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Digital In Arbeit

Dienende Frau

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Dem Bericht des Arbeitsamtes Wien III zufolge verhält sich im Beruf der Hausgehilfin das Verhältnis von An- gebot und Nachfrage wie 50:1.

Ein zweiter weiblicher Mangelberuf ist die Krankenpflegerin; in Wien allein ergibt sich ein Nachwuchsbedarf von 600 bis 1000 Pflegerinnen..

Es mag im Jahre 1938 Hunderten von Frauen so ergangen sein: plötzlich aus der Bahn geworfen, ohne Arbeitsmöglichkeit und Strebensziel, war es ein frohes Erlebnis, wenn man einmal von Fremden um einen Weg gefragt, von Nachbarinnen um eine Dienstleistung gebeten wurde. Man war wieder zu etwas nütze, man durfte andern Hilfe sein. Tausende Frauen haben zu allen Zeiten dieselbe Sehnsucht empfunden: anderen Menschen etwas sein können, sie umsorgen, ihnen persönliche Dienste leisten zu dürfen, bedeutete und bedeutet für sie innere Befriedigung, ja Freude und Beglückung. Je älter Frauen werden und um so besinnlicher sie sind, um so mehr werten sie auch ihren Beruf nach den Möglichkeiten des Kontrakts mit Menschen und nach den Gelegenheiten des persönlichen Dienens und nie kann ich jene Jugendfreundin, vergessen, die als bestbezahlte Sekretärin eines internationalen FinanZmannes in ihrem noblen Zimmer in der bei etage im Hotel de l’Opera in Paris und nach ihrem gewohnten vornehmen Frühstück auf Silber im benachbarten Cafe de la Paix in! Jahre 1929 mir erklärte, sie habe es satt, noch länger in der Welt herumzufahren, sei es auch erster Klasse und in Hotels erster Ordnung, sie sehne sich-nach einem Berufe, in dem sie Menschen dienen könne und nicht in Zahlen ersticken müsse.

Zu dieser unbestreitbaren Tatsache, der naturgegebenen Sehnsucht der Frau nach persönlicher Dienmöglichkeit, nach Arbeit mit und für Menschen, steht die eingangs zitierte Meldung des Arbeitsamtes Wien III in merkwürdigem Widerspruch. Was ist die Ursache dieser absoluten Dien- müdigkeit der Frauen und Mädchen?

Zunächst die, daß sich den Frauen sogenannte „bessere” Berufe darboten, deren menschenferne Eintönigkeit aber meistens zu spät erkannt wird.

Der Mangel an Hauspersonal aller Art hat zuerst in den westlichen Ländern eingesetzt, WQ die Frauen in den riesigen Industrien, tu den Finanzinstituten oder auch in Fremdenverkehrsbetrieben verschiecjene Arbeitsmöglichkeiten fanden. Österreich hatte vor 1938 genügend Hausgehilfinnen und konnte noch andere Länder mit ihnen versorgen. Mit der Kriegsrüstung des Nationalsozialismus und mit dem Ausbau seines Bürokratismus gab es für die Frauen auch bei uns Arbeitsplätze in Büros und Fabriken und Hunderte von Hausgehilfinnen wurden damals in’-Stellen gesetzt, von denen sie den Weg zurück ins Haus nicht mehr fanden und nicht mehr finden wollen, trotz des kargen Lohnes, 1 der demütigenden Behandlung und eintönigen Arbeit ihrer Pseudoposten.

Aber sind wir ehrlich genug, es zu sagen: welche Mutter will heute ihre heran- wachsende Tochter dem Berufe der Hausgehilfin zuführen? Welches Mädchen entschließt sich heute aus freien Stücken Krankenpflegerin zu werden? Das Bundesmini- steriüm für Unterricht hat erst vor kurzem die Errichtung einer neuen h a u s wirtschaftlichen Fachschule zur kostenlosen Heranbildung von Hausgehilfinnen in Wien ins Äuge gefaßt, um den vielen Fünfzehnjährigen ohfte Arbeits- und Lehrplatz eine Berufsmöglichkeit Zu erschließen; doch trotz Ausschreibung in Zeitungen und wiederholter Durchsage im Radio fand sich keine einzige Meldung für diese Schultype.

An allen allgemeinen und tieferen Übelständen ist niemals nur ein einzelner Stand schuld’ und schon gar nicht die Jugend.

