6667101-1960_40_11.jpg
Digital In Arbeit

Die zerlöcherte Sanduhr und das Lot

Werbung
Werbung
Werbung

Das Problem ist bis heute noch ungelöst geblieben, wie man eine Verdi-Oper inszenieren soll, um die Kluft zwischen der szenischen Theatralik, die nur Vorwand für sich entfaltende Gesangskunst ist, und dem schaufreudigen Menschen zu überbrücken, der sich gerne der Illusion hingeben möchte. Margarethe Wall mann hat die Neuinszenierung der fast hundert Jahre alten Oper „Die Macht- des Schicksals“ in der Wiener Staatsoper ebenso wenig von realistischer Konvention entfernen oder von billiger revuehafter Aufmachung schützen können wie Georges Wakhewitsch, der für das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich zeichnete. Viel geriet allzu statisch. Von diesem Verzögerungsfaktor, der einzig allein den Sängern zugute kam, dem musikalischen Theater aber schadete (um so mehr, als sich das prächtig spielende Orchester unter der vielbe-iubelten temperamentvollen Leitung Dimitri M'i t r o-p 0 u 1 o s' ganz dem Musikdrama zuneigte), wurde sogar das ansonst immer so geschickte Ballett ergriffen, dem Dimitrije Parlic gerade keine besonders einfallsreiche Choreographie bescherte. Über die Bühnenbilder von Georges Wakhewitsch ist wenig Erfreuliches zu sagen. Vor allem die Idee des Zwischenvorhangs mit der zerlöcherten Sanduhr und dem von ihr herabhängenden Lot war aus den dreißiger Jahren der Revue geholt. In der Volksoper versucht es die Operette zuweilen damit. In der Oper paßte aber, gar wenn man die Ouvertüre vor diesem Vorhang spielt und die Besucher minutenlang das surrealistische Bauwerk mit der Geometerschnur und der verkehrter Granate anschauen müssen, das Bild wie die Faust aufs Auge zu der in allen Farben schillernden Musik. Räumlich unorganisch war die Schenke, un-bewältigt das dritte Bild (was soll der wie vom Trommelfeuer zerspellte Wald neben dem Klostereingang?), und die Klause im letzten Bild nahm sich aus wie der Eingang eines Weinkellers. Wo Bewegung durch die Regie versucht wurde fWirtshaus, Schlachtfeld, Rataplan-Szene), geriet man hart an Lächerlichkeit.

Was den Abend rettete, waren neben der brillanten orchestralen Grundierung einzig und allein die Stimmen. Antonietta Stella als Leonora knüpfte an ihre darstellerische Leistung als Amelia im „Maskenball“ erfolgreich an und überbot noch ihre dortige, aus den innersten Bereichen des Miterlebens schöpfende stimmliche Charakteristik. Wundersam geriet der Pianissimoeinsafz (letztes Bild). Giuseppe di Stefano (Alvaro) — in weit besserer Disposition als in der „Traviata“ drei Tage vorher — gab einen schwärmerischen Edelmann ohne Übertreibung in der makellosen, melodienseligen Kantilene und brachte .eine glanzvolle, ergiebige'Höhe mit. Ettore B as t ian ini ging aus seiner üblichen Zurückhal-

ans^nsQ &i> ; sthflDJ sib nah abisv ts .iduaig tung beträchtlich heraus, sein Bariton setzte alle Akzente trefflich und bot ein technisch vorbildliches Legato. Giulietta S i m i o n a t o bedeutete als Pre-ziosilla eine ideale Synthese ausgewogenen Spiels und bei den vehementesten Bewegungen ursprünglich und ungezwungen dahinströmenden Gesanges. Aus der letzten Wiener Premiere der „Macht des Schicksals“ war nur der streitbare Fra Melitone Karl Dönchs übriggeblieben: eine glänzende Charakterstudiei Wal ter K r e p p e 1 gab dem Pater Guardian milde Würde. Das Publikum der Staatsoper zeigte sich sehr zufrieden.

In einer Vorstellung der „T r a v i a t a“ gastierte in der Staatsoper Phillis Curtin von der City Center Opera, New York, als Violetta. Eine ausgezeichnete Erscheinung, schmiegsam in der Gestik, kühl in der Stimme, mehr berechnend als fühlend, ohne' die Atmosphäre der Pariser Halbwelt. Gundula Janowitz als Flora besaß viel mehr Wärme. Giuseppe di Stefano schonte sich hörbar für die „Macht des Schicksals“. Die Inszenierung (Mario Frigerio) roch nach Staub und Mottenpulver.

In der „M adame Butterfly“ der Staatsoper war Leontyne P r i c e als Cho-cho-san zu sehen und zu hören. Zu sehen: in allen Bewegungen gut studiert — offenbar hat die Darstellerin Japanerinnen beobachtet —, abgestuft in den Nuancen von der verhalten Liebenden zu Beginn bis zur Wartenden, von Schauern des Unglücks umweht, und bis zum tragischen Ende. Zu hören: jede Fügung des Gesangs aufs feinste zum Spiel passend, gut im Parlandostil, ganz hervorragend in den dramatischen Akzenten, bezwingend in den Lyrismen. Die beste Partnerin: Hilde Rössel-Majdan. Neben ihr Giuseppe d: Stefano mit allem Glanz seines Tenors auftrumpfend; allzu verhalten der Sharpleß von Kostas Paskalis. Lovro von M a t a c i c betreute die Partitur mit vorbildlichem Sinn für die melodische Linie. Die Bühnenbilder von Tsugouhara Foujita: das erste ganz im Geiste des japanischen Farbholzschnitts, voll Duft und Perspektive; das zweite Tradition und Moderne in der Architektur geschickt vereinend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung