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Die zweite Dichtergeneration Zernatto

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Unter den im Exil verstorbenen österreichischen Dichtern wird immer Guido Zernatto-d. J. mit an erster Stelle genannt werden müssen. Er ist uns eine Gestalt der frühen Vollendung. Schon sein äußerer Lebensablauf hat den Rhythmus der Frühzeitigen. In Treffen bei Villach, dem Stammsitz seiner Famijie, ist er am 21 Juni 1903 zur Welt gekommen. Seine Gymnasialstudien in Kalksburg, die in die Jahre des ersten Weltkrieges und in seine bewegte Folgezeit fallen, vollendet er zunächst nicht, denn er nimmt am Freiheitskampf seiner Kärntner Heimat teil. Dann fesselt ihn .bereits die Dichtkunst so sehr, daß er schon als Ztveiundzwanzig-jähriger Herausgeber der „Kärntner Monatshefte'1 wird.

Zwei Jahre später — Zernatto hatte inzwischen die Matura nachgeholt, und an der Wiener Universität seine Studien aufgenommen — ist er an der Redaktion der „österreichischen Monatshefte“ beteiligt. Man darf die Zeit von 1925 bis 1928 als die für das Ausreifen seiner Dichterpersönlich-keit entscheidenden Jahre bezeichnen. Sie erbringen Skizzen und Novellen und vor allem Gedichte, welche die schon spürbare eigene Handschrift des jungen Dichters noch unter vorbildhaften Zügen verbergen, jedoch auch schon einen beachtlichen Teil jener Lyrik/ in der Guido Zernatto für immer sein Eigenstes zu geben hatte. Diese lyrischen Dichtungen sind als „Vorläufiges Kalenda-rium einer Entwicklung“ in dem Manuskript „Mein Herz im Spiegel“ zusammengefaßt und zu Weihnachten 1928 einem kleinen Freun deskreis dediziert worden. In der „Ausrede“, die sie an Stelle einer Anrede einleiten, zeigt sich der nun 25jährige Dichter über sein Schaffen vollkommen im klaren.

Mit der ersten veröffentlichten Gedichtsammlung, die unter dem Titel „Gelobt sei alle Kreatur“ 1930 im Wolfgang-Jess-Verlag (Dresden) erschienen ist und .unter 550 Bewerbern den Lyrikpreis der „Kolonne“ erwarb, gelang Guido Zernatto der künstlerische Durchbruch in den ganzen deutschen Sprachraum. Der 1933 bei Staack-mann (Leipzig) erschienene zweite Gedichtband „D ie Sonnenuhr“ bestätigt in seiner vornehmen Ausstattung, daß Zernattos Lyrik auch geschäftlich kein Risiko mehr ist. Von den nachgelassenen Gedichten ist der Teil, der zwischen 1934 und 1938 entstanden ist, in dem von Johannes Lindner verdienstvoll zusammengestellten „Kärntner Almanch 1946“ veröffentlicht und darnach als Sonderdruck unter dem Titel „Der Jahrmarkt“ im Freundeskreis verteilt worden.

Wie schon angedeutet, hat der Dichter auch Prosa geschrieben. Einem ersten Romanversuch, der im „Bergsteiger“ abgedruckt wurde, folgte 1934 das erzählende Werk „D ie sinnlose Stadt“, bei Staackmann, das bei anspruchslosem Stoff doch eine sichere Typenzeichnung und da Grufidbekenntnis des Autors zu allem Kreatürlichen offenbart. Außer diesen Dichtungen hat Zernatto ein Buch veröffentlicht, „Die Wahrheit über Österreich“ (New York, 1938), das heute mit zu den Geschichtsquellen über die Vorgänge im Jahre 1938 gehört.