Die Geringschätzung, ja die Mißachtung des Berufes der Hausgehilfin geht weit zurück und hat tiefe psychologische und soziale Wurzeln. Zunächst: ist es nicht ganz merkwürdig, daß von all dem berechtigten Glanz, den das Wort „Arbeit” und „Arbeiter” heute hat, so gar nichts auf den Beruf der Hausgehilfin abstrahlt, so als ob sie zu der großen und gut befürsorgten Klasse der Handarbeitenden gar nicht gehörte? Denn wer in aller Welt schätzt die häusliche Arbeit voll und ganz ein? Zum ersten nicht die Männer in ihren bürokratischen Bezirken, da sie weder der Hausgehilfin und schon gar nicht der Hausfrau eine armselige Zusatzkarte zubilligten für ihre langen Wochen der Arbeit und ihre häufigen Tage der Schwerarbeit. Es gilt eben immer noch die Anschauung, daß Hausarbeit eine unbedeutende Arbeit ist, die jedermann ohne Ausbildung verrichten könne, in die die Frauen nach Willkür und Laune Ruhepausen einschieben, eine Arbeit, die freilich auch ab und zu „Dreckarbeit” ist, für die man eben halbidiotische Geschöpfe heranziehen solle. Eine solche Meinung von der Hausarbeit kann natürlich junge Menschen nicht dafür interessiert machen. Erst wenn die richtige Erkenntnis allgemein verbreitet ist, daß Hausarbeit in all ihren Formen, vom Waschen und Bügeln angefangen bis zum Aufräumen, Kochen, Servieren, Nähen und bis zur häuslichen Buchhaltung eine Arbeit Ist, die gelernt werden muß, weil sie sonst immer nur pfuscherhaft’ und unwirtschaftlich gemacht wird, daß sie eine Arbeit ist, die das Kulturniveau eines Volkes und eines Heimes ausdrückt und ‘ die in ihrer millionenfachen Anwendung in jedem einzelnen Haushalt eine eminente Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft hat, erst dann kann man von der Jugend verlangen, daß sie sich für die Hausarbeit als einer ernst zu nehmenden Berufsarbeit interessiert.

Es muß aber auch gesagt werden, daß die Frauen und Mütter selbst ihre Arbeit oft genug nicht richtig werten. In anderen Ländern haben gerade die Hausfrauen, ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung bewußt, sich in H a u s f r a u e n ver b än den zusammengeschlossen und sie haben durch diese Verbindung für ihren eigenen Stand und für die gesamte Volkswirtschaft manches erreicht. Neben den vielen Kammern wäre eine überparteiliche Hauswirtschaftskammer ein wichtiges Zentrum der Wahrung aller hauswirtschaftlichen und damit volkswirtschaftlichen Interessen. Der Stand der Hausfrau muß sich selbst achten und diese Achtung öffentlich vertreten; dann ist ein erster Schritt zur Achtung der Hausarbeit und zur richtigen Schätzung der Hausfrau und Hausgehilfin getan.

Es ist auch aufgefallen, welch geringe Rolle das dienende Mädchen in der Literatur, im Film oder Theater spielt im Gegensatz zum Beispiel zum Mädchen an der Schreibmaschine oder Handwerkerin, die in so vielen Romanen und kitschigen Filmen förmlich prädestiniert erscheinen für die „große Partie”, für die Heirat mit dem Generaldirektor oder dem Großindustriellen. Es ist nachgerade ein Glück, daß kein Geringerer als Goethe der dienenden Frau im Hause, der sorgenden Hausfrau sowohl als auch der demütigen kleinen Hausgehilfin, in „Hermann und Dorothea” ein literarisches Denkmal von zeitloser Gültigkeit gesetzt hat. Es wird Aufgabe künftiger Lesebuchgestaltung sein, der dienenden Frau, der Frau im Hause und all ihrer Arbeitsfürsorge auch etwas Raum zu schenken.

So unrichtig die allgemeine Unterbewertung der häuslichen Arbeit ist, ebenso irrig ja direkt kindlich sind die allgemeinen An schauungen über den Rangwert der Berufe. Aus dieser Auffassung heraus wehren zumal die Eltern jeden Beruf für ihre Kinder ab, der irgendwie nach Dienen lautet. Es ist weder Eltern noch Kindern klar, daß jeder Beruf Dienst ist, harter, unerbittlicher Dienst, und daß mit der ideellen und sozialen Höhe des Berufes die Dienstleistung in geometrischem Sinne wächst, weil eine wahrhaft „gehobene” Stellung zur Sorge und zum Bereitstehen und zum steten Dasein für andere und immer mehr andere verpflichtet und schonungslos den vornestehenden Menschen auspreßt und aufzehrt. Es gehörte so zu den richtigen menschenverbindenden und berufsvorbereitenden Gesprächen, die man mit der Heranwachsenden Jugend des öfteren führen sollte, daß man die Menschen und ihre Arbeit richtig sehen lehrt. Ge.rade unter diesem Aspekt wird der Beruf der Hausfrau und der „Haustochter”, wie man so lieb und patriarchalisch in der Schweiz die Hausgehilfin nennt, als erstrebenswert und lebenswert gezeigt werden können, weil es nicht ein Dienst an Maschinen, an Zahlen, an Akten, an laufenden Kunden, sondern ein Dienst für die persönlichste Lebensgestaltung des Mitmenschen ist und daher spontane Befriedigung und Wertbewußtsein gibt.

