilienstengel umherstehen, wenn sie verblüht sind! Wie Zeiten und Blüten einander ablösen! Die Rose dauert am längsten, drum steht sie immer wieder zwischen den anderen, die aufzuzählen ich zu ermüden fürchte. Oben in der Ecke habe ich, um die Symmetrie der Anlage zu zerreißen, zwei Pappeln gepflanzt. Beim Mähen wurden sie zweimal abgeschnitten, aber, die neuen Triebe lassen mich hoffen, daß ich in meinem Alter diese herrlichen Bäume vom Fenster aus sehen werde. Buschwerk schließt hinten ab. Ich habe es aufgerissen, um Blick und Weg frei zu bekommen in den hinteren Garten, der nichts anderes ist als eine unregelmäßige, von Büschen umsäumte Wiese, ein Bauerngarten mit hohem Nußbaum, etlichen Apfelbäumen und anderem.

Ihn schreite ich selten ab. Hier steh ich nur am Abend und blicke auf das Haus, wie es schwermütig mit seinen beiden Türmen unter dem schwarzen Waldberg liegt.

Ich gehe in das kleinere Dreieck des Ge-müsegartens. Ich weiß, daß das gekaufte Gemüse billiger ist, aber trotzdem ziehe ich etwas von allen Gemüsearten, auch von jenen, die ich nicht essen darf. Ich zupfe ein wenig am Unkraut, beuge mich über das große Wasserbecken und schaue besorgt auf die schnell wachsenden Kaulquappen. Wenn sie groß werden, dann gibt es unruhige Nächte.

Ich trete in eine andere Welt ein: dem Spielgarten. Eine riesige Kastanie überschattet ihn. Zu ihren Füßen liegt das Kegelkreuz, über dem

die Kugel baumelt. Hier haben schon viele Menschen bei unbeschwertem Spiel zueinander gefunden. Bei einer Kegelpartie lassen sich so nebenbei leichter manche Probleme lösen als bei streitbaren Konferenzen. Hinter der weißen Bank auf dem Rasen warten späte Blüher in einetp schmalen Beet auf ihre Zeit. Durch eine riesige Wand des Lebensbaumes steigt man auf etlichen Stufen in ein stilles Eckchen Garten, das von einem großen Erker des Hauses überragt wird.

Auf dem natürlichen Gefälle hat sich aus einer Blumenschule ein eigenartiger Garten entwickelt, der wild und bunt mich immer wieder festhält. Dahinter, gegen den Bach zu, liegt fast undurchdringliches Dickicht. Ich lasse es, denn

hier ist das Schlangenreich, hier lebt- unsere Hausnatter. Riesig streckt sie sich an heißen Tagen in der Sonne aus oder läßt sich, zum Schrecken der Besucher, von einem Ast herabhängen. Aber ich glaube, wie die alten Bauern, daß sie Glück bringt.

Nun wandere ich weiter, immer um das vielgestaltige Haus herum, und komme zum Bach. Das Schönste, was es für einen Garten gibt, sagt der leidenschaftliche Gärtner und Dichter Rudolf Schröder, ist ein durchfließender Bach. Ich bin so glücklich, daß zwei Bäche meinen Garten durchfließen und bei mir ineinander- mühden. Ganz natürlich fällt der Grund zum Wasser ab. Hier ist mein Wald. Riesige Fichten, nur eine Handvoll, aber jede hundertfünfzig Jahre alt, ragen zum Himmel, eine kolossale efeubewachsene Weide neigt sich über den Bach, und zwei Birken stehen da, von einer Mächtigkeit und Schönheit, wie man sie selten findet. Dicht ist der Wald mit Efeu bewachsen. Zehn Efeublätter zieren auch das Wappen des Hauses, das auf dem Erker und dem Turme prangt. Die ersten zarten Zyklamen rufen mir abermals zu: Es ist schon später, als du glaubst. Der Hund springt ins Wasser und trinkt. Waldesstille und das Glucksen des Baches, das Glucksen, das durch das offene Fenster, das gleich über dem Bach ist, Tag und Nacht Ohr und Herz erfüllt und mit seinem Rhythmus be-

ruhigt. Ich trete zur Mündung hinaus und schaue, wie die Bäche sich mischen, der größere, der von Westen, und der kleinere, der von Norden kommt. Ich denke nichts dabei, aber es ist schwer, sich von diesem Bilde loszureißen. Strömendes Wasser bannt uns ähnlich wie flammendes Feuer. Wir fallen in andere, ältere Reiche zurück. Jenseits des Baches hat der Unterricht schon wieder begonnen. Ich beende meinen Rundgang, dem Bach entlang schließe ich den Kreis um das Haus. Noch einmal versucht der Hund mich zum großen Tor zu führen; enttäuscht läßt er sich in der Vorhalle auf den kühlen Steinboden fallen. Und ich gehe hinauf in mein Arbeitszimmer. Die Zehnuhrpaüse ist zu Ende.

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