Mit dem gesprochenen Sonntagsfeuilleton bei Radio Wien begann sein Eintritt in das öffentliche Leben Bei dieser besinnlichen Zeitbetrachtung am Rande der Politik schien es zu bleiben, bis er über Nacht plötzlich den Ruf in dh Regierung erhielt. An einem friihlingswarmen Maiabend des Jahres 1936 hatte er mit anderen Landsleuten, darunter auch Dolores V i e s i r -Aichbichler, in der Wiener Urania einen Kärntner Dichterabend bestritten. Ich glaube, er las damals von neuen Gedichten den „Tod von Mailand“ und „Erinnerungen an St. Christopherus“, als er vom Vortragstisch weg in ein Staatsamt gerufen wurde. Seine Tätigkeit als Generalsekretär der Vaterländischen Front und als Regierungsmitglied zu zeichnen, muß der politischen Geschichte überlassen bleiben. Hier genügt es festzuhalten, daß er bis zu jenem dunklen Märzabend des Jahres 1938, an dem Haydns Hymne zum letzten Male erklang, ohne Haß, aber mit Festigkeit und Treue in der vordersten Reihe für Österreich stand.

Über die Tschechoslowakei, Schweiz, Frankreich und Portugal mußte er dann nach Amerika flüchten, wo er nach schweren Existenzsorgen sich als Dozent an einem Forschungsinstitut betätigen konnte. Das harte Los des Emigranten wurde nur dadurch gemildert, daß ihm seine Gattin, eine geborene Freiin v. Weidenhaus, tapfer und mit ihren Sprachkenntnissen helfend zur Seite stand. Aber Zernattos leidendes Herz war den seelischen Belastungen dieses Lebens im Exil nicht gewachsen. Am 11.'Februar 1943 ist er in New York einer Angina pectoris erlegen.

In der Prosa ist uns Guido Zernatto der Jüngere gewiß noch manches schuldig geblieben, nicht aber in der Lyrik. Sie ist in ihrer sprachlichen Eigenart und Formschönheit und in ihrer echten und mitreißenden Menschlichkeit eine ragende Erhöhung österreichischer Dichtung der Gegenwart und eine unverlierbare Leistung für unsere Literatur. Sie kommt aus einem ganz ursprünglichen und unverbildeten Schauen und Hören. Zernatto brauchte nur sagen, was er sah, und es war gut:

Das war im April. Die Nacht war schön. Die Rinden tropften. Es wehte der Föhn.

Zwei Zeilen nur und eine ganze stimmungssatte Wirklichkeit steht vor uns. Und er konnte sagen, wie er es hörte, und es war vollendete Poesie. Vielleicht hat überhaupt noch kein Dichter so viele schlichte Worte und Wendungen aus der gewöhnlichen Umgangssprache zu einer so zauberischen Sinndeutung und Transparenz erhoben wie er. Schon diese Sprache, die nur fernab jeder Literatenwelt zu hören ist, die aus der Masse kommt und hilflos und. arm erscheint, aber in Zernattos Gedicht eine geheimnisvolle und fast beklemmende Kraft hat, ist ein ausgesprochen soziales Element dieser Kunst. Dazu aber kommt eine geradezu franziskanische Brüderlichkeit zu Natur und Kreatur. Baum und 'Hund, Pferd und Kuh sind ihm Gedichte wert, und erst die Menschen, die Enterbten und Überzähligen, der Knecht und der ledige Kindsvater, die Magd und die Schwangere, der Sägler und der alte Auszügler, der niemandem mehr im Wege sein will:

Das Beste ist, wenn idi nichts sag und mich bald niederleg.

Dieses ergreifende und anklagende Mitleiden mit den fceid- und Kummervollen, das Zernattos erstem Gedichtband mit Recht den Namen gegeben hat, ist als beherrschendes, zeitnahes Motiy seines Werkes noch zu ' wenig beachtet worden. Gerade mit diesen Gedichten, die bei mündlichem Vortrag stärkste Wirkung haben, muß Guido Zernatto noch in die Tiefe des österreichischen Volkes, hineinwachsen, wenn unsere Literatur überhaupt einen Kultursinn haben soll. Wir haben auf i wenig Gleichwertiges zu verweisen.

Die Gedichte aus der Verbannung sprechen dann aus, was in einem allgemeinen Welt- und Lebensgefühl bereits vorausgenommen _ war. Die persönliche T*ragik des Verbannten, der sich in der Ferne verloren weiß, nach der Heimkehr aber nicht wieder daheim finden wird — diese Stimmung, die Franz Werfel auf der Bühne verdichtet hat — ist, wie das Gedicht „Heimkehr“ erweist, in Guido Zer-nattos Lyrik für das Menschentum überhaupt gültig geworden.

