6576876-1950_48_04.jpg
Digital In Arbeit

Die zweigeteilte Stadt

Werbung
Werbung
Werbung

Das ganze Festland hat wohl keine merkwürdigere Stadt aufzuweisen als das heutige Beilin mit seiner Trennung in Ost und West.

Zwar bestand schon immer ein Unter-schied zwischen dem Osten Berlins, als der. Gegend der Fabrikbetriebe und Wohngegend der Arbeiterbevölkerung, und dem „vornehmen“ Westen, mit seinen Villenvierteln in Dahlem Und im Grunewald, seinem eleganten Kurfürstendamm und den großen Wohnungen dieser Gegend. Aber die dazwischenliegende City, die eigentliche internationale Ge-sdialts- und Fremdenverkehrsgegend, mit dem Regierungsviertel, dem Sitz der Großbanken, der Museumsinsel und dem Zentrum wissenschaftlicher Arbeit in Universität und Bibliotheken, vermittelte UBd strahlte stugleich ausgleichend nach Ost und West aus.

Heute gibt es keine City mehr — und die Gegensätze, verstärkt durch die Entwicklung der letzten Jahre, prallen unvermittelt gegeneinander.

Die .Linden“ mitsamt dem Brandenburger Tor, Wilhelmstraße, Leipziger Straße und Friedrichstraße liegen heute noch genau so zertrümmert wie vor fünf Jahren beim Kriegsende. Keine Straßenbahn, kein Autobus, selten einmal ein Gefährt verkehrt hier. — Der Potsdamer Platz, das einstige wirbelnde Verkehrszentrum Berlins, für dessen Verkehrsbewältigung man schon im Jahre 1926 auf der Münchner Verkehrsausstellung ein Projekt mit doppelten Straßen zeigte, liegt heute öde und verwahrlost mit der traurigen Aussicht auf die Ruinen am Beginn des russischen Sektors.

Die verödete City trennt heute wie ein Niemandsland Ost- und Westberlin,

Unmerklich entwickelte sich anfangs die Vorbereitung zu der heutigen Zweiteilung der Stadt, zu deren Schärfe das verschiedene Geld und die unterschiedliche Währung Wesentliches beitrugen. Im Blockadewinter, begann es dem Durchschnittberliner bemerkbar zu werden. Im Osten ging das Leben wie bisher weiter. Westberlin dagegen saß in -ungeheizten Wohnungen und im Dunkeln. Da begannen die Westberliner sich von drüben, „aus Rußland“, Kohlen und Kartoffeln, vorsichtig getarnt in Aktentaschen oder Koffern, einige Mutige sogar in Rucksäcken, zu holen — und fuhren dann voll Angst, oft auf Umwegen, nach Hause, immer besorgt, von östlicher Polizei angehalten und der Last ledig zu werden.

Mit Aufhebung der Blockade änderte sich das alles. Trotz Arbeitslosigkeit und erschreckender Geldknappheit in allen Kreisen kann man heute in Westberlin alles erhalten. Der Kurfürstendamm zeigt ein schön eingerichtetes Geschäft neben dem anderen, die Ruinenlücken sind mit schnell aufgerichteten Erdgeschoßläden geschlossen. Neue Geschäftszentren entwickelten sich in Steglitz in der Schloßstraße (der Haupt geschäftsstraße des amerikanischen Sektors) und in Tempelhof in der Berliner Straße, jetzt Tempelhöfer Damm genannt, an die sich bis zum Halleschen Tor die ehemalige Belle-Alliance-Straßo, heute Mehringdamm genannt, mit lockenden Auslagen anschließt. Auch der Norden, im französischen Sektor, hat bis zur russischen Grenze ein neues Geschäftsleben entwickelt, das Sieh hier aber ausschließlich auf Lebensmittel und Schuhe beschränkt und hauptsächlich auf Käufer „aus Rußland“ wartet.

Die City liegt im russischen Sektor, oußer der allernächsten Umgebung des wiederhergestellten Bahnhofs Friedrich-Straße ist in der City noch alles tot und ausgestorben. Die Sprengung des Schlosses und die Beseitigung der Reste des Denkmalschmuckes aus hohen-zollernscher Zeit hat die Gegend Unter den Linden noch ärmer gemacht. Die Staatsoper im ehemaligen Admiralspalast, einer früheren Eisarena, Max Reinhardts beide Bühnen in der Schumannstraße, welche die Tradition der Staatsschauspiele übernommen haben, spielen zum Teil recht gutes Theater. Die Museumsinsel zeigt nur ausgebrannte Ruinen. Wer etwas Museales erleben will, muß mit der Untergrundbahn nach Dahlem hinausfahren, wo in den ehemaligen Magazinsgebäuden langsam wieder zusammengetragen und der Öffentlichkeit gezeigt wird, was von Berliner Museumsschätzen noch erhalten geblieben ist.