Ich weiß aber nur zu gut, daß wir mit all diesen Gedanken noch immer nicht den Mangelberuf der Hausgehilfin stark auffüllen können, obwohl die Zeit dazu drängen wird, wenn in gewissen Büroberufen ein Abbau einsetzen wird. Denn die letzte Wurzel der Ächtung der dienenden Frauenberufe liegt noch tiefer: es ist doch so, daß kein anderer Beruf die persönlichenFreiheitsrechte des Menschen So gefährden kann wie der Beruf der Hausgehilfin: das Recht auf ungestörte Freizeit und auf eine eigene, niemand anderen zugängliche Heimecke: das Recht auf Einbeziehung in die Gemeinschaft der Menschen, mit denen man arbeitet, das Recht auf Ächtung und auf eine ehrende ermutigende Behandlung. In diesem Beruf stand und steht die sozial schwächere Frau allein und — trotz allen und noch jungen Gewerkschaftsschutzes — der sozial und materiell stärkeren Frau gegenüber. Und die ist nun die ungnädige, unsoziale und launenhafte „Gnädige” der Jahrhundertwende, ein Schreckgespenst geworden, sie, die in ihrer Luxuswohnung für den „Dienstboten” nur ein Dunkelkämmerchen übrig hatte und nicht nur die Tages- sondern auch die Nachtzeiten für ihren Dienst einforderte. Diese Spezies dürfte heute — bis auf wenige Exemplare — ausgestorben sein. Die Hausfrau von heute ist in den meisten Fällen eine vom Leben gemeisterte Frau, die um das Dienen weiß.

Zur endgültigen Lösung der Hausgehilfinnenfrage haben freilich auch noch manche soziale Gesetze und Maßnahmen beizutragen. Wenn die Frage der Arbeitszeit und die Lohnfrage einmal endgültig gerecht und sozial gelöst sind, wenn der Beruft vielleicht doch noch ein „g e- 1 e r n t e r” wird, wenn zur Belohnung und Weiterbildung nur der im Inland beruflich Tätigen auch eine zeitlich beschränkte Praxis im Ausland gestattet wird, und wenn doch die in jedem Beruf gegebene Aufstiegsmöglichkeit durch Schaffung gewisser Graduierungen auch hier festgelegt wird, dann könnten damit wieder mehr Anziehungspukte in diesem Berufskreise geschaffen sein.

Das Problem der persönlichen Freiheit könnte noch von einer ganz anderen Seite her angefaßt werden. Es ist ein Zukunftsbild: junge Mädchen und ältere Mädchen, in einem gut eingerichteten Ledigenheim, die tagsüber in ihren Hausdienst gehen und abends doch bei sich zu Hause sind, in ihren vier Wänden, in ihren eigenen Möbeln, nun ihrerseits bedient und umsorgt: damit wäre die so vielfach gefürchtete Vereinsamung der Hausgehilfin aufgehoben und ihre Heimatlosigkeit, und es hinge nur von der Leitung dieser Heime ab, die Abende und freien Tage reich zu machen durch gute Lektüre, Darbietung interessanter Vorträge, bester Filme und damit der Hausbediensteten das Gefühl der inneren Freiheit zu geben nach den Stunden der starken persönlichen Gebundenheit.

Und so wäre auch das Problem des Mangels an Krankenpflegerinnen zu lösen: durch materielle Besserstellung zuerst und durch Schaffung gastlicher Heime, durch Gespräche mit der Jugend über die Großtaten der modernen Medizin, die nicht denkbar ist ohne die hingebende Arbeit der Krankenpflegerin und durch Hinweise auf das unvergleichliche Werterlebnis, einem hilflosen Kranken beistehen, einen aufgegebenen Kranken zum Leben retten zu dürfen.

Sagt mir nicht, die heutige Jugend sei zu nüchtern, zu materialistisch, um dafür begeistert zu werden! Sie wird noch begeistert von den Menschen, die ihr solche Werte Vorleben. Und sie hat dafür ein feines Ge spür, ob ein Mensch fähig ist sich selbst aufzugeben im rechten Dienste innerhalb der Gesellschaft, in welcher Stellung immer es sei.

Dienen ist Ehre, ist Auszeichnung, ist Freude, zutiefst für den, der das Dienen eines Gottes unter Menschen begriff. Lasset uns in unserem Denken, in unseren Gesprächen, in unserem Benehmen dem Dienen wieder seinen heimlichen Glanz und seine verborgene Würde geben, die Krone, die den freudig Dienenden — allen fühlbar — zum Herrschenden krönt.

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