Ob wir müssen oder wollen, einmal ziehen “wir alle aus nach dem Fernen und Fremden, während wir doch nur das Zurückgelassene, den Anfang, uns selbst suchen. Und nicht finden. Und da entringt sich dem Dichter das bescheidene, große und erlösende Wort: „Ach, lasse die Dinge geschehen ...“ Nicht aus Passivität und Fatalismus: „Verzweifle nur nicht!“ Aus letzter tiefer Einsicht weiß er zu trösten:

Schau, alles was kommt, wird vergehen, Doch auch aufblühen, reifen, bestehen, Und aufhalten kannst du das nicht.

Mit dieser echt österreichischen Lebensweisheit ist Guido Zernatto innerlich in die Heimat zurückgekehrt. Um so schwerer trug er die äußere Trennung, bis er sie nicht mehr ertrug und er verlosch, weil alles geliebt und gelitten, gesdiaut und gesagt war, was einem Menschen- und Dichterleben aufgetragen ist. Er hat früh geendet, aber er war wohl schon vollendet. *

Am Beginn seiner Entwicklung steht hingegen der dritte literarische Sproß der Familie Zernatto, der zehn Jahre jüngere Bruder des Verstorbenen.

Dr. Otto Zernatto wurde am 30. Jänner 1913 in Treffen geboren und ist heute im Kärntner Wirtschaftsleben tätig. £ls passionierter Jäger trat er schriftstellerisch bis vor kurzem nur mit jagdfachlichen Studien für einschlägige Zeitschriften hervor. „Wälder und Wände, Jagen und Träumen — das ist das einzige, das nidit enttäusdien kann auf dieser sonderbaren Welt“, schreibt er. Und dann gesteht er: „In meinem Herzen ist die ganze Welt — und doch gelingt mir nichts, ich kann nichts, die innere Welt kann sich nicht befreien.“ Diese Sätze, die aufhorchen lassen, finden sich im „Kärntner Almanach 1946“, für den er die „Kleine Rehbockgeschichte“ geschrieben hat. Die Skizze hat keine Handlung, ist nur Schilderung, Reflexion und Zwiegespräch, überrascht aber vor all/m damit, daß bei dem durch die ganze Gesdiidite laufenden Dialog die Meinungen des Gesprächspartners, eines jungen Mädchens, in konsequenter . und stilistisch reizvoller Komposition der indirekten Rede wiedergegeben sind. Dieses s^irke Formempfinden, das schon bei dem älteren und bei dem jüngeren Guido Zernatto vorhanden ist, und das Drängen seiner inneren Welt lassen erwarten, daß auch Otto Zernatto noch vernehmbarer zu dichterischer Aussage kommen wird.

Auffallend ist jetzt schon, daß er nur Prosa schreibt, während Onkel und Bruder, der eine ausschließlich, der andere vorwiegend, Lyriker sind. Die Entfernung zum singend gestorbenen herrschaftlichen Pfleger von Treffen, zum Urgroßvater der zweiten Dichtergeneration der Familie Zernatto, beträgt nun schon bald ein rundes Jahrhundert. Sie wird freilich nicht nur in der Hinwendung von der Lyrik zur Prosa, sondern mehr noch in der geistigen Haltung und Entfaltung seiner schöpferischen

Nachfahren sichtbar. Die Weltsicherheit des Urgroßvaters, sein festes Stehen auf festem Boden, ist in seinem Urenkel Guido Zernatto dem Jüngeren zwar noch einmal Gedicht geworden in den wunderbaren Versen:

Am Mais, am Roggen, am Kleefeld vorbei Und immer auf eigenem Grund...

Doch . ist diese Dichtung wie ein Denkmal an eine andere Zeit aufgestellt, denn nach der allgemeinen dichterisdien Empfängnis Guido Zernattos geht es heute um viel mehr als um die abgeschlossene Sicherheit einer kleinen Eigenwelt. Es geht um die Menschen schlechthin, um ihre vitale und geistige Existenz*. Der Urenkel des Bürgers, der 184*8 dabei war hat jetzt die soziale Sprache, die damals unter nationalen Gesängen nicht zu Worte kam. Und über viele Jahrzehnte einer ganz an materielle Diesseitigkeit verlorenen Lebensauffassung zurück, ruft er erlöst: „Gott lebt noch, Herr Pfarrer! Gott lebt!“

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