Doch zurück in die City. Wenn man vom Potsdamer Platz herkommt, einst von einer bunten Reihe reich bestellter Blumenverkaufsstände freundlich begleitet, flankieren heute nur ausgebrannte Ruinen den holprigen Weg. Aus den leeren Öffnungen des ausgebrannten Wertheim-Baues gähnt tiefes Dunkel entgegen, nur ein fliegender Obstverkäufer hat sich in einem Portal eingerichtet. Erst an der Wilhelmsstraße, wo das ehemalige Luftfahrtministerium heute der ostzonalen Verwaltung dient, erst dort grüßen uns geschmückte Ladenscheiben: Berlins elegantester H.-O.-Laden (das ist russische H a ndels-O r gani-sation) ist hier im ehemaligen Herpich-Haus untergebracht. Irgendwie fühlt man sich als Westberliner drüben im Osten fremd und ungern gesehen und ist froh, wenn man die heimische Grenze wieder passiert hat. Die deutsche Bevölkerung des Ostsektors steht den Westberlinern,, die jetzt In ihrem Bereich alles kaufen können und bei ihren Einkäufen im Ostsektor durch ihreri. Währun.gsvorteil überlegen sind, unfreundlich, beinahe feindlich gegenüber. D(ese Haltung stammt nicht zuletzt aus der politischen Erziehung im Osten, denn der Klassenhaß ist nie so sichtbar in Erscheinung getreten wie heute,

In dem Berlin der zwei Stadtverwaltungen und der zwei Oberbürgermeister wird alles verdoppelt. Die östlich orientierte Universität Unter den Linden (baulich schwer beschädigt und nur teilweise benutzbar) hat das Gegenstück in der „Freien“ Universität, die in Dahlem in Gebäuden des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Forschungsinstituts und in Neubauten untergebracht ist. In Dahlem befindet sich auch das erwähnte,Museumsmagazin, aus dem sich jetzt die neuen Museen entwickeln. Gerade in diesen

Wochen ist hier eine stolze Schau alter, wertvoller Gemälde eröffnet, über mehrere Hundert der kostbaren Bilder des ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museums hatte man während des Krieges in hessischen Bergwerken geborgen. Nach Kriegsende wurden sie zunädist in Wiesbaden aufgestellt, dann traten sie eine weite Reise nach Amerika an, wo sie in verschiedenen Orten gezeigt wurden — und nun sind sie heimgekehrt.

Gleich nach dem ersten Weltkrieg plante der Leiter der staatlichen Museen, Wilhelm Bode, die Museen aus dem Großstadtgetriebe herauszuziehen und draußen in Dahlem eine wissenschaftliche Zentrale zu gründen. Der Museumsstreit endete mit einem Sieg der Staatsverwaltung: die Museen blieben an ihrem alten Platz, die schon begonnenen Neubauten in Dahlem wurden als Magazinsgebäude benutzt — und Wilhelm Bode verließ sein Amt. Und heute läßt die Notwendigkeit der Zeit das erstehen, was dem großen Museumsmarin einst vorgeschwebt: eine Collegestadt.

Ihre Nachbarschaft zu Steglitz wird diesem aufstrebenden Stadtteil in seiner kulturellen Entwicklung förderlich sein. Dort ha.tte ein Zufall den einzigsten großen Saal — das Filmtheater Titania-Palast — erhalten. Nachdem er anfangs der amerikanischen Besatzung diente, ist er heute der Konzertsaal für Westberlin geworden. Neben dem nun nach Steglitz verlagerten Musikleben ist auch das kleine Schloßparktheater, eine unbedeutende Vorstadtbühne, durch sein gutes Ensemble und die geglückten Inszenierungen seines Leiters Barlog zu einem Begriff im Westberliner Theaterleben geworden.

Drüben in „Rußland“ steht die alte Berliner Theatertradition: Sehumann-straße mit den Reinhardtschen Bühnen und Staatsoper mit gutem Theater und unter Förderung der russischen Besatzungsmacht. Das Theater im „Haus der Kultur der Sowjetunion“ ist nicht sehr populär geworden. Und die anderen astlichen Theater? Metrapol, Komische Oper und das Theater am Schiffhauerdamm kämpfen wie die kleinen Thealer im Westen gegen Provinzniveau. Das Große Schauspielhaus, in dem einst Max Reinhardt seinen „König Ödipus“ und den ersten „Jedermann“ spielte, ist zwar erhalten, aber halb Variete, halb Gelegenheitshaus für Boxkämpfe und politische Versammlungen geworden. Der Wandel könnte nicht sinnfälliger sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung